Kleinwaffenkontrolle: Widersprüche in der deutschen Politik

von Sami Faltas

Großwaffensysteme wie Bomber, Panzer und Flugzeugträger gehören keineswegs zum alten Eisen. Wie der Krieg im Irak gezeigt hat, erfüllen sie von Zeit zu Zeit durchaus noch eine Funktion zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Doch die Waffen, die heute am meisten benutzt werden und die meisten Opfer verursachen, sind Kleinwaffen. Verheerend ist vor allem der Missbrauch von Sturmgewehren, wie die russische Kalaschnikow, die deutsche G-3, die amerikanische M-16 und die belgische FAL, von denen Millionen in der Welt vagabundieren.

Diese Waffen kommen nicht nur im klassischen Krieg, wie Clausewitz ihn sah, zum Einsatz. Häufiger werden sie in politischen, ethnischen und anderen Konflikten, die sich innerhalb eines Staates abspielen, benutzt. Sie dienen aber auch dem kriminellen Geschäft, ob organisiert oder individuell. Dabei ist zu beachten, dass politische Gewalt und illegale Geschäfte in vielen Fällen miteinander verquickt sind. Zum Beispiel kann man sich fragen, ob die Rebellen in Kolumbien mit Drogen verhandeln und Menschen entführen, um ihren politischen Kampf zu finanzieren, oder ob sie sich der Waffen bedienen, um ihre illegalen Machenschaften fortsetzen zu können. Ähnliche Fragen kann oder konnte man sich auch zu den Rebellen in Sierra Leone, in Angola und in Kambodscha stellen.

Im Allgemeinen kann man vermuten, dass heute die meisten Länder und Regionen weniger vom internationalen Krieg im klassischen Sinne des Wortes als von politischer und krimineller Gewalt im Inland bedroht werden. Eigentlich wäre es die Aufgabe der betroffenen Staaten, diese Gewalt zu verhindern. Doch viele Staaten versagen.

Immerhin haben die Vereinten Nationen dieses Problem erkannt. Im Juli 2001 verabschiedete die Generalversammlung ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung des illegalen Kleinwaffenhandels "in allen seinen Aspekten". Der Zusatz war eine Kompromissformulierung, die es den Vorreitern, zu denen die deutsche Regierung gehörte, erlaubte, auf die Notwendigkeit einer strikten Kontrolle legaler Waffengeschäfte hinzuweisen, während die Bremser, zum Beispiel Indien, Ägypten, China und die USA, weiterhin behaupten konnten, dass sich das Aktionsprogramm ausschließlich mit den Problemen des Waffenschmuggels beschäftigt.

Dass das Aktionsprogramm viele solcher Kompromisse enthält, ist nicht verwunderlich und darf nicht über seine Verdienste hinwegtäuschen. Die größte Errungenschaft der Kleinwaffenkonferenz im Sommer 2001 ist, dass die VN offiziell die Kleinwaffenkontrolle zu einer wichtigen Aufgabe der internationalen Gemeinschaft erklärt haben. Das Aktionsprogramm enthält mehrere wichtige Elemente, zu denen die Mitglieder der VN sich politisch, wenn auch nicht völkerrechtlich, verpflichtet haben. Schließlich hat das Aktionsprogramm einen Prozess angestoßen, der in diesem Sommer seinen zweiten Meilenstein erreicht.

Vom 7. bis 10. Juli 2003 trifft sich nämlich die VN-Generalversammlung in New York, um die Umsetzung des Aktionsprogramms zu diskutieren. Was geleistet worden ist und was zu tun bleibt, werden die wichtigsten Fragen sein. Dabei wird zumindest ansatzweise deutlich werden, welche Staaten das Aktionsprogramm ernst nehmen und welche nicht.

Im Rahmen dieses Staatentreffens organisiert das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt, InWEnt, der GTZ und anderen Organisationen am 9. Juli in New York einen Workshop über den Bedarf an Weiterbildungsprogrammen, die in Entwicklungsländern die Voraussetzungen für Kleinwaffenkontrolle verbessern sollen.

Wie viele andere Staaten hat Deutschland den VN einen Bericht über seine Umsetzung des Aktionsprogramms geschickt, der mit anderen auf der Internetsite "disarmament.un.org" der VN veröffentlicht worden ist. Dieser ist relativ ausführlich und belegt, dass Deutschland die Kleinwaffenkontrolle ernst nimmt. Das war bereits vor der Verabschiedung des Aktionsprogramms der Fall, so dass nur in wenigen Fällen ergänzende Maßnahmen zur Umsetzung dieses Programms erforderlich waren.

Eine scheinbar banale, in Wirklichkeit aber wichtige Forderung des Aktionsprogramms ist die Ernennung von nationalen Kontaktadressen, die im Inland für die Koordinierung von Kleinwaffenkontrollmaßnahmen sorgen und nach außen als Ansprechpartner dienen sollen. In Deutschland ist das Referat Rüstungskontrolle im Auswärtigen Amt, das von Dr. Berthold Johannes geleitet wird, dafür zuständig.

Wenn es um die Kleinwaffenkontrolle geht, kann man die deutsche Regierung für ihr internationales Engagement und die Zerstörung von fast anderthalb Millionen überschüssiger Kleinwaffen von NVA und Bundeswehr loben. Es bleiben aber auch Fragen und Wünsche offen.

So hat die Bundesregierung versichert, dass sie sich heute darum bemüht, die unerwünschte Lieferung von in Deutschland entwickelten Waffen, die im Ausland hergestellt und verkauft werden, zu unterbinden. In vergangenen Jahrzehnten haben solche Lieferungen dazu geführt, dass die von Heckler & Koch entwickelte G3 in den Kriegszonen Afrikas nach der Kalaschnikow das am meisten benutzte Sturmgewehr ist. Die deutsche Regierung weigert sich allerdings, zu erklären, wie sie solche Lieferungen verhindern will.

In seinem lesenswerten Buch "Versteck dich, wenn sie schießen" (München, Droemer, 2003) dokumentiert der Journalist Jürgen Grässlin den Missbrauch deutscher Waffen in den kurdischen Gebieten und in Somalia. Hier werden die menschlichen Kosten einer lückenhaften und ambivalenten Rüstungsexportpolitik, die Deutschland früher betrieb, sichtbar. Grässlin belegt, dass selbst in den späten achtziger Jahren Nachbaulizenzen für militärische Kleinwaffen, zum Beispiel die Maschinenpistole MP5 von Heckler & Koch, an ausländische Hersteller vergeben worden sind. Er vermutet, dass diese Waffe im Iran und in Myanmar illegal nachgebaut wird. Diese legalen und illegalen ausländischen Fertigungen deutscher Waffentypen ziehen auch heute Exporte nach sich, die in Deutschland nicht möglich wären, weil sie politisch inakzeptabel sind. So lange die Bundesregierung der Öffentlichkeit nicht klar macht, was sie unternimmt, um diese politisch zwielichtigen und zum Teil illegalen Geschäfte zu unterbinden, muss sie sich den Verdacht gefallen lassen, dass sie sie hinnimmt.

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Hintergrund
Sami Faltas ist Politikwissenschaftler und promovierter Volkswirt. BeimKonversionszentrum Bonn (BICC) ist er für Forschung und Beratung auf dem Gebiet Kleinwaffenproblematik zuständig.