Zwischen. Hoffnung und. Resignation

Konziliarer Prozeß quo vadis?

von Margot Käßmann
Schwerpunkt
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Wer die Tage der 7. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen {ÖRK) im Februar in Canberra/Australien mit speziellem Augenmerk auf den konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (JPIC) miterlebt hat, war hin- und hergerissen. Zum einen war der Prozeß in aller und nicht nur in deutschem oder europäischen Munde. Es gab keinen größeren Redebeitrag, der nicht auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung als Umschreibung der ethischen Herausforderungen, vor denen die Kirchen stehen, Bezug genommen hätte. Der Bericht des Moderators des Zentralausschusses betonte, müsse nach der Weltversammlung in Seoul zu einem verbindlichen Arbeits- und Rezeptionsprozeß kommen, in dem diese Texte auch mit Bezug·auf die konkreten. Probleme vor Ort und in den einzelnen Regionen präzisiert werden können".

In den Programmrichtlinien für die zukünftige Arbeit des ÖRK heißt es, JPIC sei die Perspektive, von der aus die Arbeit der Kirchen in der Welt zu leisten sein werde. Die Empfehlungen von Canberra unterstreichen die bisherigen Ergebnisse von Seoul und geben weiterführende Anregungen. Wer dieses de facto-Ergebnis sieht, kann zufrieden . sein: Der konziliare Prozeß hat einen festen Platz in der ökumenischen Bewegung. Abermals wurde jetzt beschworen, Seoul sei erst der Anfang, der erste Schritt gewesen.

Zum anderen kann aber auch, wer genauer hinsieht; die Probleme nicht ignorieren:

- organisatorisch: Das JPIC Büro wird Ende Juli geschlossen. Über eine neue Struktur des ÖRK wird erst im September befunden; bis sie implementiert ist, vergeht einige Zeit. Der Zentralausschuß hatte im März 1990 angeregt; in. Genf eine Art Austauschzentrum . zu gründen, um die verschiedenen Initiativen in den Mitgliedskirchen miteinander ins Gespräch zu bringen. Die .EKD-Delegation hatte in Aufnahme dieses Beschlusses vorgeschlagen; als Interimslösung dieses Büro in kleiner Besetzung unmittelbar nach Canberra einzurichten und dann in der Strukturreform eine langfristige Lösung anzustreben. Dieser Vorschlag kam leider nicht zum Zuge.

-kirchlich: Die zentrale . ekklesiologische Herausforderung des konziliaren Prozesses ist die Frage der Verbindlichkeit. Wurde etwa der Golfkrieg von einigen Mitgliedskirchen als gerechtfertigt tituliert, so steht das in krassem Widerspruch zu den durchgängigen Aussagen aller entscheidenden Texte des konziliaren Prozesses. Krieg als Institution wurde hier abgelehnt, eine Kultur der Gewaltfreiheit als Ziel der Kirchen angegeben. Was nutzen solche Aussagen, was nutzt das lange Ringen darum, wenn sie bei der nächsten Gelegenheit über den Haufen. geworfen werden? Wie sollen Kirchen in einer konkreten Situation zu. einem. gemeinsamen Zeugnis finden, wenn sie sich nicht auf eine verbindliche gemeinsame Grundlage ihres gemeinsamen Handelns einigen, das dann anwendbar ist?

-praktisch: Vom Papier zur Praxis ist wie immer ein weiter Weg. Manch einem/r sind die Dokumente von Stuttgart, Dresden, Basel und Seoul schon jetzt zu Papiertigern geworden. So müßten Beschlüsse wie z.B der, den Energieverbrauch der Kirche exemplarisch zu senken, Schritt für Schritt wahrnehmbar in die Tat umgesetzt werden und dann auch von Partnerkirchen bzw.-gruppen im Prozeß überprüft werden können.

-theologisch: Noch immer können die Kirchen sich nicht auf eine gemeinsame theologische Grundlage des Engagements im konziliaren Prozeß einigen. Vor allem das Konzept des Bundesschlusses und der Begriff "konziliar" sind nach wie vor umstritten. Hier ist eine umgehende Klärung notwendig, um nicht immer und immer wieder die gleichen Debatten zu wiederholen. Die Kommission für Glauben und·Kirchenverfassung des ÖRK, der auch die römisch-katholische Kirche als. Vollmitglied angehört, ist in Canberra erneut autgefordert worden, dies zu leisten. Bleibt zu hoffen, daß sie diese Aufgabe dieses Mal ernsthaft übernimmt, sonst müssen andere das leisten und den Kirchen vorlegen.

-inhaltlich: Der konziliare Prozeß wird zunehmend an Schwung und Unterstützung verlieren, wenn nicht erkennbare Handlungsschritte auf die Dokumente folgen. Es gibt inzwischen genügend Vorschläge inhaltlicher Zuspitzung. Wahrscheinlich wäre es sinnvoll, zunächst mit einem Punkt zu beginnen, der dann auf den verschiedensten Ebenen angegangen würde. Beispielhaft sind sicher Schritte wie die Initiative zur Schuldenkrise, die von schweizer, brasilianischen und deutschen Kirchen unternommen wurde und auch die schwedische für ökumenische Dienste für den Frieden. Dabei wird es aber wichtig sein, diese überregionalen Initiativen mit lokalen zu verknüpfen, um eine Basisbeteiligung und damit Basisträgerschaft zu ermöglichen. Verknüpfung ist hier der Schlüsselbegriff.

Wie die Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche weitergeht, wie der Kontakt zwischen Gruppen, Gemeinden und Kirchenleitung sich gestaltet, wie die verschiedenen Regionen miteinander in Kontakt treten, ist bei diesen Problemen noch gar nicht genannt. Ich persönlich bin mir zur Zeit nicht sicher, ob der ÖRK die Kraft haben wird, jene Herausforderung aufzunehmen und den konziliaren Prozeß kreativ und mit der Dringlichkeit, die ihm gebührt, weiterzuführen. Das hängt von vielen Faktoren ab; die hier nicht alle benannt werden können. Antworten, Reaktionen auf die Bedrohungen des Lebens kann es nur gemeinsam und in weltweiter Verknüpfung geben. Prophetisches Handeln und Reden vor Ort gewinnt Kraft durch die Verbindung mit anderem Handeln an anderen Orten. Dazu ist zumindest jenes Austauschzentrum als minimale Voraussetzung unverzichtbar. Sollte der ÖRK es nicht schaffen, werden die engagierten Gruppen; Gemeinden und auch Kirchenleitungen· zunächst in den Regionen aufgerufen sein, dies zu tun. Das geplante Folgetreffen in Basel könnte zu einer solchen Gründungsversammlung werden. Der ÖRK aber ist ein Rat von Kirchen, der sich auch den Bewegungen verbunden weiß:. So geht es zunächst darum, die Organisation und die Verbindlichkeit im Rahmen des ÖRK, aber auch der römisch-katholischen Kirche einzuklagen. Eine Organisation am ÖRK vorbei kanri nur eine Notlösung sein.

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