Kampagne gegen Wehrpflicht:

Kontinuierlich ist nur die Diskontinuität

von Ulrike Gramann

Das "Friedensforum" fragt nach Erfahrungen der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär mit "kontinuierlichem Widerstand". Das klingt gut. Aber können wir, kann irgend ein Antimilitarist oder eine Antimilitaristin von sich behaupten, kontinuierlichen Widerstand zu leisten?

Keine Gründung aus dem Nichts
Wer in den 90er Jahren zur Kampagne kam, konnte den Eindruck gewinnen, sie sei 1990 aus dem Nichts gegründet worden. Dabei wurden Widerstand gegen die Wehrpflicht und Politisierung der KDV spätestens seit Ende der 80er Jahre neu und politisch diskutiert. So fand beispielsweise 1988 in Frankfurt am Main ein Kongress gegen Kriegsdienste statt, der von Organisationen geprägt wurde, die teils bis heute existieren (DFG-VK), teils verschwunden (SO der ZDL) und teils ins kriegführende Lager übergelaufen (Grüne) sind. Damals wurde zunehmend Kritik an der so genannten 4/3-KDV geübt, die unpolitisch geworden war und es bis heute ist. Konzepte wurden diskutiert, die über die KDV aus Gewissensgründen mit anschließendem Zivildienst hinausgingen. So wurde bereits 1987 in einem Sonderheft der Graswurzelrevolution die Musterungsverweigerung vorgestellt, die später von der Berliner Kampagne perfektioniert wurde.

Massenhafte Betroffenheit - großes Interesse
Bis 1990 glaubten sich Männer in (West)Berlin sicher vor der Wehrpflicht, darunter etwa 50.000 "Wehrflüchtlinge", die in Berlin der Wehrpflicht entgehen wollten. Auch viele (Ost)Berliner hatten 1990 gedacht, mit der Wehrpflicht sei es für sie vorbei. Jetzt hatte die Bundeswehr Zugriff auf alle und trat nicht nur nahtlos an die Stelle der Nationalen Volksarmee, sondern berief sofort Ost-Wehrpflichtige ein - aufgrund von NVA-Musterungen! - und begann die Jagd auf West-Wehrflüchtlinge.

Vor diesem Hintergrund gründete sich die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, ein politisches Bündnis, zu dem sich mehr als 50 Gruppen und Organisationen aus Ost und West bekannten. Öffentliche Veranstaltungen waren gut besucht; wie man die Musterung verweigert, musste teilweise in Universitätshörsälen erklärt werden. Die Wehrpflichtigen behinderten die Erfassung, verzögerten und boykottierten die Musterung und wehrten sich phantasievoll gegen ihre Einberufung, machten den Wehrerfassungsbehörden also massive Probleme. Zwei Bedingungen führten dazu, dass die Remilitarisierung (West)Berlins erfolgreich behindert wurde: die Vorarbeit in den 80er Jahren und die Bereitschaft einer relevanten Zahl von Menschen, über die Lösung ihres individuellen Wehrpflichtproblems hinaus grundsätzlich gegen Militär zu arbeiten.

Bedingungen ändern sich
Anfang der 90er erreichte die Kampagne Presse und Öffentlichkeit mit spektakulären Aktionen. So wurden zu den Einberufungsterminen Züge, in denen Rekruten zu Kasernen fahren würden, durch Sitzblockaden aufgehalten. Aktionen wie diese oder wie die Bestzung eines Truppendienstgerichts anlässlich von Repressionen gegen Totalverweigerer machten bewusst, dass es nicht "normal" ist, Soldaten mittels Wehrpflicht zu rekrutieren. Das strahlte auf das Bundesgebiet aus. Kampagnen entstanden in brandenburgischen und sächsischen Städten, und besonders der Potsdamer Kampagne gelangen witzige, Aufsehen erregende Aktionen, wie "Blauhelmeinsätze" gegen den militaristischen Traditionsverein "Lange Kerls".

Die militärkritische Stimmung wurde dadurch verstärkt, dass viele Ereignisse zum ersten Mal stattfanden: Die Bundeswehr war neu in Berlin, sie löste im Beitrittsgebiet die NVA ab, es kam zu ersten Auslandseinsätzen (Somalia), und alles wurde ausführlich kommentiert und in den Kontext der werdenden "Berliner Republik" gestellt. In Medien, Parteien und Organisationen waren ehemalige Wehrflüchtlinge tätig, die für Militärkritik offen waren. Ein Teil von ihnen ist sicher heute noch im Dienst, doch das Klima hat sich gewandelt: Eine Journalistin vertraute uns kürzlich an, von den Wehrflüchtlingen unter ihren Kollegen würde sich keiner dazu bekennen wollen. Auch sonst haben einstige KritikerInnen sich an die Bundeswehrpräsenz gewöhnt, militärische Mittel der Konflikt"bearbeitung" sind kein Tabu mehr. Allenfalls wird noch an der Abschaffung der Wehrpflicht festgehalten, wofür man nicht mehr als einen gewissen Pragmatismus benötigt. Und die Bundeswehr hat gegen die Kampagne intrigiert. So wurde 1992 ein Schulauftrittsverbot gegenüber der Kampagne verfügt. Auf direkten Druck der Bundeswehr wurden Mitarbeiter aus Fernsehsendungen wieder ausgeladen, und 1996 würdigte die damalige Wehrbeauftragte des Bundestages, Claire Marienfeld, die Kampagne in einem internen Bericht dahingehend, dass sie "unter den Berliner Jugendlichen (eine) erschreckende Anti-Wehrpflicht-Haltung" initiiert habe. Eine etwaige Aufwertung durch "öffentliche Funktionsträger" erklärte sie für "bedauerlich".

