Verhandlungen zur Kriegsbeendigung

Kluge Verhandlungsprozesse schützen und unterstützen

von Hanne-Margret Birckenbach
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Niemand kann heute sagen ob, wie und welche Wege gefunden werden, die Ausweitung des Krieges in der Ukraine zu verhindern, ihn zu beenden und die ursächlichen Probleme zu lösen. An welche realen Prozesse kann die Friedensbewegung akut anknüpfen, um eine solche Entwicklung zu stützen?

Unstrittig ist, dass der Krieg in der Ukraine nur durch Verhandlungen zwischen allen beteiligten Staaten – und das heißt auch mit dem Aggressor – beendet wird. Auch der Präsident der USA hat am 31. Mai in einem Gastbeitrag der New York Times den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskij zitierend erklärt, dass dieser Krieg letztlich nur durch Diplomatie endgültig beendet werden kann. Tatsache ist, dass parallel zum Krieg kontinuierlich Sondierungsgespräche und Verhandlungen stattfinden. Während man den Nachrichten über den militärischen Frontverlauf kaum entgehen kann, sind nur Bruchstücke darüber bekannt, was auf diplomatischer Ebene geschieht. Solange diese Bemühungen nicht kommuniziert werden, wächst das Misstrauen gegen sie. Verhandlungsbereitschaft wird dann negativ als Entmutigung, Zugeständnis und Niederlage im Kampf gegen das Böse wahrgenommen. Es heißt sogar, sie spiele der Kriegspropaganda in Russland in die Hände. Auch im Friedensforum 4/22 S. 4) war abwertend zu lesen, die Vereinten Nationen (VN) hätten völlig versagt. Aber ein differenzierter Blick auf ihre Arbeitsweise lohnt sich. (1) Denn die in den VN angestoßene Entwicklung setzt Maßstäbe für die politische Debatte und eine konstruktive Friedensarbeit in Deutschland.

Erstens sind die VN mit mehr als zwanzig ihrer Sonderorganisationen und einem Koordinator des Generalsekretärs ständig in der Ukraine präsent. Zu ihnen gehören das UN Flüchtlingswerk, die Frauenorganisation UN Women, das Welternährungsprogramm, die Internationale Atomenergiebehörde und die Abteilung für Friedensschaffung. Der Generalsekretär hat einen Koordinator entsandt, über den eine ständige Verbindung nach außen gewährleistet ist. Somit sind die VN die am besten informierte internationale Quelle, um zu erfahren, welche Unterstützung die Menschen gegenwärtig brauchen.

Zweitens ist niemals zuvor ein im Sicherheitsrat (SR) vertretener Aggressor so unmissverständlich der Kritik ausgesetzt worden. Und nirgends sonst ist der Weg zu einer Friedensentwicklung in der Ukraine klarer skizziert worden als in den VN. Zwar konnte Russland aufgrund seiner Vetomacht einer Verurteilung im SR entgehen, nicht aber einer eindeutigen Verurteilung durch den Generalsekretär direkt zu Kriegsbeginn und wenige Tage später durch die Generalversammlung (GV). Diese hat in zwei Resolutionen mit einer Mehrheit von 141 und 140 Stimmen drei klare Vorgaben für ein weiteres Vorgehen gemacht.

  • Die Normen der Charta der VN gelten bedingungslos, auch wenn ein mächtiges SR-Mitglied gegen sie verstößt.  Krieg darf nach dem Willen der VN nicht sein. Außerdem hat die GV einen sofortigen Waffenstillstand sowie eine sofortige Beilegung des Konfliktes gefordert und die Mittel dazu benannt: durch politischen Dialog, Verhandlungen und andere friedliche Mittel. Zwangsmittel wie Sanktionen oder auch Waffenlieferungen gehören laut UN-Charta nicht zu den friedlichen Mitteln. Für Aktionen außerhalb der friedlichen Mittel, die von den westlichen Staaten in Form von Sanktionen und Aufrüstung praktiziert werden, gibt es in der GV keine Mehrheit.
  • Die GV hat auch Forderungen aufgestellt, aus denen sich die Themen ergeben, über die verhandelt werden muss. Mit ihnen ist auch ein Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen Lösungen gefunden werden müssen: Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine, Rücknahme von Annexionsentscheidungen, Rückkehr zu den Minsker Vereinbarungen, Öffnung von Fluchtwegen, Zugang für humanitäre Hilfe sowie globale Ernährungssicherheit.
  • Die GV äußert sich schließlich zum Verfahren: Sie fordert die Staaten auf, die Bemühungen der internationalen Organisationen um eine Deeskalation und einen anhaltenden Dialog zu unterstützen.

