Buchbesprechung

Konflikt, Gewaltfreiheit, Friedensbewegungen und ziviler Widerstand

von Christine Schweitzer

Friedens- und Konfliktforschung ist eine universitäre Disziplin, die in den vergangenen zwanzig Jahren stark an Bedeutung zugenommen hat. In den angelsächsischen Ländern schon des Langem verankert, wurde sie in Deutschland erst um die Jahrtausendwende herum als eigenes Lehrfach institutionalisiert. Nachdem viele Jahre – und das kann sowohl für Deutschland wie für den internationalen Raum behauptet werden – das Schwergewicht in der Forschung eher auf staatlichem Handeln lag, ist in jüngster Zeit ein wachsendes Interesse an der Rolle von Zivilgesellschaft, zivilem Widerstand und Gewaltfreiheit zu beobachten. Hier möchten wir auf vier Publikationen der jüngeren Zeit aufmerksam machen, die in englischer Sprache erschienen sind. Alle vier haben gemein, dass sie es verdienen würden, nicht nur von (angehenden) FriedensforscherInnen, sondern auch von FriedensaktivistInnen studiert zu werden.

Berghof-Handbuch II
Die Lücke zwischen Theorie und Aktion in der Konflikttransformation schließen, Diskussion zwischen AkademikerInnen und PraktikerInnen zu fördern und eine große Bandbreite von Stimmen und Perspektiven aus verschiedenen Weltregionen und wissenschaftlichen Disziplinen zu berücksichtigen, das ist das vorrangige Ziel des Handbuchs für Konflikttransformation, oftmals kurz nach seinem Herausgeber „Berghof-Handbuch“ genannt (1). Vor Kurzem ist das zweite Handbuch in Druckform herausgekommen, das wesentliche Arbeitspapiere und Aufsätze, die teilweise im Rahmen der Arbeit der Stiftung über die letzten Jahre entstanden waren, teilweise letztes Jahr neu geschrieben wurden, in einem Band dokumentiert.

Das Handbuch ist in fünf Abschnitte aufgeteilt, die jeweils zwischen drei und fünf Aufsätze umfassen. Im ersten Abschnitt geht es um „Herausforderungen und Konzepte“. Unter anderem ist unter den insgesamt fünf Beiträgen ein Aufsatz von Louis Kriesberg über „The State of the Art in Conflict Transformation“ und ein Beitrag von Cilja Harders über Geschlechtsbeziehungen, Gewalt und Konflikttransformation zu finden. Der zweite Abschnitt, der sich mit verschiedenen Ansätzen der Konfliktintervention in der Praxis befasst, enthält Beiträge zu den Themen der Mediation, Trainingsarbeit und gewaltfreiem Widerstand. Im dritten Abschnitt geht es um die Frage, wie Raum für Konflikttransformation geschaffen werden kann, und welche Möglichkeiten verschiedene Akteure (Zivilgesellschaft, Wirtschaft) dabei haben.

Ein besonderes Thema bei der Konflikttransformation ist stets, wie der Übergang von Krieg zu Frieden geschaffen werden kann – bekanntlich ist die Zeit kurz nach einem Waffenstillstand oder Friedensschluss die, wo die Gefahr eines Rückfalles in Krieg am größten ist. Der vierte Abschnitt des Handbuchs hat hierzu drei Beiträge zu den Themen Menschenrechte und Konflikttransformation, Übergangsjustiz und traditionelle Ansätze des Peacebuildings  zusammengestellt. Im fünften und letzten Abschnitt des Handbuches geht es schließlich um Evaluation und kritische Reflexion der eigenen Arbeit. Diana Francis beendet den Band mit einem Aufsatz über das Thema, wie Lücken zwischen Theorie und Aktion geschlossen werden können.

