Knastreport

von Wolfgang Sternstein
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Gandhi schrieb einmal, ein ziviler Ungehorsamer sollte die Gefängnis­zelle betreten wie ein Bräutigam das Brautgemach. Ganz so weit ist es bei mir noch nicht, doch bei jedem Aufenthalt im "Staatshotel Rotten­burg" - der letzte war mein siebenter - verstehe ich besser, was er damit sagen will. Das Gefängnis ist ein integraler Bestandteil des Kampfes um Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungserhalt, denn es verändert uns und die Gesellschaft wie nichts anderes.

Nun ist es aber in unserem Staat gar nicht so leicht, wegen zivilem Ungehor­sam ins Gefängnis zu kommen, denn für den Staat ist jeder, der die Ersatzfrei­heitsstrafe absitzt, ein schlechtes Ge­schäft. Er kostet den Staat täglich 180 DM, während durch die Bezahlung der Strafe Geld in die Staatskasse fließt. Deshalb steht es den Ungehorsamen nicht frei, zwischen Gefängnis und Be­zahlung der Strafe zu wählen. Nur wenn das Geld selbst durch den Gerichtsvoll­zieher nicht eingetrieben werden kann, tritt die Ersatzfreiheitsstrafe in Kraft. Dennoch bin ich der Auffassung, jeder Akt des zivilen Ungehorsams gegen einen Staat, der das denkbar größte Ver­brechen des Menschheitsmordes durch einen Atomkrieg vorzubereiten und am Ende auch durchzuführen hilft, ist von unschätzbarem Wert. Auch diejenigen, die letztlich die Geldstrafe bezahlen müssen, weil sie keine andere Wahl ha­ben, oder sie durch gemeinnützige Ar­beit abgelten, tun das Richtige. Nichts­destoweniger haben zehn Mitglieder der EUCOMmunity und der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen, die die Möglichkeit hatten, zwischen bezahlen und absitzen zu wählen, das Gefängnis gewählt.

Ich werde oft gefragt, ob die Atom­kriegsgefahr mit dem Ende der Kalten Krieges nicht gebannt sei, und ob es für die Friedensbewegung nicht wichtigere Themen gäbe, z.B. Kosovo oder Tschet­schenien. Ich denke nicht so. Die neue Nato-Strategie setzt nicht nur unver­mindert auf die Politik der atomaren Abschreckung, sie droht auch mit dem Ersteinsatz dieser Waffen im Fall einer drohenden konventionellen Niederlage, und sie erweitert ihren Anwendungsbe­reich auf "Schurkenstaaten" und Terror­organisationen, die mit chemischen oder bakteriologischen Massenvernich­tungsmitteln angreifen. Die Nato tut das unter zynischer Missachtung des Gut­achtens des Internationalen Gerichtshofs vom 8. Juli 1996, das Atomwaffen für generell völkerrechtswidrig erklärte und die Atomwaffenstaaten nachdrücklich aufforderte, in ernsthafte Verhandlun­gen zur Abschaffung dieser Waffen ein­zutreten. Ich weiß, was die zahlreichen Kriege, die heute geführt werden, für die unmittelbar Betroffenen bedeuten. Protest und gewaltfreier Widerstand da­gegen sowie die Entwicklung und der Aufbau konstruktiver Alternativen zu Krieg und Gewalt als Mittel der Kon­fliktaustragung sind unerlässlich. Doch, so furchtbar, ja fast zynisch es klingen mag, die Menschheit würde solche Kriege überleben. Sie würde sogar einen konventionell geführten Weltkrieg überleben. Einen atomaren Weltkrieg würde sie jedoch nicht überleben. Nach wie vor gilt, was General George Lee Butler 1998 in einem SPIEGEL-Inter­view (32/1998, 140) sagte: "Nukleare Abschreckung ist ein Hasardspiel, das irgendwann verlorengeht." Der Mann weiß, wovon er spricht, denn er war von 1992-94 Oberkommandierender der amerikanischen Atomstreitmacht!

Vor allem sollten wir eines nicht ver­gessen: Der atomare Holocaust wird ei­nes Tages wie eine Naturkatastrophe über uns hereinbrechen, weil wir die Zeit nicht genützt haben, in der er hätte ver­hindert werden können - und diese Zeit ist jetzt! Daher sind die rund 130 Fest­nahmen wegen gewalifreier Aktionen, die über hundert Prozesse und die zehn Gefängnisaufenthalte, ganz zu schwei­gen von den weit über hunderttausend Mark Geldstrafen, Gerichts- und Qrga­nisationskosten, die die beiden Friedensinitiativen bisher eingesetzt haben, nicht zu viel, sie sind noch viel zu wenig angesichts dessen, was auf dem Spiel steht.

