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Knastreport
vonGandhi schrieb einmal, ein ziviler Ungehorsamer sollte die Gefängniszelle betreten wie ein Bräutigam das Brautgemach. Ganz so weit ist es bei mir noch nicht, doch bei jedem Aufenthalt im "Staatshotel Rottenburg" - der letzte war mein siebenter - verstehe ich besser, was er damit sagen will. Das Gefängnis ist ein integraler Bestandteil des Kampfes um Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungserhalt, denn es verändert uns und die Gesellschaft wie nichts anderes.
Nun ist es aber in unserem Staat gar nicht so leicht, wegen zivilem Ungehorsam ins Gefängnis zu kommen, denn für den Staat ist jeder, der die Ersatzfreiheitsstrafe absitzt, ein schlechtes Geschäft. Er kostet den Staat täglich 180 DM, während durch die Bezahlung der Strafe Geld in die Staatskasse fließt. Deshalb steht es den Ungehorsamen nicht frei, zwischen Gefängnis und Bezahlung der Strafe zu wählen. Nur wenn das Geld selbst durch den Gerichtsvollzieher nicht eingetrieben werden kann, tritt die Ersatzfreiheitsstrafe in Kraft. Dennoch bin ich der Auffassung, jeder Akt des zivilen Ungehorsams gegen einen Staat, der das denkbar größte Verbrechen des Menschheitsmordes durch einen Atomkrieg vorzubereiten und am Ende auch durchzuführen hilft, ist von unschätzbarem Wert. Auch diejenigen, die letztlich die Geldstrafe bezahlen müssen, weil sie keine andere Wahl haben, oder sie durch gemeinnützige Arbeit abgelten, tun das Richtige. Nichtsdestoweniger haben zehn Mitglieder der EUCOMmunity und der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen, die die Möglichkeit hatten, zwischen bezahlen und absitzen zu wählen, das Gefängnis gewählt.
Ich werde oft gefragt, ob die Atomkriegsgefahr mit dem Ende der Kalten Krieges nicht gebannt sei, und ob es für die Friedensbewegung nicht wichtigere Themen gäbe, z.B. Kosovo oder Tschetschenien. Ich denke nicht so. Die neue Nato-Strategie setzt nicht nur unvermindert auf die Politik der atomaren Abschreckung, sie droht auch mit dem Ersteinsatz dieser Waffen im Fall einer drohenden konventionellen Niederlage, und sie erweitert ihren Anwendungsbereich auf "Schurkenstaaten" und Terrororganisationen, die mit chemischen oder bakteriologischen Massenvernichtungsmitteln angreifen. Die Nato tut das unter zynischer Missachtung des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996, das Atomwaffen für generell völkerrechtswidrig erklärte und die Atomwaffenstaaten nachdrücklich aufforderte, in ernsthafte Verhandlungen zur Abschaffung dieser Waffen einzutreten. Ich weiß, was die zahlreichen Kriege, die heute geführt werden, für die unmittelbar Betroffenen bedeuten. Protest und gewaltfreier Widerstand dagegen sowie die Entwicklung und der Aufbau konstruktiver Alternativen zu Krieg und Gewalt als Mittel der Konfliktaustragung sind unerlässlich. Doch, so furchtbar, ja fast zynisch es klingen mag, die Menschheit würde solche Kriege überleben. Sie würde sogar einen konventionell geführten Weltkrieg überleben. Einen atomaren Weltkrieg würde sie jedoch nicht überleben. Nach wie vor gilt, was General George Lee Butler 1998 in einem SPIEGEL-Interview (32/1998, 140) sagte: "Nukleare Abschreckung ist ein Hasardspiel, das irgendwann verlorengeht." Der Mann weiß, wovon er spricht, denn er war von 1992-94 Oberkommandierender der amerikanischen Atomstreitmacht!
Vor allem sollten wir eines nicht vergessen: Der atomare Holocaust wird eines Tages wie eine Naturkatastrophe über uns hereinbrechen, weil wir die Zeit nicht genützt haben, in der er hätte verhindert werden können - und diese Zeit ist jetzt! Daher sind die rund 130 Festnahmen wegen gewalifreier Aktionen, die über hundert Prozesse und die zehn Gefängnisaufenthalte, ganz zu schweigen von den weit über hunderttausend Mark Geldstrafen, Gerichts- und Qrganisationskosten, die die beiden Friedensinitiativen bisher eingesetzt haben, nicht zu viel, sie sind noch viel zu wenig angesichts dessen, was auf dem Spiel steht.