Die Bedeutung des Handbuchs kann kaum übertrieben dargestellt werden: Es ist eine Sammlung von Schlüsselaufsätzen zu wesentlichen derzeit aktuellen Themen der Zivilen Konfliktbearbeitung bzw. Konflikttransformation. Dabei ist es eine Mischung aus Übersichtsartikeln, die den jeweiligen Stand der internationalen Forschungsdiskussion zusammenfassen, und Beiträgen zu Beispielen (Balkan, Sri Lanka als zwei der Schwerpunkte von Berghof), wobei die Beispiele stets den Bogen zur allgemeinen Debatte schlagen. Damit ist das Handbuch gleichermaßen von Bedeutung für Studierende der Friedens- und Konfliktforschung wie für PraktikerInnen. Auch für Friedensbewegte, die eher am Rande mit den Themen der Konfliktbearbeitung befasst sind, lohnt sich ein Blick. Es geht hier nicht um Wissenschaft um der Wissenschaft willen, sondern um praktische und bei der Überwindung von Krieg und Gewalt wesentliche Themen. Das einzig Bedauerliche ist wohl, dass es aufgrund der Entscheidung der Berghof-Stiftung, grundsätzlich nur in englischer Sprache zu publizieren, um eine Anbindung an den internationalen Diskurs zu erreichen, nicht allen hier in Deutschland so ohne Weiteres zugänglich ist.

Die einzelnen Beiträge sind (weiterhin) online auf der Website der Stiftung zu finden, wo sie kostenfrei herunterzuladen sind (http://www.berghof-handbook.net/articles/).

Peace and Conflict Studies Reader
Bei dem von Charles P. Webel und Jörgen Johansen herausgegebenen Band „Peace and Conflict Studies“ handelt es sich um einen Reader, d.h. um ein Buch, das eine große Zahl von Aufsätzen verschiedener AutorInnen enthält, die zum großen Teil auch schon anderenorts publiziert sind. Es enthält 41 Artikel, die von den Herausgebern eingeleitet und mit Diskussionsfragen versehen wurden, gegliedert in sechs Themenbereiche: 1. Friedensforschung, Friedenserziehung und Frieden, 2. Friedenstheorien und Friedensbewegung, 3. die Bedeutungen und Natur von Konflikt, 4. Konfliktanalyse, Transformation und Prävention, 5. Gewaltfreie Aktion und politischer Wandel und 6. Aufbau von Institutionen und Kulturen des Friedens. Die Bandbreite der Beiträge reichen von Klassikern wie Immanuel Kants „Ewiger Frieden“, Hannah Arendts Aufsatz über Gewalt oder Sigmund Freuds „Warum Krieg?“ bis hin zu höchst aktuellen Aufsätzen über die arabischen Revolutionen 2011 (Stephen Zunes), modernes Peacekeeping (Thierry Tardy) oder Terrorismus (Noam Chomsky). Selbstverständlich fehlen auch Gandhi, Martin Luther King, Gene Sharp und viele andere bekannte Namen nicht. Natürlich ist dies nicht der erste und einzige Reader in der Friedens- und Konfliktforschung, aber die Besonderheit dieses Buches besteht darin, dass das Interesse der Herausgeber eindeutig auf Fragen der gewaltfreien Konflikttransformation und auf Kritik der herrschenden Politik gerichtet ist.

Friedensbewegungen weltweit
Die dritte hier vorzustellende Publikation ist auch eine Art Reader, wobei ihre Beiträge zum größten Teil eigens für sie verfasst wurden: Marc Pilisuks und Michael Naglers „Peace movements worldwide: History, psychology, and practices“. In drei Bände aufgeteilt (wobei es auch eine Hardcover-Version in einem Band gibt), befasst sich das Werk mit der Geschichte und Gegenwart von Friedensbewegungen (Band 1), mit „Friedensbemühungen, die funktionieren, und warum“ (Band 2) und mit Akteuren und Methoden des Widerstands gegen Krieg (Band 3). Es ist viel zu umfangreich, um hier im Einzelnen dargestellt zu werden. Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, schaue sich am besten das Inhaltsverzeichnis an, wie es bei Amazon dokumentiert ist.

