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Instrumente der Friedensbildung
Konfliktanalysen mit Friedensfokus als Handwerkszeug der Friedensbildung
vonKonfliktanalysen mit Friedensfokus stellen an der Schnittstelle zwischen (Friedens-)Wissenschaft, (Friedens-)Bildung und (Friedens-)Engagement ein analytisches Handwerkszeug bereit. Ziel ist, durch das Sichtbarmachen komplexer Zusammenhänge Orientierung zu schaffen, den Diskurs über Kriege und bewaffnete Konflikte zu versachlichen und Anknüpfungspunkte zu finden, um Friedensstrategien diskutieren und weiterentwickeln zu können.
Mittel des Konfliktaustrags sichtbar machen, um Gewalt vom Konflikt zu trennen
Neben den drei Orientierungsfragen „Wo? – Wann? – Wer?“ (1) ist die Frage nach dem „Wie?“ – nach den Mitteln des Konfliktaustrags – von zentraler Bedeutung. Dahinter steht die Überlegung, dass Konflikte per se nichts Schlechtes sind. Vielmehr lassen sie sich begreifen „als wertvollen, (..) unverzichtbaren Bestandteil sozialen Wandels und sozialer Entwicklung“ (Berghof Foundation 2012: 7) und als Normalität in einer pluralistischen Gesellschaft, in der Menschen unterschiedliche Weltbilder und Interessen haben. Problematisch wird es dann, wenn Konflikte mit Gewalt ausgetragen werden im Sinne der Clausewitzschen Formel von Krieg als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln.
Seit der Ächtung von Aggression zwischen Staaten mit dem Kellogg-Briand-Pakt und spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wird im humanitären Völkerrecht bewusst nicht mehr von Kriegen, sondern von bewaffneten Konflikten gesprochen. Diese können zwischen Staaten, staatlichen Autoritäten und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen verschiedenen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden (IKRK 2024).
Neben dem Einsatz völkerrechtlich legaler Mittel und Methoden der Kriegsführung ist die politische Realität oft von Völkerrechtsbrüchen geprägt. Dazu gehören kriegsrechtlich geächtete Formen gewaltvollen Konfliktaustrags wie die Nutzung verbotener Waffen oder Angriffe auf zivile Einrichtungen (z.B. Schulen und Krankenhäuser) sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gestalt von Verschleppung, Vertreibung oder dem sog. Verschwindenlassen.
Eine den Konfliktanalysen innewohnende Überlegung ist: Je deutlicher die Mittel des Konfliktaustrags sichtbar und unterscheidbar werden, desto eher ist es möglich, sie unabhängig vom dahinterliegenden Konflikt kritisch zu diskutieren. Ziel ist, völkerrechtlich wie ethisch illegitime Mittel zu identifizieren, sich gegen deren Nutzung auszusprechen und aktiv dagegen einsetzen zu können. Zudem wird durch die Trennung von Konflikt und den Mitteln des Konfliktaustrags eine Grundlage geschaffen, Empathie zu fördern mit allen Menschen – insbesondere jenen, die nicht in die Kämpfe verwickelt sind, sondern der Gewalt bewaffneter Konflikte zum Opfer fallen, unabhängig davon welcher Konfliktpartei sie angehören. Dies folgt dem Bestreben, der Entmenschlichung bewaffneter Konflikte und damit der Verhärtung gesellschaftlicher Spannungen entgegenzuwirken.
Erklärungen für den Konflikt und seine Bewaffnung durchdenken und hinterfragen
Dem Gedanken folgend, dass sich (bewaffnete) Konflikte nie nur auf eine Ursache reduzieren lassen, werden in den Konfliktanalysen mit Friedensfokus unterschiedliche Erklärungen entlang der großen Theorieschulen der Friedens- und Konfliktforschung aufgezeigt (Vgl. Bußmann et al. 2009):
1) Machtbasierte bzw. institutionelle Erklärungsansätze gehen davon aus, dass Rechtsstaatlichkeit und starke politische Institutionen den Frieden fördern, während sich ein erhöhtes Risiko für bewaffnete Konflikte aus Staatsschwäche, also aus fehlenden oder defekten politischen Institutionen, ergeben.
2) Ressourcenbasierte bzw. sozialökonomische Erklärungsansätze sehen ein erhöhtes Risiko in wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit, geringen Chancen auf bezahlte Arbeit und der Existenz leicht auszubeutender Rohstoffe wie Öl oder Diamanten. In der Forschung ist umstritten, ob die Triebfeder dahinter eher Not oder eher Gier ist.
3) Kulturelle bzw. wertbasierte Erklärungsansätze nehmen an, dass unterschiedliche kulturelle Prägungen und damit verbundene Wertvorstellungen Konflikte begünstigen können. Es wird diskutiert, ob kulturelle Differenzen tatsächlich Ursache für Konflikte sind oder eine Folge von politischer Mobilisierung in bestehenden Konflikten darstellen.