Die öffentliche und private Resonanz meiner jüngsten "Mahnwache hinter Gittern" hat mich überrascht. Es gab zahlreiche Presseberichte, zwei Interviews und einen Fünfminutenreport in der Landesschau Baden-Württemberg, und als Folge davon 10-15 Solidaritätsbriefe täglich. Daraus schließe ich, dass sich die Friedensbewegung wieder erholt. Zweifellos spielen dabei auch die Enttäuschung über die Politik der rot-grünen Koalition und die Korruption der Parteipolitiker eine Rolle. Wir können nur hoffen, dass die Folge davon nicht Resignation und Zynismus bei den Bürgerinnen und Bürgern ist, sondern Einsicht in die Unverzichtbarkeit von Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen.
Für mehrere Entzäunungsaktionen am EUCQM rückte ich am 22. November 1999 in die Justizvollzugsanstalt Rottenburg ein. Von den 140 Tagen, auf die ich mich innerlich eingestellt hatte, wurden mir die Hälfte "wegen Überfüllung der Gefängnisse" erlassen. Wohl war die Trennung von der Familie, zumal an Weihnachten und Neujahr, auch für mich schmerzlich, doch der Unterschied zwischen meiner Situation und der der meisten Gefangenen war gewaltig: Die soziale Ächtung, der drohende wirtschaftliche Ruin der Familie, deren Verdiener ausfällt und die folglich auf Sozialhilfe angewiesen ist, das Zerbrechen der Beziehungen als Folge davon, die andauernde Stresssituation des Gefangenseins sowie die bedrückenden Zukunftsaussichten, namentlich bei Alkoholikern und Drogensüchtigen, mit denen "normale" Gefangene zu kämpfen haben, blieben mir erspart. Die Not und Verzweiflung, die man da miterlebt, machen einen oftmals hilflos. Der wichtigste Unterschied besteht jedoch in dem Bewusstsein, im Gefängnis zu sitzen, nicht weil man etwas falsch, sondern weil man etwas richtig gemacht hat.
Was meine persönliche Situation anbetraf, so hatte ich mir ein umfangreiches Arbeitsprogramm vorgenommen. Man darf nämlich bis zu zehn Bücher mit ins Gefängnis nehmen. Wer die strenge Gefängnisdisziplin annimmt, erfährt sie als eine große Erleichterung bei der Gestaltung des Tagesablaufs: Der Staat sorgt für alles, was der Mensch braucht, und er hält alle Störungen und Verlockungen des Alltags sorgfältig von einem fern. Was als Strafe gedacht ist, wird so zur Wohltat.
Ich hatte mich dem Gefängnisrhythmus schon bald recht gut angepasst: 6 Uhr Wecken. 7 Uhr Abmarsch zur Arbeit. Ich arbeitete fünf Stunden in einem Montagebetrieb, die anderen Häftlinge sieben Stunden. Die Verkürzung meiner Arbeitszeit war ein großes Privileg, das ich sehr zu schätzen wusste, denn andernfalls wäre mir für mein wissenschaftliches Arbeitsprogramm nicht mehr viel Zeit geblieben. 12 Uhr war Mittagessen, 15-16 Uhr Hofgang, 17 Uhr Abendessen. Die meisten Gefangenen vertreiben sich die Freizeit mit essen, schwatzen, Karten spielen oder fernsehen. Für einen zivilen Ungehorsamen hat das Gefängnis jedoch manche Ähnlichkeit mit einem Kloster. Es lädt förmlich zur Einkehr und Selbstbesinnung ein. In dieser Hinsicht kann es wärmstens empfohlen werden.
Demnächst steht der Prozess vor dem Amtsgericht Cochem wegen einer Entzäunungsaktion am Atomwaffenstandort Büchel im August vergangenen Jahres bevor. Vielleicht kommt es doch noch dahin, dass ich die Gefängniszelle betrete "wie der Bräutigam die Brautkammer".