
Verlängerung bis Sonntag: Mehr als 1.300 Menschen haben unseren Ostermarsch-Aufruf, der in der taz, der Zeit und im Freitag erscheinen wird, bereits unterzeichnet. Bist du auch schon dabei?
Verlängerung bis Sonntag: Mehr als 1.300 Menschen haben unseren Ostermarsch-Aufruf, der in der taz, der Zeit und im Freitag erscheinen wird, bereits unterzeichnet. Bist du auch schon dabei?
Am 6. August '89 segelten 18 Stuhrer "Volksdiplomaten" mit der alten Zweimast-Bark "Fortuna" nach Sigulda an der Rigaer Bucht. Erst kurz vorher hatten die Behörden der UdSSR das Durchsegeln der militärischen Sperrbezirke vor der Rigaer Bucht, die Einfahrt in die Hoheitsgewässer der UdSSR und einen Liegeplatz im Rigaer Hafen bestätigt. Der Laderaum der "Fortuna" war gut gestaut, um in der Partnergemeinde Bäume zu pflanzen, Friedensbrieftauben und Luftballons mit volksdiplomatischen Botschaften zu starten, Fahrräder zu überreichen und mit einer Flaschenpostaktion die Ostsee symbolisch zur atomwaffenfreien Zone zu erklären.
Der Segeltörn galt dem Besuch einer Partnergemeinde. Anfang Mai '89 war in der lettischen Klainstadt Sigulda (15.000 Einwohner) feinerlich ein Partnerschaftsvertrag mit der niederländischen Gemeinde Stuhr (27.000 Einwohner) unterzeichnet worden. Vorausgegangen waren jeweils einstimmige Beschlüsse des Exekutivkomitees bzw. des Rates.
Wie alles anfing
Im Zusammenhang mit den Widerstandsaktionen gegen atomare Mittelstreckenraketen, Militärdepots und Manöver tauchten bereits 1984 bei den Diskusssionen im kommunale Abrüstungsforum Stuhr die Fragen auf, was sollen wir tun, um wesentliche Legitimationsgrundlagen von Militarismus und Wettrüsten - außenpolitische Feindbilder und Vorurteile, Fehl- und Desinformation langfristig und dauerhaft zu untergraben und zu beseitigen? Was können konkrete friedenspolitische Beiträge unserer Gemeinde sein? und Wie können wir neben unserer Aufklärungs- und Verhinderungskraft Gestaltungskraft aufbauen, - langfristig, dauerhaft und strukturell? Liegt die Antwort in einer Art friedenspolitischer Doppelstrategie, die Aktionen gegen alles Militärische, wann und wo immer dies machbar ist, verbindet mit kommunaler Friedensdiplomatie, d.h. volksdiplomatischen Vereinbarungen mit Kleinstädten und Gemeinden der Sowjetunion, dem Haupt-Feindbildobjekt und zentralem Ziel der westlichen Rüstung?
Entscheidende Impulse für das Zustandekommen der kommunalpolitschen Mehrheiten lieferten parteiunabhängige Reiseaktivitäten in die Sowjetunion, verbunden mit der Suche nach einer Partnergemeinde und der Gründung des gemeinnützigen Vereins "Förderkreis für deutsch-sowjetische Kommunalpartnerschaft e.V." Hiermit wurden die entscheidenden bewußtseinsbildenden Pflöcke in den beiden Gemeinden gesetzt. In den vier Jahren seit der ersten Diskussion bis zur jetzigen Vertragsunterzeichnung, haben sich rund 200 Bürgerinnen und Bürger beider Gebietskörperschaften und Regionen gegenseitig besucht.
Ein volksdiplomatischer Durchbruch?
