Friedensjournalismus

Konstruktive Berichterstattung als Beitrag zu Friedensprozessen

von Wilhelm Kempf
Schwerpunkt
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„Peace Journalism is when editors and reporters are aware of their contribution to the construction of reality and of their responsibility to give peace a chance” (Kempf 2012). Wie dies in die Tat umgesetzt werden kann, ist Gegenstand des friedensjournalistischen Forschungs- und Entwicklungsprojektes, das zum einen die Mechanismen der Nachrichtenauswahl (Galtung 1998) und zum anderen die Eskalationsdynamik von Konflikten und die damit einhergehenden Fehlwahrnehmungen fokussiert, die einer konstruktiven Konfliktbewältigung entgegenstehen (Kempf 1996).

Grundlegend dafür ist die Auffassung, dass Frieden mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg und Gewalt. Während Galtung einen statischen Friedensbegriff vertritt, der Frieden als Abwesenheit von nicht nur direkter, sondern auch struktureller (Galtung 1975) und kultureller Gewalt (Galtung 1990) definiert, bedeutet Frieden für Kempf (1978) eine bestimmte Form des Umgangs mit Konflikten, wobei jede beteiligte Partei die Durchsetzung ihrer Positionen und Interessen zurückstellt, bis Beratungen zu einer einvernehmlichen Lösung des Konfliktes geführt haben, und bereit ist, die Positionen und Interessen aller Konfliktbeteiligten bei der Planung ihrer Handlungen zu berücksichtigen (Kempf 1978).

Entsprechend ist Friedensjournalismus nicht bloß als Gegenpol zu Kriegsjournalismus zu verstehen, wie dies die verschiedenen Checklists zur Identifikation eines eskalationsorientierten Bias der Konfliktberichterstattung nahezulegen scheinen. Friedensjournalismus ist als ein Prozess zu verstehen, der die eskalationsträchtigen Fehlwahrnehmungen der Konfliktparteien korrigiert und die zwischen ihnen bestehenden Kommunikationsbarrieren schrittweise abbaut.

Präventive Konfliktberichterstattung
Anders als herkömmliche Kriegsberichterstattung, die meist erst auf den Plan tritt, wenn es zu Gewalt gekommen ist, sich nach Ende des Krieges dem nächsten Konfliktherd zuwendet und erst wieder zurückkehrt, wenn der alte Konflikt wieder aufflammt, muss Friedensjournalismus daher (auch) präventiv berichten (Galtung 1998).

Tatsächlich hat sich die friedensjournalistische Grundlagenforschung bisher jedoch nur sporadisch mit Konflikten unterhalb der Gewaltschwelle befasst. Etwa mit der Berichterstattung über den deutsch-französischen Konflikt um die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank 1997 (Kempf 2003, Plontz 2006), anhand dessen demonstriert werden konnte, wie Konfliktberichterstattung (oft) dem tatsächlichen Eskalationsgrad von Konflikten um (mindestens) eine Stufe vorauseilt und (im Extremfall) selbst ganz normale demokratische Prozesse zu erbitterten Machtkämpfen hochstilisiert. Ein Faktum, das zum einen dem Nachrichtenfaktor der Negativität („Bad news are good news“) geschuldet ist, vor allem aber der mangelnden Verankerung herkömmlicher Konfliktberichterstattung in der Logik eines konstruktiven Konfliktmanagements.

Diese Kritik müssen sich jedoch nicht nur (viele) JournalistInnen, sondern auch (manche) dem friedensjournalistischen Projekt nahestehende ForscherInnen gefallen lassen, die aus moralischer Empörung der Eskalation von Konflikten das Wort reden und/oder die Welt in „gut“ und „böse“ einteilen. So etwa Hackett (2017), der dem Umweltjournalismus angesichts der Klimakrise anrät „“to escalate conflict in order to challenge business as usual” oder Lynch (2018), der im Anschluss an McGoldrick (2015) die Beziehung zwischen Israel und den Palästinensern als eine „abusive domestic partnership“ konstruiert „in which Israel is the abuser, and the Palestinians are the abused“, womit die Kommunikationsbarrieren, die einer konstruktiven Auseinandersetzung zwischen Unterstützern und Gegnern der israelischen Palästinapolitik entgegenstehen, noch weiter verschärft werden.