Ziviler Widerstand
Die vierte Publikation beschäftigt sich mit dem Thema des zivilen Widerstands. Erica Chenoweth und Maria J. Stephan haben sich in einer vergleichenden Studie der Frage gewidmet, warum ziviler Widerstand erfolgreich ist („ Why Civil Resistance Works. The Strategic Logic of Nonviolent Conflict”). Anhand eines Samples von 323 gewaltsamen und gewaltlosen Widerstandsbewegungen zwischen 1900 und 2006 – darunter mehr als 100 größere gewaltfreie Kampagnen – kommen sie zu dem Schluss, dass solche gewaltfreie Kampagnen beinahe zweimal so oft erfolgreich waren als ihre gewaltsamen Gegenstücke, und zwar auch in Situationen, wo die Antwort der jeweiligen Gegner sehr gewaltsam war. Es gebe keinen Typ von Gegner, der gewaltlosen Widerstand unmöglich mache, einschließlich von Situationen möglichen Genozids, denn auch diejenigen, die Genozid planen, „sind nur so mächtig wie die Anhänger und Untergebenen, die ihre Befehle ausführen“. (S. 221).

Die einzige Ausnahme waren Bewegungen, bei denen es um Sezession ging, wobei dort sowohl gewaltfreie wie gewaltsame Kampfmethoden gleich erfolglos blieben. Die statistischen Daten untermauern die Autorinnen durch vier Länderstudien, in denen sie jeweils gewaltsame und gewaltfreie Kampagnen und Aufstände vergleichen: Iran, Palästina, Philippinen und Burma. Den Erfolg zivilen Widerstands führen sie in erster Linie darauf zurück, dass die Beteiligung an gewaltlosen Bewegungen einfacher ist (d.h. die psychologischen, physischen und informationsbezogenen Barrieren nicht so hoch sind), was wiederum dazu führt, dass sich eine größere Bandbreite an unterschiedlichen Menschen an ihnen beteiligt. Und diese Diversität und die Gewaltlosigkeit sind kritische Faktoren für den Erfolg von Bewegungen, da sie die Unterstützer des Status Quo motivieren, ihre Haltung zu überdenken, Repression erschweren (weil sie leichter auf den Angreifer zurückfällt), solche Bewegungen leichter Unterstützung im internationalen Umfeld finden, Repression besser widerstehen und eine größere Flexibilität und taktische Vielfalt entwickeln können. Und selbst da, wo gewaltsame Aufstände erfolgreich waren, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Rückfall in Bürgerkrieg passiert oder neue gewaltgestützte Regime entstehen, viel größer als in den Ländern, wo der Wandel mit gewaltlosen Mitteln erreicht wurde.

Die vier hier vorgestellten Bücher:
Austin, Beatrix; Fischer, Martin und Giessmann, Hans J. (Hrsg.) (2011) Advancing Conflict Transformation. The Berghof Handbook II. Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich, ISBN 978-3866493278, 559 S., 49,90 €

Webel, Charles P. / Johansen, Jörgen (Hrsg.) (2012) Peace and Conflict Studies. A Reader. London / New York: Routledge, ISBN 978-0-415-59129-4, 443 S., 36,99 €

Pilisuk, Marc und Nagler, Michael N. (Hrsg.) (2011) Peace movements worldwide: History, psychology, and practices. Santa Barbara: CA: Praeger, ISBN 978-0-313-36478-5, 3 Bände, ca. 1150 S., 135,99 €

Chenoweth, Erica und Stephan, Maria J. (2011): Why Civil Resistance Works. The Strategic Logic of Nonviolent Conflict. New York: Colombia University Press, ISBN 978-0-231-15682-0, 296 S., 23,99 €

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.