Ein Prozess hat begonnen
Drittens hat die GV die Vetomacht der fünf ständigen Mitglieder im SR wirkungsvoll eingeschränkt. Wenn ein Mitglied des Sicherheitsrates ein Veto eingelegt hat, kann die GV eine Debatte ansetzen und eine rechtfertigende Erläuterung verlangen. Kaum war dieser neue Mechanismus in Kraft, sah sich der SR in der Lage, eine Erklärung zum Ukraine Krieg im Konsens auszuhandeln. In dieser erinnert er an die Verpflichtung, internationalen Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen, sichert zu, die Bemühungen des Generalsekretärs bei der Suche nach einer friedlichen Lösung zu unterstützen und fordert diesen auf, den SR über den weiteren Verlauf zu unterrichten.

Im Juni konnte man dementsprechend in der Zeitung von einem Friedensplan lesen, den der italienischen Ministerpräsident Draghi mit dem Generalsekretär der VN abgestimmt hat. Vermutlich ist es bei dem Besuch der drei Regierungschefs in der Ukraine auch um diesen Plan gegangen. Fünf zentrale Verhandlungsthemen werden darin benannt: (1) Ein Waffenstillstand mit einer Entmilitarisierung der Kampfzonen und internationale Kontrollmechanismen, (2) ein neutraler Status der Ukraine, (3) Kompromisse in territorialen Fragen, (4) eine europäische Sicherheitsordnung, in der die Beziehungen mit Russland geregelt und in der Konfliktprävention ernst genommen wird sowie (5) Rücknahme der Sanktionen gegen Russland.

Schließlich hat im Juli in der Schweiz ein Verhandlungsprozess begonnen, der 2023 in Großbritannien und 2014 in Deutschland fortgesetzt werden soll. Vertreter*innen von 14 internationalen Organisationen sowie der Weltbank und 38 Staaten sowie die Kommissionspräsidentin der EU haben sich auf sieben Grundprinzipien für einen Wiederaufbau geeinigt. Demzufolge muss dieser gesamtgesellschaftlich angelegt werden. Das heißt, die Bevölkerung, einschließlich der Vertriebenen und Rückkehrer*innen aus dem Ausland und die lokale Selbstverwaltung zu beteiligen, eine wirksame Dezentralisierung, Geschlechtergleichheit, Inklusion und politische wie wirtschaftliche und soziale Menschenrechte zu fördern. Auch muss der Wiederaufbau im Einklang mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Abkommen erfolgen sowie soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte integrieren. (2)

Damit eine solche abgestimmte Programmatik auch umgesetzt werden kann und Vertrauen in den Verhandlungsprozess wächst, sind erfahrungsgemäß zwei Veränderungen notwendig. Zum einen ist eine humane Erzählung erforderlich, die das in allen Lagern verständliche Ziel ausmalt, Menschenleben zu schonen. Zum anderen sind jetzt materielle Investitionen in das breite Repertoire der friedlichen Streitbeilegung, nicht zuletzt in ziviles Peacekeeping, kommunale Konfliktbearbeitung, mediative Dialoge und Friedensbildung unabdingbar. Die akut einsetzbaren personellen und materiellen Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus. Das Kriegsende vom Frieden her denken, heißt somit auch, kluge diplomatische Friedensbemühungen aufzugreifen, sie zu konkretisieren und zu ergänzen, die Kenntnis von ihnen zu verbreiten, sie vor Abwertung zu schützen und dafür einzutreten, dass die politischen und zivilgesellschaftlich Bedingungen für eine qualifizierte Umsetzung entstehen.

Anmerkungen
1 https://unric.org/de/ukraine/
2 https://www.eda.admin.ch/dam/eda/en/documents/aktuell/dossiers/urc2022_l...

Ausgabe

Rubrik

Krisen und Kriege