Die öffentliche und private Resonanz meiner jüngsten "Mahnwache hinter Gittern" hat mich überrascht. Es gab zahlreiche Presseberichte, zwei Inter­views und einen Fünfminutenreport in der Landesschau Baden-Württemberg, und als Folge davon 10-15 Solidaritäts­briefe täglich. Daraus schließe ich, dass sich die Friedensbewegung wieder er­holt. Zweifellos spielen dabei auch die Enttäuschung über die Politik der rot-grü­nen Koalition und die Korruption der Parteipolitiker eine Rolle. Wir können nur hoffen, dass die Folge davon nicht Resignation und Zynismus bei den Bür­gerinnen und Bürgern ist, sondern Ein­sicht in die Unverzichtbarkeit von Bür­gerinitiativen und sozialen Bewegun­gen.

Für mehrere Entzäunungsaktionen am EUCQM rückte ich am 22. November 1999 in die Justizvollzugsanstalt Rot­tenburg ein. Von den 140 Tagen, auf die ich mich innerlich eingestellt hatte, wurden mir die Hälfte "wegen Überfül­lung der Gefängnisse" erlassen. Wohl war die Trennung von der Familie, zumal an Weihnachten und Neujahr, auch für mich schmerzlich, doch der Unterschied zwischen meiner Situation und der der meisten Gefangenen war gewaltig: Die soziale Ächtung, der dro­hende wirtschaftliche Ruin der Familie, deren Verdiener ausfällt und die folglich auf Sozialhilfe angewiesen ist, das Zer­brechen der Beziehungen als Folge da­von, die andauernde Stresssituation des Gefangenseins sowie die bedrückenden Zukunftsaussichten, namentlich bei Al­koholikern und Drogensüchtigen, mit denen "normale" Gefangene zu kämpfen haben, blieben mir erspart. Die Not und Verzweiflung, die man da miterlebt, machen einen oftmals hilflos. Der wichtigste Unterschied besteht jedoch in dem Bewusstsein, im Gefängnis zu sit­zen, nicht weil man etwas falsch, son­dern weil man etwas richtig gemacht hat.

Was meine persönliche Situation anbe­traf, so hatte ich mir ein umfangreiches Arbeitsprogramm vorgenommen. Man darf nämlich bis zu zehn Bücher mit ins Gefängnis nehmen. Wer die strenge Ge­fängnisdisziplin annimmt, erfährt sie als eine große Erleichterung bei der Ge­staltung des Tagesablaufs: Der Staat sorgt für alles, was der Mensch braucht, und er hält alle Störungen und Verlockungen des Alltags sorgfältig von einem fern. Was als Strafe gedacht ist, wird so zur Wohltat.

Ich hatte mich dem Gefängnisrhythmus schon bald recht gut angepasst: 6 Uhr Wecken. 7 Uhr Abmarsch zur Arbeit. Ich arbeitete fünf Stunden in einem Montagebetrieb, die anderen Häftlinge sieben Stunden. Die Verkürzung meiner Ar­beitszeit war ein großes Privileg, das ich sehr zu schätzen wusste, denn andern­falls wäre mir für mein wissenschaftli­ches Arbeitsprogramm nicht mehr viel Zeit geblieben. 12 Uhr war Mittagessen, 15-16 Uhr Hofgang, 17 Uhr Abendes­sen. Die meisten Gefangenen vertreiben sich die Freizeit mit essen, schwatzen, Karten spielen oder fernsehen. Für einen zivilen Ungehorsamen hat das Gefäng­nis jedoch manche Ähnlichkeit mit ei­nem Kloster. Es lädt förmlich zur Ein­kehr und Selbstbesinnung ein. In dieser Hinsicht kann es wärmstens empfohlen werden.

Demnächst steht der Prozess vor dem Amtsgericht Cochem wegen einer Ent­zäunungsaktion am Atomwaffenstandort Büchel im August vergangenen Jahres bevor. Vielleicht kommt es doch noch dahin, dass ich die Gefängniszelle be­trete "wie der Bräutigam die Braut­kammer".

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Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er kam als Wissenschaftler nach Wyhl, schloss sich aber schon bald der Widerstandsbewegung gegen das Atomkraftwerk an. In seiner Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ berichtet er ausführlich über den „Kampf um Wyhl“.