Eine Geschichte gewaltfreier Intervention in Konflikte

Können Friedensdienste Kriege verhindern oder beenden?

von Christine Schweitzer

Die Frage, ob Friedensdienste Kriege verhindern oder stoppen können, mag auf den ersten Blick naiv aussehen. Jeder "weiß" doch, dass sie in der Regel nur in den Zeiten vor einer Eskalation zum Krieg, oder nach einem Waffenstillstand zum Einsatz kommen. Und auch wenn dieses "Wissen" eher eine von einem wissenschaftlichen Artikel zur nächsten öffentlichen Diskussion über Konfliktbearbeitung transportierte Legende als die empirische Wahrheit darstellt - denn es gibt zahlreiche Gegenbeispiele von Friedensdiensten oder Peace Teams, die in einem militärisch und kriegsgeprägten Umfeld agieren - so tut dies der scheinbaren Absurdität einer solchen Frage doch wenig Abbruch.

Eine umfassende Geschichte von gewaltfreien Interventionen in Konflikte ist noch nicht geschrieben. Doch ist klar, dass das Ziel, eine stehende "Friedensarmee` zu schaffen, die beim Völkerbund oder später den Vereinten Nationen angesiedelt sein sollte, im 20. Jahrhundert immer wieder auftauchte, genauso wie Projekte, die es sich zum Ziel machten, einen Krieg zu verhindern, indem sich die zivilen AktivistInnen zwischen die Frontlinien stellen wollten. Jüngere Beispiele dieser Art auf Graswurzelebene sind das "Gulf Peace Team` von 1991, das den ersten Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak verhindern wollten, und verschiedene Initiativen, die in Palästina tätig sind.

Die Erfolgsbilanz dieser Initiativen, die einen Krieg durch "Dazwischenstellen` verhindern wollten, ist nicht überwältigend: Die meisten der etlichen Dutzend, die es gegeben hat, scheiterten schon in der Planungsphase und erreichten nicht einmal das Land, in dem sie tätig werden wollten. (So z.B. das erste derartige Projekt von der Engländerin Maud Royden in den frühen 30er Jahren, die, von Gandhi beeinflusst, eine "Friedensarmee` aufstellen wollten, um den drohenden Krieg zwischen Japan und China zu verhindern.) Anderen gelang dies, aber ohne dass im Nachhinein irgendeine messbare Auswirkung auf den Konflikt festgestellt werden konnte. (Das Gulf Peace Team saß hilflos in der Wüste und musste die Bomber über seine Köpfe fliegen sehen, bis es dann von den irakischen Behörden evakuiert wurde.) Es gibt allerdings auch ein paar Ausnahmen, die wichtigste vielleicht die der amerikanischen "Witness for Peace", einer Peace-Team Organisation, die im Rahmen christlicher Kirchen in den USA 1983 gegründet wurde, um damals einen militärischen Angriff der USA auf das sozialistische Nicaragua zu verhindern. Sie entsendeten regelmäßig Delegationen von US-Bürgern in das Land, und begleiteten deren Präsenz in den Regionen Nicaraguas, wo ein Angriff erwartet wurde, mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit in den USA. Ihnen wird in der Regel ein Anteil daran zugeschrieben, dass die damalige US-Regierung auf einen Angriff auf Nicaragua verzichtete.

Neben diesen Projekten gibt es einige andere Organisationen und Projekte, deren Erfolgsbilanz weitaus beeindruckender aussieht. Dazu gehören verschiedene Gruppen, die z.B. in Lateinamerika sich auf die gewaltfreie Eskortierung von Flüchtlingen bei ihrer Rückkehr konzentrieren, die (wie Peace Brigades International) Menschenrechtsverteidiger durch die Begleitung durch internationale Freiwillige vor Mordanschlägen schützen, oder die auf vielfältige Art und Weise Gewalt durch ihre Präsenz und durch rechtzeitiges deeskalierendes Eingreifen zu verhindern suchen.

Sie sind auch der Gegenbeleg zu der anfangs zitierten Behauptung, dass Friedensdienste nur in den Phasen vor und nach einem Krieg tätig werden können. Der Häufigkeit ihres Einsatzes nach gesehen stimmt dies sicherlich, aber es gibt halt auch die Ausnahmen wie die von Peace Brigades International, die seit vielen Jahren im kolumbianischen Bürgerkrieg tätig sind, die in Palästina arbeitenden Gruppen wie die International Solidarity Movement, oder Nonviolent Peaceforce, deren Teams sich trotz einer neuen Eskalation zu Krieg in Sri Lanka bis dato behaupten konnten.

Und nicht zu vergessen bei der Frage, ob Friedensdienste (im weiteren Sinne verstanden) Kriege verhindern können, ist der Aspekt der Versöhnung. Wie in anderen Beiträgen in diesem Heft dargelegt, ist der Gedanke, (erneutem) Krieg dadurch vorzubauen, dass die Jugend zweier Länder sich kennenlernt und ihre Feindschaft gegeneinander abbaut, eine der größten Wurzeln der Entstehung von Friedensdiensten in Europa überhaupt. Es ist natürlich kaum feststellbar, ob so etwas wirklich möglich ist, aber dennoch ist die Bedeutung eines solchen Austausches und der dabei entstehenden Verbindungen und Freundschaften unzweifelhaft vorhanden.

Quellen zu diesem Thema (leider fast ausschließlich auf Englisch) können in der 2001 geschriebenen Machbarkeitsstudie von Nonviolent Peaceforce (www.) gefunden werden.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.