Nachkriegsberichterstattung
Um dem Frieden eine Chance zu geben, reicht es nicht aus, dass JournalistInnen eine Wahl treffen „of what stories to report, and how to report them“ (Lynch & McGoldrick 2005). Absichtsvolle Entscheidungen dieser Art gehören in die Domain von Propaganda und Public Relation  und die meisten Journalisten wollen nichts anderes als wahrheitsgemäß zu berichten. Worauf es ankommt, ist, dass sie die richtigen Fragen stellen. Mit geänderter Fragerichtung ändert sich ganz von selbst, welche Geschichten als berichtenswert erscheinen und wie sie erzählt werden.

Konfliktfreiheit ist eine bloße Utopie. Auch nach Abschluss eines Friedensvertrages dauern alte Konflikte an und neue Konflikte treten auf. Zudem darf man nicht so naiv sein, zu glauben, dass mit einem Friedensvertrag schon die Versöhnung zwischen den verfeindeten Gesellschaften erreicht wäre. Versöhnung ist ein langwieriger Prozess, der sich über Dekaden erstrecken kann und sowohl politisch-strukturelle als auch tiefgreifende sozialpsychologische Veränderungen erfordert: die Entwicklung eines neuen Blicks auf die Vergangenheit, die Anerkennung eigener Schuld und die Änderung des kollektiven Gedächtnisses bis hin zur Schaffung eines gemeinsamen historischen Narrativs (Asmal et al. 1996).

Wenn man sich diesbezüglich Illusionen macht, ist das Scheitern des Friedensprozesses geradezu vorprogrammiert. Die maßlose Überschätzung der Oslo-Verträge, die letztlich nicht mehr waren als eine Absichtserklärung zur Erarbeitung einer Friedenslösung in Israel/Palästina, ist ein Lehrbuchbeispiel dafür: Euphorie über den vermeintlichen Ausbruch des Friedens, Ernüchterung, Suche nach Schuldigen, Wiederbelebung alter Feindbilder (Mandelzis 2003) und Rückkehr zu einer Politik der vollendeten Tatsachen.

Dass es zu Versöhnung kommen kann, setzt voraus, dass der Friedensprozess trotz andauernder Konflikthaltigkeit Bestand hat, und je nachdem, mit welchen Fragen er an Konflikte herangeht, kann der Journalismus entweder einen erneuten Kriegsdiskurs (Wer ist schuld und wie kann er gestoppt werden?), einen Friedensdiskurs (Was ist das Problem und wie kann es gelöst werden?) oder schließlich auch einem Versöhnungsdiskurs (Wer ist der andere und wie können wir einander mit gegenseitigem Respekt und Wertschätzung begegnen?) führen.

Untersuchungen zur Medienberichterstattung über Ex-Jugoslawien nach dem Sturz von Milosevic und zur bundesdeutschen Presseberichterstattung über Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg (Projektgruppe Friedensforschung Konstanz 2005, Jaeger 2009) haben gezeigt, dass Friedens- und (im Falle der deutsch-französischen Beziehungen) Versöhnungsdiskurse durchaus zum journalistischen Repertoire gehören, wenn Frieden und/oder Versöhnung auf der politischen Tagesordnung stehen.

