Das FriedensForum erscheint 6x jährlich mit aktuellen Infos aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu:
Erklärung des Präsidiums von Pax Christi
Keine Kampfeinsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Territoriums
vonVor dem Hintergrund der Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg auf dem Balkan, an der internationalen Kambodscha-Mission und am internationalen militärischen Einsatz in Somalia entscheidet das Bundesverfassungsgericht in diesen Tagen über die Rechtmäßigkeit von Bundeswehreinsätzen außerhalb des NATO-Territoriums. Pax Christi nimmt diese Situation zum Anlass, um vor einer Veränderung des Bundeswehrauftrages zu warnen und der Forderung nach Aufbau gewaltfreier Lösungswege zur Konfliktbewältigung Nachdruck zu verleihen.
I. Der Umbau der Bundeswehr
Pax Christi teilt nicht die Auffassung, die im Grundgesetz verankerten Selbstbeschränkungen militärischen Handelns hinderten die Bundesrepublik Deutschland an der Wahrnehmung ihrer vollen Souveränität. Vielmehr sieht Pax Christi im Friedensvorbehalt des Grundgesetzes die Konsequenz aus der leidvollen Erfahrung des von Deutschland begonnenen 2. Weltkrieges. Statt heute diese Erfahrung in Vergessenheit geraten zu lassen und im militärischen Handeln die Rückversicherung für politisches Handeln zu suchen, sollte Deutschland die Lehren aus dem millionenfachen Sterben ziehen und im Rahmen der internationalen Völkergemeinschaft engagiert und mutig für gewaltfreie Wege der Konfliktlösung eintreten.
Pax Christi tritt deshalb allen Bestrebungen entgegen, die Bundeswehr für internationale Kampfeinsätze zu rüsten. Derartige Bestrebungen sehen wir gegenwärtig in
- den geltenden Verteidigungspolitischen Richtlinien, die auch die "Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Wirtschaftskraft" zu den militärisch zu schützenden deutschen Sicherheitsinteressen zählen,
- der Bereitstellung von über 300 Millionen DM für den Einsatz der Bundeswehr in Somalia,
- der Bereitschaft der Bundesregierung, in den nächsten Jahren 50 Milliarden DM für die Entwicklung und Anschaffung eines neuen europäischen Jagdflugzeuges zur Verfügung zu stellen - bei gleichzeitigem Abbau sozialer Sicherungen und zunehmender Armut innerhalb der Gesellschaft,
- dem Bemühen, unter dem Vorwand humanitärer Hilfe die volle militärische Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte unter Beweis stellen zu wollen,
- der Absicht der Regierungskoalition, die Bundeswehr auch ohne UN-Mandat für Out-of-area-Einsätze im Rahmen von Bündnissystemen und in Verabredung mit anderen Einzelstaaten vorzubereiten,
- den nachhaltigen Forderungen nach Lockerung der bundesdeutschen Rüstungsexportbeschränkungen.
II. Die Aushöhlung der Idee von "Blauhelm"-Einsätzen
Zur Diskussion um "Blauhelme" gibt Pax Christi folgendes zu bedenken:
Alle Soldaten tragen bei Einsätzen unter UN-Kommando Blauhelme. Deshalb können alle UN-Militäraktionen grundsätzlich "Blauhelmeinsätze" genannt werden.
Drei unterschiedliche Formen haben sich allerdings trotz zu beobachtender Überschneidungen herausgebildet.
1. "Klassische" Blauhelmeinsätze
Hierbei handelt es sich um Einsätze, in denen nur zur persönlichen Selbstverteidigung ausgerüstete Soldaten zur Konfliktdeeskalation eingesetzt werden. Ihr Einsatz setzt das Einverständnis der Konfliktparteien voraus. Er ist durch absolute Unparteilichkeit gekennzeichnet.
"Robuste" Blauhelmeinsätze
Im Gegensatz zu "klassischen" Blauhelmeinsätzen sind Soldaten hierbei auch dazu ermächtigt, einen zuvor festgelegten Auftrag mit Waffengewalt durchzusetzen. Der Auftrag ist dabei auf humanitäre oder defensive Ziele begrenzt (mission defence).
3. UN-Kampfeinsätze
UN-Einsätze, die nach Artikel 7 der UN-Charta zur offensiven Durchsetzung von festgelegten Zielen verschiedenster Art auf Beschluß des Weltsicherheitsrates durchgeführt werden.
Pax Christi lehnt die zweite und dritte beschriebene Form von militärischen UN-Einsätzen kategorisch ab, da sie grundsätzlich eskalationsträchtige Tendenzen in sich bergen. Zusehends verwischen sich gegenwärtig die verschieden abgegrenzten Einsatzformen. Seit dem NATO-Gipfel in Brüssel am 10./11. Januar 1994 ist deutlich geworden, daß genau diese Verwischung von Abgrenzungen politisch bewusst gewollt ist. Wenn sich diese Tendenz fortsetzt, wird auch die "klassische" Blauhelm-Einsatzform, wie sie unter Punkt 1. beschrieben ist, in weiterer Zukunft desavouiert werden.