Die wesentlichen Vertragsfestlegungen zwischen beiden Gemeinden lauten: "Geleitet von dem Bestreben, zwischen der Stadt Sigulda und der Gemeinde Stuhr partnerschaftliche Beziehungen zu entwickeln und einen kulturellen Austausch zu ermöglichen, um damit einen Beitrag zum Frieden und zur gegenseitigen Verständigung zu leisten, ... Die Partnerstädte werden die partnerschaftliche und freundschaftliche Zusammenarbeit ... durch den Austausch von ... Jugendgruppen, Sportvereinen und -organisationen, Lehrern, Schülern, Vertretern anderer gesellschaftlicher Organisationen wie Gewerkschaften, Kirchen usw. ... fördern. Die Partnerstädte werden außerdem gegenseitig über das Leben in ihren Städten sowie über die Tätigkeit der kommunalen Organe informieren, damit eine Grundlage für den Erfahrungsaustausch über städtische Strukturen im Bereich der Wirtschaft, des Bildungswesens, der sozialen Dienstleistung sowie der Kultur und des Sports gegeben ist. Die Vereinbarung ist unbefristet".
Kommunale Partnerschaften sind nicht neu. Seit den 60er Jahren sind bundesweit 1.515 Partnerschaften, Kontakte und freundschaftliche Verbindungen (Stand 1.1.1987)* insbesondere mit Städten und Gemeinden der ehemaligen Kriegsgegner und jetzigen NATO-Verbündeten entstanden. Nur 69 dieser Kontakte - also noch unter 5% - werden mit Gebietskörperschaften der WVO-Staaten durchgeführt. Nur rund 20 kommunale Verbindungen gibt es mit Kommunen der UdSSR, und zwar ausschließlich zwischen Großstädten oder Teilen von ihnen. Vorwiegend wirtschaftliche Kooperationsinteressen standen hierbei im Vordergrund.
Mit dem Partnerschaftsvertrag Stuhr-Sigulda ist erstmalig die Möglichkeit eröffnet, auch zwischen Kleinstädten und Gemeinden ländlicher Regionen Partnerschaften abzuschließen.
Kritik und Ausblick
Ich teile im wesentliche die (vorläufige) Bestimmung des Begriffs Volksdiplomatie von L.G. Istjagin (siehe Rundbrief 2/89) und seine geschichtsbezogenen Warnungen vor unangemessener Euphorie. In der Tat, es ist zu fragen, was kommunale Volksdiplomatie für konkrete Abrüstung und langfristige Friedenssicherung leisten kann.
Volksdiplomatie ist ein interessanter Begriff, aber ist sie in der Praxis nicht doch eher eine Art Edeltourismus auf Kosten der kommunalen Haushalte? Wie muß kommunale Volksdiplomatie inhaltlich strukturiert sein, damit nicht jene Banalitäten Überhand gewinnen, die beispielsweise die Praxis der deutsch-französischen Partnerschaften bestimmen? Die Aufarbeitung der gemeinsamen (Kriegs-)Geschichte bis hin zur Gründung der deutsch-französischen Brigade in Böblingen, die Bedrohung durch atomare französische Kurzstreckenraketen und Atomwaffentechnologie oder das Erstarken des deutschen Rassismus und Neofaschismus - um nur einige gemeinsame Bedrohungsfelder zu nennen - spielen bei diesen Kontakten kaum eine Rolle.
Wie muß in diesem Zusammenhang ein Konzept für friedens- und abrüstungspolitische Bildung für kommunale Volksdiplomatie aussehen? Wie wird Volksdiplomatie eine konkrete abrüstungspolitsche Kraft? Viele Fragen sind noch offen. Volksdiplomatie als friedenspolitische Methode - auch hier stimme ich mit L. G. Istjagin überein - bedarf einer gründlichen wissenschaftlichen Analyse.
Dennoch, unbestritten ist, daß Bedrohungsängste, Informationsdefizite, außenpolitische Feindbilder und Vorurteile zwischen den Menschen unseres Landes und denen der UdSSR abgebaut werden müssen. Denn die Verbesserung des allgemeinen politischen Klimas macht durchgreifende Abrüstung erst möglich. Zweifelsohne sind hierfür massenweise kommunale Partnerschaften am besten geeignet, da sie dauerhafte, breit angelegte und kostengünstige Kontakte ermöglichen und öffentlichkeitswirksam präsentiert werden können. Nicht nur Kommunen und Landkreise sind hier gefordert, sondern auch die Länder.
Konsequenzen
*Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, Die Partnerschaften der Städte, Gemeinden und Kreise, Köln 1987.