Können Arzneimittelhilfen Menschenleben gefährden?

von Albert Petersen
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Stellen sie sich vor: Sie arbeiten wieder als Arzt in einem 150 Betten Hospital in Bosnien, nachdem Sie die deutsche Medizin durch ein zweijähriges Stipendium etwas kennenlernen konnten. Ihre zwei Kolle­gen sind Landsleute, auch der Chefarzt. Nur ein deutscher Kranken­pfleger und ein englischer Kinderarzt im Praktikum helfen etwas mit. Die Medikamentenversorgung Ihres Landes brach total zusammen, es fehlt an allem. Sie erinnern sich alter Bekanntschaften und bitten Ihre Freunde in Deutschland um Unterstützung. Nach 2 Monaten trifft die er­ste Hilfssendung ein, verbunden mit Transport- und Zollproblemen. Nun werden die Pakete in großer Erwartung geöffnet, was zutage tritt, ist ein Schock:

-     Alles Kleinpackungen, von vielen Präparaten nur 30 Tbl.: Wie will man damit eine Langzeittherapie abdecken? Können durch den dadurch er­forderlichen Präparatewechsel wäh­rend einer Therapie Krankheiten ver­stärkt werden?

-     Eine große Fülle verschiedene Medi­kamente, wer hat Zeit, sie zu sortie­ren? Die Zeit muß abgezweigt wer­den von medizinischen Aufgaben oder von der sowieso zu knapp be­messenen Erholungszeit. Gefährdet der dadurch verstärkte Stress die Pati­enten?

-     Viele Medikamentennamen sind in Ihrem Krankenhaus unbekannt. Hat Ihre Mitarbeiterin, die die Apotheke leitet, ein deutschsprachiges Nach­schlagewerk, kann sie es lesen?

-     Sehr viele Präparate sind neu, auch auf dem deutschen Markt - erhielten Sie wie die deutschen KollegInnen eine wissenschaftliche Hochglanz­broschüre der Firma mit allen wichti­gen Daten? Die entsprechende Be­schreibung in den wichtigen Fach­zeitschriften wie Lancet erscheint erst in einem Jahr. "Ein Medikament wirkt zu 50 % durch den Arzneistoff, zu 50 % durch die dazugehörende Fachinfomation an Arzt und Patient" (Zitat eines CIBA Mitarbeiters).

-     70% der angekommenen Medika­mente sind gegen sogenannte Zivili­sationskrankheiten.

-     20% der Medikamente sind verfallen. "Zum Glück" bemerkten die Grenz­kontrolleure es nicht, denn sie hätten sonst vielleicht die gesamte Sendung festgehalten. Sind Sie sicher, daß ein Präparat weit über dem Verfallsda­tum keine Nebenwirkungen verur­sacht? Wer beobachtet die Patienten, wenn sie schon lange wieder in ihr Haus oder Lager zurückgekehrt sind? Übrigens: Heute ist jede Packung ohne Verfallsdatum älter als 5 Jahre, also verfallen! Wie soll der Arznei­müll sicher entsorgt werden? Wie viele Kinder und Erwachsene werden gefährdet durch Anwendung der nicht sachgemäß entsorgten Medi­kamente (z.B. via Müllkippe auf den Schwarzmarkt)?

-     Durch die Abgabe von Markenpräpa­raten gewöhnen Sie die Patienten an die so schönen  Blisterpackungen deutscher Markenpräparate. Es wird dann schwierig, wieder zu Packungen aus eigener Produktion oder zu Ein­zelabfüllung aus Großpackungen zu­rückzukehren.

So sind nun in den bei Ihnen angekom­menen Paketen nur 5-10 % der Präpa­rate bedingt anwendbar - wenn jemand die Sprache verstehen würde... Sie selbst waren in Deutschland und kennen sich etwas mit deutscher Arznei aus. Aber was ist mit Ihren einheimischen MitarbeiterInnen?

Okay werden Sie sagen, das klingt ja ir­gendwie überzeugend. Aber können wir nicht zumindest Firmen anschreiben und diese um Sachspenden bitten? Da be­steht doch die Chance, eine größere Menge eines Präparates zu erhalten. Hier würde sich dann doch sogar eine Übersetzung lohnen ... Leider ist auch hier Vorsicht geboten. Oft erhält man Präparate, deren Verfall kurz bevorsteht. Oder Restbestände hier bei uns vom Markt genommener Arzneien.

Der Autor diese Artikels ist aufgrund fast 25jähriger Erfahrung in der phar­mazeutischen Entwicklungshilfe fest überzeugt, daß durch gutgemeinte aber nicht durchdachte Arzneimittelhilfen aus den obengenannten Gründen viele Menschen gefährdet wurden und wer­den. Gewiss, viele Kranke konnten durch solche Spenden geheilt werden. Das darf nicht übersehen werden.

Experten der Weltgesundheitsorganisa­tion (WHO) sagen seit 1977, daß eine Konzentration auf wenige bekannte und wirksame Medikamente sinnvoll ist. Mit den in der "Essential Drug List" ge­nannten 270 Arzneistoffen können etwa 95% aller behandelbaren Krankheiten abgedeckt werden. Über 100 Länder entwickelten inzwischen eigene natio­nale Arzneilisten, in Kenia revidierte man im Dezember '93 die Landesliste und setzte 195 (!) Arzneistoffe fest (mit insgesamt 256 Stärken bzw. Darrei­chungsformen). Diese Auswahl gilt selbst für das große Referral Kenyatta National Hospital.

Anbieter:

In Europa gibt es mehrere Anbieter, die sich auf das Essential Drug Pro­gram der WHO spezialisierten, zum Beispiel:

"Action Medeor"
St.Toeniser Str. 21
47918 Toenisvorst
Fax: 02156 / 80632

"Sanavita"
Am Bahnhof 1-3
59368 Werne
02389 / 797259

"IDA"
P.O.Box 37098
1030 AB Amsterdam
0031/29031854
"Echo"
Ullswater Crescent GB
Coulsd.Surrey CR5 2HR
0044/81/6680751

(für größere Mengen weitere Adres­sen beim Autor abrufbar )

Die von der WHO empfohlenen 270 Ba­sismedikamente sind sehr kostengünstig auf dem Weltmarkt erhältlich. In Groß­packungen und mit international ver­ständlicher generischer Beschriftung. Schon einige wenige davon können in einer Krankenstation die Versorgungs­lage entscheidend verbessern. ASS wird für DM 4,50/1000 Tbl. angeboten, Me­bendazol für DM 9,45/1000, Amoxicil­lin 250mg für DM 45,-/1000... Natürlich GMP-gemäß hergestellt in entsprechen­der Arzneibuchqualität.

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