III. Alternativen zum militärischen Konfliktmanagement
Was die internationale Völkergemeinschaft braucht, sind nicht weitere ökonomisch und militärisch starke Staaten, sondern Fürsprecher einer auf gewaltfreien Interessenausgleich ausgerichteten Politik. Angesichts der fortschreitenden Verarmung des größten Teils der Menschheit sind nicht nationalstaatlich verengte militärische Gegenmaßnahmen zu konzipieren, sondern Strategien einer vorausschauenden und sozial gerechten Wirtschaftspolitik zu etablieren. Die Zukunftsprobleme der Menschheit sind sozialer, ökologischer und ökonomischer Art.
Pax Christi weicht nicht der Frage aus, ob und wie die internationale Gemeinschaft angesichts flagranter Menschenrechtsverletzungen und heftiger kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zum Schutz oder zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Friedens intervenieren muß und wie sich die Bundesrepublik dazu verhalten soll. Die nachfolgenden Überlegungen sind Anstöße für eine Neuorientierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Angesichts aktueller Krisen und Konflikte sieht Pax Christi in militärischen Maßnahmen, von wem sie auch immer ausgehen, kein Mittel zur Erhaltung oder zur Wiederherstellung friedlicher und gerechter Zustände zwischen oder innerhalb von Staaten. Pax Christi kann deshalb nur gewaltfreie Lösungswege zur Konfliktbewältigung unterstützen. Als Mitglied im Bund für soziale Verteidigung strebt Pax Christi generell eine Überwindung von Militär und speziell der Bundeswehr an.
Deshalb fordert Pax Christi
1. die Einrichtung gewaltfreier Eingreifverbände, auch in nichtstaatlicher Trägerschaft, wie sie in Konzepten ziviler Friedensdienste vorgesehen sind,
2. eine Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit mit völkerrechtlich verbindlichen Sanktionsmöglichkeiten und den Ausbau der nichtmilitärischen Aktionsmöglichkeiten der Völkergemeinschaft,
3. die Demokratisierung der UNO, dazu gehören besonders die Abschaffung des Vetorechtes im Sicherheitsrat zugunsten einer qualifizierten Mehrheitsregel und verbindliche Rechtsmittel der Vollversammlung gegenüber dem Weltsicherheitsrat,
4. eine gerechte Weltwirtschafts- und Friedensordnung.
Pax Christi fordert für eine längerfristige Orientierung die Aufstellung von transnationalen Freiwilligenverbänden bei der UNO. Die Ausbildung dieser Verbände, die langfristig die Rolle der "klassischen" Blauhelme übernehmen sollten, ist primär an Kriterien und Methoden der gewaltfreien Aktion zu orientieren.
IV. Übergangslösungen
Kurzfristig ist neben der Reform der UN selbst (gewaltfreie Eingreifverbände, Demokratisierung der UNO etc., s.o.) zu fordern, daß der UNO für den Einsatz "klassischer" Blauhelmsoldaten eigene Kontingente für diese Zwecke zu unterstellen sind. Solche internationalen Blauhelmkontingente könnten ihre Aufgaben unabhängig von den Interessen entsendender Staaten in direkter Anstellung bei der UN wahrnehmen. Auch hätten die Staaten, aus denen diese Blauhelme stammen würden, keinerlei besonderes Mitspracherecht an der exakten Definition des jeweiligen Auftrags.
Solange es weder gewaltfreie Einsatzverbände noch direkt der UN unterstellte Blauhelmkontingente für die "klassische" Einsatzform gibt, sollten sich nach Auffassung von Pax Christi an entsprechenden Missionen nur Staaten beteiligen, deren Geschichte und Tradition, deren aktuelle Interessenlage und Wirtschaftskraft keinen Anlass zu Vermutungen geben, daß diese Nationen ein bestimmtes Interesse zugunsten einer Konfliktpartei wahrnehmen könnten. Geeignet sind also zur Entsendung solcher Blauhelme gerade die kleineren Staaten, die auch in Konfliktregionen den Ruf von "Neutralität" genießen. Welche Staaten jeweils geeignet sind, müßte für den konkreten Einzelfall geprüft werden. Deutschland gehört jedoch eindeutig zu den Staaten, die aufgrund ihrer Tradition und Wirtschaftsmacht an solchen Einsätzen nicht beteiligt werden sollten. Das bedeutet keine "Drückebergerei" vor weltweiter Verantwortung, sondern die Verlagerung von militärisch verstandener zu verstärkter politischer Verantwortung.
Pax Christi lehnt deshalb jede Änderung des Grundgesetzes zugunsten neuer Einsatzformen der Bundeswehr "out-of-area" ab. Statt dessen fordert Pax Christi eine klarstellende Gesetzesinterpretation, die alle Formen von Bundeswehreinsätzen, die über bisher erlaubte Einsätze hinausgehen, als verboten kennzeichnet. In diesem Sinne kann das Grundgesetz auch ergänzt werden.
Bad Vilbel, den 15. Juni 1994