Im Sinne des Beutelsbacher Konsens in der politischen Bildung werden in jeder Konfliktanalyse mindestens zwei verschiedene Theorieschulen einbezogen. Das hebt die Multikausalität bewaffneter Konflikte hervor, macht konkurrierende Debatten in der Wissenschaft sichtbar und sensibilisiert dafür, dass die Tatsache, welche Erklärungen für bewaffnete Konflikte man selbst besonders überzeugend findet, von den eigenen Weltbildern und damit verbundenen politischen Einstellungen geprägt ist. (2)
Ein weiterer Ansatz zur Suche von Anknüpfungspunkten für Friedensstrategien ist die Anwendung des Modells der Konfliktzwiebel von Fisher et al. 2020, das in der Mediation und Dialogunterstützung häufig verwendet wird. Das Modell unterscheidet für alle Konfliktparteien zwischen Positionen, Interessen und Bedürfnissen:
a) Die sichtbare Schale steht für die Positionen – das, was die Konfliktparteien sagen, z.B. in Zeitungen, Reden oder Social Media Posts.
b) Unter der Schale liegen Interessen – das, was sie möchten; die Ziele, die sie für die Zukunft verfolgen, wie z.B. Mitbestimmungsrechte oder Zugang zu Wasser.
c) Im Kern liegen die Bedürfnisse – im Sinne dessen, was sie brauchen für die jeweilige Gruppe, wie z.B. Nahrung, Selbstbestimmung oder Sicherheit. (3)
Friedensstrategien (er-)kennen, kritisch diskutieren und weiterentwickeln
Dem zentralen Anliegen geschuldet, den Konfliktaustrag von der Anwendung gewaltvoller Mittel hin zu friedlichen Mitteln zu verschieben, verfolgt jede Konfliktanalyse mit Friedensfokus das Ziel, Friedensstrategien zu (er-)kennen, kritisch zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Dafür werden auf unterschiedlichen politischen Ebenen (international, staatlich, innerstaatlich, transnational) und damit verbunden für unterschiedliche staatliche und nichtstaatliche Akteure, existierende militärische Strategien (z.B. Kampfhandlungen oder Waffenlieferungen) und zivile Strategien (z.B. humanitäre Hilfe, Sanktionen oder internationale Strafverfahren) dargelegt. Daran anknüpfend werden in Wissenschaft und Politik diskutierte Ansätze zusammengetragen, mit einem besonderen Fokus auf Instrumente ziviler Konfliktbearbeitung wie Verhandlungen, Mediation und Dialogunterstützung.
Literatur
Berghof Foundation (2012): Berghof Glossar zur Konflikttransformation. Zwanzig Begriffe für Theorie und Praxis. Online unter: https://berghof-foundation.org/library/berghof-glossar-zu-konflikttransf... (22.01.2024).
Bussmann, M; Hasenclever, A.; Schneider, G. (2009): Identität, Institutionen und Ökonomie: Ursachen und Scheinursachen innenpolitischer Gewalt. Politische Vierteljahresschrift 2009. Sonderheft 43, S. 9-35.
Fischer, S.; Matovic, V.; Walker, B.; Mathews, D. (2020): Working with Conflict 2. Skills and Strategies. London: Zed Books.
Fisher, R.; Ury, W.; Patton, B. (2011): Getting to Yes. Negotiating an agreement without giving in. 3.Aufl. London: Penguin.
Internationales Komitee vom Roten Kreuz (2024): Krieg und Recht. https://www.icrc.org/de/krieg-recht (19.01.2024.)
Anmerkungen
1 Hier findet bereits eine Reduktion von Komplexität statt. Oft sind Ort und Zeitraum nicht trennscharf abzugrenzen und bei der Frage der Beteiligten sind es häufig mehr Konfliktparteien, insbesondere, wenn es bei internationalsten Konflikten eine Beteiligung von Großmächten gibt.
2 Ein Umstand, der in vielen klassischen Konfliktanalysen unbeachtet bleibt und als Indikator dafür betrachtet werden kann, dass der Beutelsbacher Konsens bei Themen internationaler Beziehungen weniger Anwendung findet als bei Themen der Innen- und Außenpolitik, die explizit mit Parteien und damit verschiedenen politischen Einstellungen verknüpft werden.
3 Bedürfnisse werden als immer legitim betrachtet, während Interessen verhandelbar sind (Vgl. Fisher et al. 2011) und unter Umständen auch illegitim, wenn sie in ausgeprägter Form die Erfüllung der Bedürfnisse anderer gefährden oder die Rechte anderer verletzen.
4 Die Servicestelle Friedensbildung Baden-Württemberg ist zentrale Beratungs-, Informations- und Kontaktstelle für alle Schulen des Landes im Bereich der Friedensbildung. Dafür bietet sie u.a. Schulworkshops, Lehrkräftefortbildungen sowie digitale und analoge Lernmedien der Friedensbildung.