3. Deutsch-sowjetische Friedenswoche

Konkrete Hilfsangebote und gemeinsame Perspektiven

von Robert Hülsbusch

"Auf Wiedersehen in Kursk!" Türen schlagen, Taschentücher werden gezückt. Der Zug setzt sich in Bewegung. Wenig später verlässt der IC den Hauptbahnhof Münster, um unsere Gäste aus Russland nach Frankfurt zu bringen. Dort werden sie das Flugzeug nach Moskau besteigen. Mit dem Nachtzug geht es weiter bis in die Heimatstadt Kursk, eine Stadt 500 km südlich von Moskau. Die Strecke ist mir wohl bekannt. Vor genau einem Jahr bin ich sie zusammen mit vier weiteren Mitgliedern der Friedensinitiative Nottuln und des Friedensforums Havixbeck gefahren, habe ich die 500.000 Einwohner zählende Stadt kennengelernt.

Die 2. deutsch-sowjetische Friedenswoche (1990), organisiert vom Sowjetischen Friedenskomitee und auf deutscher Seite vom Netzwerk Friedenskooperative und vom Christlichen Friedensdienst, ermöglichte uns diese Fahrt und die vielen Kontakte, die sich daraus ergaben. Klar, daß für die 3. deutsch-sowjetische Friedenswoche (1991), die wie die erste Aktion dieser Art (1989) wieder in der Bundesrepublik stattfinden sollte, von Nottuln und Havixbeck aus Einladungen nach Kursk gingen. Waren die ersten beiden Friedenswochen noch zentral organisiert, so wurden während der jetzt stattfindenden 3. Friedenswoche die vielen Kontakte, die sich aus den vorangegangenen Begegnungen zwischen deutschen und sowjetischen Friedensbewegten ergaben, genutzt. Jede Friedensgruppe lud für sich Gäste nach Deutschland ein. Das Netzwerk Friedenskooperative und der Christliche Friedensdienst mussten nur noch geringe organisatorische Unterstützung leisten.

Und so trafen unsere Gäste aus Kursk dann am Mittwochabend (13.11.) in Nottuln und Havixbeck ein: Lidia Timofejewa, Leiterin der Kulturabteilung des Gebietsgewerkschaftsrates, Eduard Mossolow, Leiter der Finanzverwaltung der Region Kursk, und Gennadij Bojew, Student und Dolmetscher der kleinen Delegation.

Vorbereitet war diesmal kein ausgefeiltes Programm mit vielen offiziellen Kontakten. Kursk ist mittlerweile in Havixbeck und Nottuln bekannt. Sowohl die Besuche aus Kursk als auch unsere Fahrt dorthin wurden ausführlich in der örtlichen Presse dargestellt. Bei den Bürgermeistern und den Räten unserer beiden Gemeinden fanden diese Kontakte Unterstützung. Diesmal sollte der Besuch eher privat und das Programm weniger umfangreich, stressfreier sein. Darüber hinaus sollte es mit den Besuchern abgestimmt werden. Beides klappte nur ansatzweise: Auf die Möglichkeit, das Programm selbst mitzubestimmen, waren unsere Gäste offensichtlich nicht vorbereitet: "Wir ma­chen so, wie Ihr wollt," übersetzte Gennadij nach einer kurzen Beratungspause, die unserem Mitbestimmungsangebot folgte. Doch nach kurzer Eingewöhnungszeit nutzten die Gäste dann doch die Möglichkeit, ihre Interessen einzubringen. Lidia drängte darauf, Kontakte zur Kulturszene zu bekommen. Und sie wurde nicht enttäuscht. Die Musikschule Havixbeck stellte sich vor und entschied schon nach kurzer Zeit, im kommenden Jahr nach Kursk zu fahren. Ein Kulturaustausch soll vorbereitet werden. In Nottuln bot die Musikschule an, für einen begrenzten Zeitraum MusiklehrerInnen aus Kursk bei sich unterrichten zu lassen. Auch Eduard artikulierte sein Hauptinteresse während dieser Fahrt. Er wollte vor allem die Struktur der ländlichen Gemeinden kennenlernen. Besonders interessierte ihn die finanziellen Bedingungen der Gemeinde.

