Konversion von Militärstandorten - Eingreifmöglichkeiten für die Friedensbewegung?

von Rainer Heubeck

Seit einigen Wochen veranstalten Bürgerinitiativen und Friedensgruppen in Wiesbaden allwöchentlich Montagsdemonstrationen unter dem Motto "Wiesbaden entrüstet". Im Einladungsflugblatt ist neben der Forderung nach Abzug von Truppen und Waffensystemen auch angeführt, daß "Wiesbaden entrüstet" für "mehr Wohnungen, mehr Gewerbegebiete, mehr Arbeitsplätze ... " steht.

 

Die Osthessischen Friedensinitiativen haben eine Unterschriftenaktion gestartet, die die Forderung nach der Umgestaltung der US-Militäreinrichtung "Border Observation Point Alpha" in eine Point Alpha der internationalen Begegnung und der ökologischen Friedensarbeit als Mittelpunkt hat.

Weitere Beispiele können angeführt werden: der von den Grünen Siegen-Wittgenstein initiierte "Bürger-Appell für eine ganisonsfreie Stadt Siegen"; ein Brief der DFG/VK München an verschiedene Gruppen und Vereine, in denen diese aufgefordert werden, den Bedarf an kostenloser bzw. preiswerter Nutzung von freiwerdenden Grundstücken der Stadt München mitzuteilen, damit Militärabbau nicht nur zu "Bürosilos und Schickeria-Luxuswohnungen" führt; bayerische Grüne fordern die Umwandlung von Kasernen in Mietwohnungen und von einem Truppenübungsplatz in ein Naturschutzgebiet; die IG Metall Nürnberg hat sich an die Industrie- und Handelskammer gewandt, um eine Initiative zu starten, die das Ziel hat, Militärgelände in Gewerbeflächen umzuwandeln.

Seit einige Regierungen von Entsendestaaten für Stationierungsstreitkräfte laut über den möglichen Abzug von Truppen nachdenken, fordern immer mehr Kommunen, vom Militär entlastet zu werden. Die Landesregierung in Rheinland-Pfalz hatte gar schon einige Wochen davor begonnen, eine interministerielle Kommission einzurichten, die Vorschläge für die zivile Umnutzung von bisher militärisch genutzten Liegenschaften in Rheinland-Pfalz erstellen soll. In diesem Bundesland befindet sich auch die einzige Kommune - die Verbandsgemeinde Baumholder - , die bisher eine ABM-Stelle für einen Volkswirt eingerichtet hat, um die mit Militärabbau verbundene wirtschaftliche Umstellung zu planen.

Den Ansatz von Friedensinitiativen, phantasievollen Vorschläge in die öffentliche Diskussion einzubringen, die mögliche zivile Nutzungsmöglichkeiten für bisherige Militäreinrichtungen aufzeigen, halte ich für sinnvoll, weil er dazu beiträgt, im Bewußtsein von immer mehr Menschen Militärabbau denkbar zu machen. Darüber hinaus sind viele Möglichkeiten denkbar, solche Vorschläge in öffentlich sichtbare Aktionen umzusetzen. Ich möchte jedoch drei Aspekte anführen, die dabei nach meiner Einschätzung nicht übersehen werden sollten.

Lediglich Ausdünnung?

Im Bewußtsein eines großen Teiles der bundesdeutschen Bevölkerung geistert zurzeit die Vorstellung herum, die Sache mit "der Abrüstung" sei prima am Laufen und größere Abrüstungsschritte in diesem Land stünden kurz bevor. Deshalb sollte trotz aller Diskussionen über die Gestaltung von Abrüstungsschritten nicht versäumt werden, auf den realen Stand der politischen und militärischen Planungen hinzuweisen. Die US-Streitkräfte planen - neben der Schließung von über 50 Basen im eigenen Land - die Schließung von weltweit 12 Militäreinrichtungen. In der Bundesrepublik hat die Air-Force angekündigt, den Flughafen Zweibrücken bis Ende 1993 zu verlassen. Darüber hinaus wurden für weitere Standorte Truppenreduzierungen angekündigt, bisher davon betroffen sind Neu-Ulm, Schwäbisch-Gmünd, Sembach, Heilbronn und Pirmasens. Des Weiteren ist die Auflösung des US-Standortes Rheinberg am Niederrhein angekündigt worden. Sicher wird es im Rahmen der Reduzierung der US-Truppen auf 195.000 SoldatInnen in Mitteleuropa an weiteren Standorten zu Truppenreduzierungen kommen, zu befürchten ist jedoch, daß lediglich eine Ausdünnung und Umstrukturierung der Streitkräfte vorgenommen wird, und kaum militärische Liegenschaften freigegeben werden. US-Militärs machten deutlich, daß das Ziel eine kleine und bessere Struktur der Militäreinrichtungen sei sowie eine Verbesserung der Effizienz der Streitkräfte. Der US-Haushaltsentwurf sieht in diesem Zusammenhang auch eine Erhöhung der Mittel zur Entwicklung neuer Atomwaffen zur Stationierung in Europa sowie der Mittel für den Bereich SDI-High-Tech-Rüstung vor.

Schließung von Bundeswehrkasernen?

