Keine Militärintervention in Bosnien-Herzegowina

Hintergrund
Hintergrund

Wir dokumentieren im Folgenden eine Anti-Interventionserklärung, die der Bund für Soziale Verteidigung im Juli 1992 herausgegeben hat. Ihre Kernaussagen sind die gleichen wie in einem ungefähr zur gleichen Zeit publizierten Offenen Brief, der gemeinsam von den War Resisters' In­ternational und dem Internationalen Versöhnungsbund geschrieben worden war. Auf letzteren antwortete das Friedenszentrum Sarajevo mit einer Erklärung, warum es keine Alternative zu der Forderung nach ei­nem militärischen Eingreifen durch den Westen sieht.

Seit der Krieg in Bosnien-Herzegowina begonnen hat, sind die Stimmen immer lauter geworden, die ein militärisches Eingreifen von Seiten Europas, der UNO, der NATO oder einzelner Staaten wie den USA oder Frankreich fordern. Die Vorstellungen über die Reichweite eines solchen Eingreifens sind sehr un­terschiedlich; sie reichen von der Öff­nung des Flughafens von Sarajevo für humanitäre Hilfslieferungen bis zur Entwaffnung aller militärischen und pa­ramilitärischen Einheiten.

Wir, die wir nicht unmittelbar von den Schrecken des Krieges betroffen sind, sehen uns in die Pflicht genommen, überzeugend zu begründen, warum wir eine militärische Intervention ablehnen.

*     JEDE Anwendung militärischer Ge­walt bedeutet, unabhängig davon, wie begrenzt sie ist, das Sich-Einlassen auf die Logik des Krieges und schafft die Basis für weitere, weniger be­grenzte Anwendung militärischer Gewalt. Was als ein kleiner Schritt unternommen wird, augenscheinlich mit der Absicht, Leben zu retten, kann sich als Beginn einer großen Katastrophe entpuppen. Unsere Beobachtung von Kriegen überall auf der Welt hat uns die Gefahr einer Eska­lation gelehrt, sobald einmal eine mi­litärische Intervention begonnen wurde. Wir fürchten, daß bei einer militärischen Eskalation durch aus­ländische Kampfeinheiten im Gebiet um Sarajevo, die beteiligten Truppen in heftige Kämpfe verwickelt wer­den. Am Ende könnte ein großer in­ternationaler Krieg mit Zehntausen­den von alliierten Soldaten, Massen­vernichtungswaffen und noch mehr Opfern an Menschenleben stehen.

*     Völlig unberechenbar sind die mittel­baren Folgen einer derartigen Inter­nationalisierung des Krieges in Bos­nien-Herzegowina. Wir fürchten, daß sie die Gefahr bewaffneter Auseinan­dersetzungen in anderen, bislang vom Krieg verschonten Teilen des frühe­ren Jugoslawiens drastisch erhöht. Sowohl im Kosovo wie im Sandjak (Region an der Grenze zwischen Ser­bien und Montenegro) und auch in Mazedonien genügt ein Funke, um auch dort Bürgerkrieg auszulösen.

*     Wenn nur die Rede von einer Mili­täraktion für Sarajevo ist: Was ist mit all den anderen Orten in Bosnien-Herzegowina? Wird in Sarajevo in­terveniert, gibt es keine Rechtferti­gung mehr, nicht auch das gleiche für Mostar, Visegrad usw. zu tun. Und spätestens dann liegt die Schreckens­vision eines zweiten Vietnam nicht mehr fern. (Und man vergesse besser nicht, daß der Besitz der besseren Waffen keine Garantie für einen Sieg im Krieg sind, wie fast alle Gueril­lakämpfe in der Geschichte bewiesen haben.)