Schnell wurde ein Gesprächstermin mit dem Nottulner Gemeindedirektor Joseph Moehlen festgemacht. Ausführlich nahm sich dieser Zeit, um die wirtschaftlichen Strukturen der bundesdeut­schen Kommunen darzustellen. Infrastruktur und Entwicklungsperspektiven einer Stadt wie Kursk wurden erläutert, fachliche Tipps unter Verwaltungsexperten ausgetauscht. In diesem Zusammen­hang wurde - wen wundert's - auch die sich zuspitzende Versorgungssituation in der Sowjetunion allgemein und die in der Stadt Kursk im Besonderen angesprochen. Sichtlich davon betroffen, bot der Gemeindedirektor seine Hilfe an. Die Unterstützung des Rates ist mittlerweile sicher: Für ein Kinderheim und für ein Altenheim in Kursk sollen konzentrierte Lebensmittel in Nottuln zusammengestellt werden. Die Feuerwehr Nottuln wird mit einem eigenen Lastzug diese in die russische Stadt bringen. Eine Spendenaktion - initiiert vom Gemeindedirektor und Nottulner Rat - soll diese Hilfe finanzieren. Aber auch längerfristig bot der Nottulner Verwaltungschef seine Hilfe an. So erklärte er sich Eduard gegenüber bereit, auch junge Männer und Frauen für ein halbes Jahr in der Nottulner Verwaltung auszubilden. "Know how-Transfer!" Und damit in Zukunft die Kommunikation zwischen Nottuln und Kursk reibungsarm und schnell funktioniert, kündigte Moehlen Eduard an, ihm für seine Behörde ein Telefax-Gerät zu schenken, wenn dort die technischen Voraussetzungen gegeben seien.

Nun liegt es an den Kurskern, diese Angebote aufzugreifen, diese in ihrer Stadt zu besprechen und sich möglichst bald mit konkreten Antworten an Nottuln und Havixbeck zu wenden.

Die restliche Zeit der Friedenswoche war geprägt durch viele private Begegnungen. Bei Wodka und Wein wurde gemütlich gegessen. Auf langen Spaziergängen fanden intensive Gespräche statt. Natürlich mussten die Gäste ausführlich erzählen, wie es in Kursk der und dem so geht. Man kennt sich halt mittlerweile. Überraschend spielte die gemeinsame leidvolle Vergangenheit kaum noch eine Rolle in den vielen Gesprächen. Auch hier schleicht sich Normalität ab. Vieles scheint schon besprochen zu sein. Noch im Juni war ein Kriegsveteran zusammen mit seiner Frau aus Kursk in Nottuln und Havixbeck gewesen. Anlaß war der 50. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion. Gespräche über den Krieg - auch mit der Kameradschaft ehemaliger Soldaten in Nottuln -, Kranzniederlegung auf einem kleinen russischen Friedhof und ein Empfang beim Bürgermeister sorgten dafür, daß in Nottuln und Havixbeck für eine kurze Zeit die Vergangenheit wieder sehr wach wurde. Ein großer Schritt in Richtung Versöhnung wurde getan, der Blick für eine gemeinsame Zukunft frei.

Sehr wichtig war den Gästen aus Kursk, sich ausgiebig in Geschäften und Kaufhäusern umzusehen. Mit je 150 DM Taschengeld traten wir die Reise nach Münster an. Besonderes Interesse fanden Kassettenrecorder und elektrische Haushaltsgeräte. Viele Wünsche - wer die leeren Regale auch in Kursk gesehen hat, der kann diese so gut verstehen - blieben unerfüllt. Wenn wir im kommenden Jahr wieder nach Kursk fahren, werden wir keine Schwierigkeiten haben, Gastgeschenke zusammenzustellen. Daß wir fahren, daß wir uns auch an der 4. deutsch-sowjetischen Friedenswoche beteiligen, daran besteht kein Zweifel.

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Robert Hülsbusch, Friedensinitiative Nottuln.