Vom Militär befreit:

"Konversionsfahrradtouren"

von Birgit Meier

Friedensarbeit muss Freude bereiten! Denn auf die Dauer werden Menschen nur das freiwillig tun, was ihnen Spaß macht! Was bereitet mehr Freude, als die Erfolge der eigenen Arbeit zu genießen?! Ungewöhnliche Gedanken vielleicht für eine Bewegung, die ihren größten Zuspruch in der Zeit der Nuklear-Angst fand - und die auch heute überall die leeren Gläser entdeckt, nicht die vollen.

Ich möchte hier eine Aktionsform vorstellen, mit der wir seit drei Jahren gute Erfahrungen gemacht haben: eine Fahrradtour. Wir selbst haben auch viel gelernt und hatten große Freude dabei. Die Mehrheit der Teilnehmenden kannten wir vorher nicht. Das ist ein gutes Zeichen, wenn sich auch "Außenstehende" interessieren. Die angeführten Beispiele kommen aus Mittelfranken, aber Land, das vom Militär befreit wurde, gibt es (fast) überall! Meist wurde es in irgendeiner Form der Bevölkerung zurückgegeben: Als Naturschutzgebiet oder Bauland, als Gewerbepark oder Wohngebiet. Mir ist kein Fall bekannt, wo die Bevölkerung dem Militär nachweint.

Gründe für Militärrückzug und Rolle der Friedensbewegung
Warum hat das Militär den Rückzug angetreten? Weil es "neue Aufgaben" bekommen hat, weg von der Verteidigung, hin zur Kriegsführung? So argumentiert die Fraktion, für die immer alles schlimmer wird. Aber der Wegfall der Landesverteidigung bei der Bundeswehr, der Teil-Rückzug der Nato-Truppen nach 1989 - das hat doch mit uns, mit der Friedensbewegung, zu tun! Hätte es keine friedliche Revolution gegeben, wäre der Kalte Krieg nicht einseitig beendet worden, so stünden jetzt noch hunderttausende waffenstarrende Soldaten in unserem Land, mitsamt ihren Massenvernichtungsmitteln. Es ist daher nicht vermessen, die Entmilitarisierung unseres Bodens und die starke Verkleinerung der Bundeswehr als unseren Erfolg zu feiern, auch wenn noch viel zu tun bleibt. Da "Konversion" ein Fachwort ist, das im heutigen Kontext eher an religiös Gewendete denken lässt, sollten wir nach Möglichkeit von "Befreiung vom Militär“ sprechen, das schließt dann auch Flächen ein, auf denen (noch) nichts Neues entstanden ist. "Befreit vom Militär" sind auch ehemalige Nazi-Liegenschaften, wie das Reichsparteitagsgelände und das Reichsarbeitsdienstlager in Nürnberg. Niemand würde hier von Konversion sprechen, wohl aber von Befreiung.  

Aufbau der Fahrradtour
Militärische Liegenschaften sind häufig sehr ausgedehnt, und/oder sie liegen weit auseinander. Daher planen wir vom Friedensmuseum Fahrrad-Führungen, denn bei Spaziergängen müssten wir uns zu stark beschränken. Dieses Jahr ist es uns sogar gelungen, einen kommerziellen Fahrradverleih als Sponsor zu gewinnen - an der Nahverkehrsendhaltestelle werden kostenlose Fahrräder bereit stehen. Wir planen die Fahrradtouren nicht alleine, sondern mit Partnerorganisationen, denn "Konversion" kann, wie oben beschreiben, viele Seiten haben:

  • Naturschutz! Aus ehemaligen Exerzier- und Standortübungsplätzen entstehen Naturschutzgebiete. Das Militär lässt sich dafür feiern, dass es hier so viele seltene Tiere und Pflanzen gibt. Natürlich: Gebiete, die einer sinnvollen Nutzung durch Wohn- und Gewerbebebauung entzogen waren, wurden auch nicht versiegelt. Es ist jedoch nicht logisch, dass der Naturschutz erst den "Umweg" über einen Exerzierplatz machen soll! Bei genauer Betrachtung gibt es dann dort neben seltenen Tieren öfters auch Munitionsreste und sonstige Altlasten - bei uns sind einige Flächen in Naturschutzgebieten deswegen gesperrt. Auf die Argumentation vom "Militär als Naturschützer" muss man jedoch vorbereitet sein! Der Ausflug in die Natur ist für viele Teilnehmenden die Hauptmotivation für die Fahrradführung. Darauf sollte man sich einstellen und auch "Schmankerl" bieten.
  • Lokalgeschichte! Etliche Liegenschaften in unserer Gegend gehen zurück auf die königlich-bayrische Armee, und waren seither der zivilen Nutzung entzogen, andere wurden von den Nazis, wieder andere erst von den US-Streitkräften gebaut. Ein Ausflug in die Lokalgeschichte ist spannend. Kann man zeigen, wo die hier stationierten Truppen realen Krieg geführt haben, dann wird ein "Standortübungsplatz" gleich viel plastischer, denn es ging ja nicht um Sandkastenspiele.
  • Stadtentwicklung! Die mittelfränkischen Städte Nürnberg, Fürth, Erlangen haben die befreiten Gebiete für eindrucksvolle hochwertige Stadtentwicklungsvorhaben genutzt: Aus den Rathäusern haben wir sehr viel gutes Material und viel Unterstützung bekommen! Für die BewohnerInnen der neu entstandenen Stadtteile ist die Geschichte natürlich besonders interessant. Aber es entstanden nicht nur neue Stadtteile in allen drei Städten, mitten in der einen Stadt wurde ein Naturschutzgebiet Wirklichkeit, in der anderen Stadt entstand ein lange vermisster Park und ein weiteres Naturschutzgebiet, eine Universität erweiterte sich, eine Weltfirma errichtete neue Arbeitsstätten für Medizintechnik und eine Wildpferd-Hengstherde bereitet sich auf einem ehemaligen Panzerschießplatz auf ihre Auswilderung vor. Wahrlich, eine reiche Friedensdividende!
  • Friedensbewegung! "Hier, auf dieser Straße, haben wir 1983 blockiert. Danach gab es etliche Gerichtsverfahren". Viel ist ja häufig nicht mehr zu sehen von den ehemaligen Lagerstätten von Massenvernichtungsmitteln. Wie gut, dass wir in unserem Archiv die alten Prozessakten haben - und auch etliche Fotos (jung waren wir damals!). Diese Fotos, verbunden mit Berichten der immer noch Friedensbewegten, können durchaus auch Nachgeborene berühren, denn dadurch wird Geschichte personalisiert.

Aus diesen Elementen setzen wir eine Fahrradtour zusammen. In Nürnberg kooperieren wir dabei jedes Jahr mit dem BUND (Bund für Umwelt- und Naturschutz), der für den "Naturschutzteil" der Tour verantwortlich ist. Wir - oder einE StadthistorikerIn - übernehmen den historischen Part. In Erlangen kooperieren wir dieses Jahr sogar ganz offiziell mit der Stadt und bekommen so aus erster Hand, von einem städtischen Referenten, eine Schilderung dessen, was in den letzten 20 Jahren geschaffen wurde im Konversionsprojekt "Röthelheimpark", einem Leuchtturmprojekt der Konversion.

Kurz: Wir legen Wert darauf, dass jede unserer Fahrradführungen mehr als einen Aspekt umfasst, am besten alle vier, am besten "verkörpert" durch eine auf diesem Gebiet tätige Person bzw. Organisation. Eine Fahrradführung hat zwar nicht die "Informationsdichte" eines Saalvortrags, weil die Kurzvorträge an den einzelnen Haltepunkten zwangsläufig straff sein müssen, aber sie verführt oft dazu, mehr wissen zu wollen! Und oft melden sich plötzlich ZeitzeugInnen - und wir sind die Lernenden. Und dann rückt die Geschichte der Friedensbewegung wieder in den Fokus, mit dem positiven Gefühl des - späten - Erfolgs!

Informationsbeschaffung
Nicht alle befreiten Liegenschaften sind als solche gekennzeichnet. Auskunft über die frühere Militärnutzung und damit Tipps für die Planung einer Fahrradtour geben:

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