Namentlich in lang andauernden ungelösten Konflikten, in denen sich eskalationsträchtige Fehlwahrnehmungen zu gesellschaftlichen Grundüberzeugungen verdichtet haben (Bar-Tal 1998), sind Friedensprozesse jedoch äußerst fragil. Der tief verwurzelte Glaube an die Gerechtigkeit der eigenen Sache und an die eigene Opferrolle, die Delegitimierung des Feindes und der Glaube an die Aufrechterhaltung von persönlicher und nationaler Sicherheit durch eine Politik der Stärke halten bereits eine Antwort auf die verhängnisvolle Frage bereit, wer der Schuldige ist und wie man ihn stoppen kann. Und wer angesichts eines Konfliktes bereits über eine plausible Antwort auf diese Frage verfügt, kommt gar nicht erst darauf, auch andere (konstruktivere) Fragen zu stellen..

Als Mitglieder der Gesellschaft teilen JournalistInnen nur allzu oft dieselben Grundüberzeugungen. Noch mehr als in anderen Konfliktphasen, ist ein gesundes Misstrauen gegenüber dem Plausiblen daher eine unerlässliche Grundhaltung, ohne die eine konstruktive Berichterstattung über Friedensprozesse kaum gelingen kann.

Literatur
Asmal, K., Asmal, L. & Roberts, R. S. (1996). Reconciliation through truth: A reckoning of apartheid's criminal governance 74. Cape Town & Johannesburg: David Philip Publishers.
Bar-Tal, D. (1998). Societal beliefs in times of intractable conflict: The Israeli case. The International Journal of Conflict Management 9/1, 22-50.
Galtung, J. (1975). Strukturelle Gewalt. Reinbek.
Galtung, J. (1990). Cultural violence. Journal of Peace Research, 27/3, 291-305.
Galtung, J. (1998). Friedensjournalismus: Warum, was, wer, wo, wann? In: Kempf, W. & Schmidt-Regener, I. (Hrsg). Krieg, Nationalismus, Rassismus und die Medien. Münster: Lit, 3-20.
Hackett, R.A. (2017). From frames to paradigms: civic journalism, peace journalism and alternative media. In: Hackett, R.A., Forde, S., Gunster, S. & Foxwell-Norton, K.. Journalism and climate crisis. New York: Routledge
Jaeger, S. (2009). Nachrichtenmedien als Ressource für Frieden und Versöhnung. Berlin: regener.
Kempf, W. (1978). Konfliktlösung und Aggression. Zu den Grundlagen einer psychologischen Friedensforschung. Bern: Huber.
Kempf, W. (1996). Konfliktberichterstattung zwischen Eskalation und Deeskalation. Wissenschaft & Frieden, 14/2, 51-54.
Kempf, W. (2003). Constructive conflict coverage. A social psychological approach. Hg. vom Austrian Study Center for Peace and Conflict Resolution (ASPR). Berlin: regener.
Kempf, W. (2012). Peace Journalism, the Israeli-Palestinian conflict, the German press and the German public. Bulletin du Centre de Recherche Français à Jérusalem, 23.
Lynch, J. (2018). Where I stand on peace journalism and the academic boycott of Israel. conflict & communication online, 17/1.
Lynch, J. & McGoldrick, A. (2005). Peace journalism. Stroud, UK: Hawthorn Press.
Mandelzis, L. (2003). The changing image of the enemy in the news discourse of Israeli newspapers,1993-1994. conflict & communication online 2/1.
McGoldrick, A. (2015). Boycott, Divestment and Sanctions (BDS): an important part of the dialogue process’, Online Opinion, March 31.
Plontz, A. (2006). Der deutsch-französische Konflikt um die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank in der deutschen und französischen Presse. conflict & communication online, 5/1.
Projektgruppe Friedensforschung Konstanz (ed.) (2005). Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Building, Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaften. Berlin: regener.

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Wilhelm Kempf ist seit 1977 Professor für Psychologische Methodenlehre und Leiter der Projektgruppe Friedensforschung an der Universität Konstanz. Seit 2002 ist er Herausgeber von conflict & communication online. Arbeitsschwerpunkte: Gewaltfreie Konfliktlösungen, Konstruktion sozialer Wirklichkeit durch die Massenmedien.