Nicht zuletzt dank Kampagne schreckte die Bundeswehr zunächst davor zurück, in Berlins öffentlichen Raum einzudringen. Das Rekrutengelöbnis, das 1996 vor dem Schloss Charlottenburg stattfand, wurde von massenhaftem Protest begleitet. Dieser und einige gelungene Gegenaktionen in den Folgejahren führten dazu, dass es bis heute keine öffentlichen Gelöbnisse in Berlin gibt, sondern nur das von der rot-grünen Regierung und der Bundeswehr unter Scharping und Struck eingeführte "feierliche Gelöbnis" am 20. Juli, bei dem man sich von vornherein in die geschlossene Gesellschaft einer Haupt- und Staatsaktion auf das Gelände des Verteidigungsministeriums begibt. Medien, die früher auch inhaltliche Argumente gegen Gelöbnisse transportierten, sind nur noch auf das Gelingen von Störungen fixiert. Die Repression gegen Aktionen zivilen Ungehorsams und die häufige Anwesenheit von Jugendoffizieren an Schulen tun ein übriges. Die Aufbruchstimmung ist den Mühen der Ebene gewichen.

Neue Kontinuität schaffen, aber wie?
Stärken und Schwächen unserer Kampagne haben damit zu tun, dass sie offen blieb und sich nicht ideologisch festlegen ließ. Mitte der 90er Jahre koexistierten verschiedene Konzepte: Politisch motivierter Widerstand gegen Militarisierung und Unterstützung von Totalverweigerern standen nicht im Widerspruch zum Akzeptieren "privater" Gründe gegen den Kriegsdienst an der Waffe. De facto kann ein Mann heute zwischen Kriegsdienst mit oder ohne Waffe (= Zivildienst) wählen, was dazu führt, dass viele sich vermeintlich freiwillig für Zivildienst entscheiden. In der Kampagne wird auch vermittelt, dass man vor dem Militär eben nicht die Hacken zusammenschlägt und dass Resignation vor den Behörden kein guter Grund ist, einen Zwangsdienst zu leisten. "Wehrpflichtvermeidung" wird zwar politisch diskutiert, aber ebenfalls akzeptiert. Dahinter steht die Erkenntnis, dass auch ein scheinbar unpolitisches Verhalten politische Auswirkungen hat. Wegen der großen Wehrungerechtigkeit gelingt es immer mehr Männern, die Wehrpflicht ganz zu vermeiden, für den einzelnen erfreulich, im Hinblick auf die Politisierung von Wehrpflichtigen aber kontraproduktiv. Das individuelle Problem ist gelöst, warum sich weiter engagieren? Dazu kommt die Dauerberieselung mit der Behauptung, dass die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt würde.

Um neue Kontinuität zu schaffen, muss auf andere Art von vorn begonnen werden; Wissensvermittlung tut not, und die Vermittlung einer politischen Haltung tut not. Konkret: ein Teil der Wehrpflichtigen weiß zwar, dass die Wehrpflicht ihre Grundrechte verletzt, aber diese Grundrechtsverletzung und der Zugriff des Staates auf ihre Person und ihre Würde überhaupt wird, anders als früher, nicht als Skandal wahrgenommen. Oder: Manche Menschen haben zwar gehört, dass das Grundgesetz das Führen von Angriffskriegen verbietet, doch sie sind bereit, die Übertretung dieses Verbots zu tolerieren oder zu ignorieren.

Es gibt einen großen Kreis von Personen, die sich bei Angriffskriegen (vorzugsweise, wenn diese von den USA ausgehen) emotional mobilisieren lassen. Eine Mobilisierung aus der Betroffenheit heraus kann situativ auch sehr erfolgreich sein, doch um Menschen über den Moment hinaus anzusprechen, brauchen wir jetzt keine Gleisblockaden, sondern die unverdrossene Arbeit der Information über das Militär und die militärischen Strukturen. Das ist etwas, das nicht aussieht wie kontinuierlicher Widerstand, das aber auf die schwieriger gewordenen Bedingungen reagiert, unter denen AntimilitaristInnen arbeiten, wenn es keine Bewegung (mehr) gibt.

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Ulrike Gramann ist Journalistin und Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung in Berlin.