-     Jede Entscheidung, militärische Ge­walt anzuwenden, stärkt die allge­meine Rechtfertigung der militärge­stützten sog. "Neuen Weltordnung". Nach dem Ende des Kalten Krieges suchen Politiker und Militärs der westlichen Staaten nach neuen Auf­gaben für die NATO und die natio­nalen Armeen. Im Grunde kämpfen auch sie ähnlich wie die Jugoslawi­sche Volksarmee um ihr Überleben. Aus diesem Grund schufen sie den Begriff "Neue Weltordnung" und verpackten ihre militärischen Unter­nehmungen in humanitäre Argu­mente. Sie sagen nicht, daß sie  aus ökonomischen oder strategischen In­teressen (z.B. billiges Erdöl) kämpfen würden, sondern um "Menschenrechte zu schützen" oder "militärische Aggressionen nicht län­ger hinzunehmen". Aber warum zo­gen sie in den Krieg, um Kuwait zu befreien, unternehmen aber nichts gegen den Terror gegen die kurdische Bevölkerung, den der Irak gemein­sam mit dem NATO-Partner Türkei ausübt? Der Sicherheitsrat der Ver­einten Nationen ist zum Instrument dieser Interessen geworden; die Westeuropäische Union und die Eu­ropäische Gemeinschaft verfolgen eine ähnliche Politik mit dem Ziel, Europa zu einer eigenständigen mili­tärischen  Supermacht aufzurüsten. Für Deutschland spielt außerdem noch eine wichtige Rolle, daß die politische Debatte über eine Ände­rung des Grundgesetzes mit dem Ziel, Bundeswehreinsätze in Zukunft auch außerhalb des NATO-Gebietes zuzulassen, auf vollen Touren läuft. Eine "gelungene" militärische Ope­ration in Europa würden der deut­schen Regierung und der EG gerade recht kommen, um in der Öffentlich­keit Unterstützung für die Grundge­setzänderung und ihre Pläne einer eu­ropäischen Armee zu gewinnen. Wenn ihre Rechnung aufgeht, dann werden wir nicht nur eine, vielleicht einzigartige Chance verspielt haben, nach dem Ende des Kalten Krieges zu einer umfassenden Entmilitarisie­rung und Zivilisierung der Politik zu gelangen. Sobald Krieg wieder zum Mittel der Politik geworden ist ("Krieg führen, um Krieg zu been­den" ist übrigens eine der ältesten Rechtfertigungen, die es für Krieg überhaupt gibt), dann wird die Zu­kunft eine Vermehrung von Krieg, Tod und Leiden in einem Ausmaße bringen, das wir uns vielleicht heute noch nicht einmal vorstellen können.

-     Wir sind der Überzeugung, daß es immer eine Alternative zur Gewalt gibt. Krieg ist nicht unvermeidbar. Neben der Möglichkeit, z.B. auf die militärische Verteidigung von Groß­städten oder aus anderen Gründen be­sonders schützenswerten Städten zu verzichten (so wurde Rom im Zwei­ten Weltkrieg zur Offenen Stadt er­klärt), gibt es die Möglichkeit gewalt­freien Widerstandes. Es ist nicht un­sere Aufgabe, den BürgerInnen Bos­nien-Herzegowinas oder der anderer Länder vorzuschreiben, welche Form der Verteidigung sie wählen. Aber in der Kenntnis, daß es Alternativen gibt, nehmen wir uns das Recht, Schritte wie eine Militärintervention zu kritisieren, Schritte in einer Logik, die wir ablehnen.

-     Wir glauben, daß es andere, bislang unversuchte Möglichkeiten gibt, hu­manitäre Hilfe in Sarajevo zu leisten und den Krieg zu beenden...

-     "Positive" Sanktionen könnten mehr bewirken als die Isolierung Serbiens. Dies könnte z.B. das Angebot an Serbien-Montenegro beinhalten, das Dritte Jugoslawien diplomatisch an­zuerkennen, das Angebot finanzieller Unterstützung oder ähnliches, alles an die Bedingung geknüpft, daß der Krieg in Bosnien-Herzegowina been­det und den in Serbien lebenden Minderheiten umfassende Rechte zu­gestanden werden.

-     Im Kosovo und im Sandjak, viel­leicht aber auch in Mazedonien kann ein Krieg wohl nur noch verhindert werden, wenn die internationale Ge­meinschaft ausnahmsweise einmal handelt, bevor geschossen wird. Es ist dringend erforderlich, das Recht auf Selbstbestimmung der Mazedo­nier und der Kosovo-Albaner inter­national anzuerkennen, Vermittler und internationale Beobachter in die Regionen zu schicken und sich um Vermittlung zwischen den Konflikt­parteien zu bemühen.

*     Auf jeden Fall sollten die vorhan­denen Vermittlungsversuche nicht abgebrochen, sondern ausgeweitet werden. Nicht-Regierungsorganisa­tionen sollten bei dem Versuch, eine friedliche Lösung der Probleme in Bosnien und den anderen Regionen zu finden, genauso hinzugezogen werden wie die Führer der extremi­stischen Gruppen; allein auf Ebene der Regierungen der Staaten sind die Konflikte nicht zu beenden. Es geht auch um eine Stärkung der zivilen Gesellschaft. Unterstützung bei der Verbreitung von unvoreingenomme­ner Information, Unterstützung von Nicht-Regierungsorganisationen bei der Betreuung von Flüchtlingen, die Förderung von Ausbildungen in ge­waltfreier Konfliktaustragung in allen Republiken, (wie sie seit über einem Jahr u.a. vom BSV durchgeführt werden) drängen auf eine Amnestie für alle Kriegsdienstverweigerer in allen Republiken, sowie die Ein­stimmung aller Konfliktparteien auf Versöhnung, wären einige der Schritte, die mittelfristig zu einer Re­duzierung der Gewalt im ehemaligen Jugoslawien beitragen könnten.

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