Bisher wird im Zusammenhang mit Standortkonversion vor allem über Militäreinrichtungen der Stationierungsstreitkräfte gesprochen. Die Friedensbewegung tut jedoch gut daran, den Blick auch auf die Bundeswehr zu richten. Zum einen, weil sonst statt ziviler Umnutzung unter Umständen nur eine Änderung der Nationalität der Militärs an den Standorten zu befürchten ist. So hat der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums im Zusammenhang mit dem Abzug der Air-Force aus Zweibrücken bereits anklingen lassen, daß möglicherweise ja auch die Bundesluftwaffe den Militärflugplatz in Zukunft nutzen könnte. Zum anderen, weil die Akzeptanz und Unterstützung in der Bevölkerung bei Forderungen nach dem Abzug von fremden Truppen - sofern keine zu starke ökonomische Abhängigkeit der Region vorliegt - relativ leicht zu gewinnen ist, während beim Thema Bundeswehr meist stärkere Widerstände zu erwarten sind. Ein Grund, genau deshalb die Diskussion auch über diese Frage zu führen und - gerade auch angesichts des Stärkerwerdens nationalistischer Tendenzen - die Forderung nach Schließung von Kasernen mit der Kampagne "Bundesrepublik ohne Armee" zu verbinden. 16 Gemeinden aus dem Bundesgebiet haben sich bereits an die Bundesregierung gewandt mit der Bitte, an ihrem Standort keine Reduzierungen bei der Bundeswehr vorzunehmen. Wann fordert die erste Kommune die Schließung von Bundeswehrkasernen?

Indirekt abhängige Arbeitsplätze
Wenn ernsthaft der zivile Umbau von Standorten und Regionen angestrebt wird, reichen plakative Forderung wie "Wohnungen statt Kasernen" oder "Militärgelände zu Gewerbeflächen" nicht aus. Die ökonomischen Abhängigkeiten von Militäreinrichtungen sind an vielen Orten in der Bundesrepublik sehr groß. Viel zu lange haben große Teile der Friedensbewegung über die Zusammenhänge zwischen Rüstung und Arbeitsplätzen verengt auf den Bereich der Rüstungsproduktion und auf der Ebene von Milchmädchenrechungen wie "das Geld für einen Panzer schafft ganz viele Arbeitsplätze in Krankenhäusern" oder ähnlich diskutiert. Außen vor blieben die Zivilbeschäftigten bei Streitkräften - insgesamt 228.000 im Bundesgebiet - sowie die indirekt von Militäreinrichtungen abhängigen Arbeitsplätze. Bei den indirekt abhängigen Arbeitsplätzen sind z. B. Bau- und Architekturleistungen für Militäreinrichtungen, Versorgung von Kasernen mit Dienstleistungen (z. B. Putzkolonnen) und Waren des tägliche Bedarfs, Arbeitsplätze, die von der Nachfrage von Soldaten und deren Familienangehörigen abhängig sind (z.B. an US-Garnisonen Taxiunternehmen, Gastronomie, Teile des Einzelhandels ... ). Ein nicht unbeträchtlicher Teil dieser Arbeitsplätze ( z.B. 66.479 Zivilbeschäftigte bei der US-Armee) sind ausländisch finanziert. Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Militäreinrichtungen sind in strukturschwachen Regionen (z.B. Oberpfalz, Westpfalz, Eifel...) existentiell. "Nach dem Gipfel droht der Westpfalz der Abstieg", stellte der Trierische Volksfreund schon Anfang Dezember 1989 fest - die US-Streitkräfte sind dort der größte Arbeitgeber, jeder zweite Arbeitsplatz in der Region ist direkt oder indirekt vom Militär abhängig.

Angesichts dieser Dimension der ökonomischen Abhängigkeit wird klar, daß der zivile Umbau einer Region umfassende Konzepte braucht und daß Abrüstungsplanung und Strukturhilfen notwendig sind. Wo die Auflösung von Militäreinrichtungen gefordert wird, sollte auch die Entwicklung solcher Konzepte unterstützt werden, sei es dadurch, daß Abrüstungsplanung bei den Kommunen, den Ländern und beim Bund eingefordert wird, sei es dadurch, daß eigene, der Friedensbewegung verbundenen Projekte initiiert und die Akzeptanz von Forderungen nach Kasernen Auflösungen, weil bei den Mensch, die ökonomisch vom Militär abhängen, Ängste verringert werden. Ein wichtiger Schlüssel für den zivilen Umbau sind die Nutzungsmöglichkeiten für die bisher militärisch verwendeten Liegenschaften. Gut erschlossen, zum Teil in Innenstädten oder zentrumsnah gelegen, bieten sich Möglichkeiten für verschiedene Gewerbearten (Industrie, Einzelhandel, Dienstleistungen). In den Vereinigten Staaten wurden von 1961 bis 1986 100 militärischen Einrichtungen in zivile Nutzung überführt - dabei sind 93.424 vom Verteidigungsministerium bezahlte Arbeitsplätze für Zivilbeschäftigte weggefallen, aber auf den umgenutzten Liegenschaften entstanden über 138.000 neue Arbeitsplätze. Trotz dieser Möglichkeiten müssen aber Umschulungsprogramme und Alternativarbeitsplätze etc. für die bisherigen Zivilbeschäftigten geschaffen werden, die von deren bisheriger Qualifikationsstruktur ausgehen. und in den am stärksten betroffenen Regionen müssen ganz neue Konzepte für eine eigenständige Regionalentwicklung entworfen werden. Deshalb halte ich es für sinnvoll, die Forderung nach der Auflösung von Militärstandorten und von Übungsplätzen zu verbinden mit der Forderung nach Abrüstungsplanung und Konversionskonzepten.

Rainer Heubeck arbeitet im fränkischen Friedensbildungswerk mit.

 

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