Stiftung INLIA

Koordination der Charta von Groningen

Die Entstehungsgeschichte der Stif­tung lNLIA

Eine Gruppe örtlicher Kirchengemeinden aus verschiedenen Teilen Europas, die, in ihrer kirchlichen Arbeit stärker mit der Flüchtlingsproblematik und insbesondere mit den Schwierigkeiten von und um "abgelehnte" Asylbewerber/innen konfrontiert wurden, traf dort zusammen, Um Erfahrungen, Ideen und Informationen auszutauschen,

Aufgrund des Bedürfnisses, sich gegen­seitig zu unterstützen und zu ermutigen, beschlossen sie, ein Bündnis lokaler Glaubensgemeinschaften aufzubauen; sie teilen die Sorge über die Flüchtlings­frage und wollen sich für konkrete Un­terstützung der Flüchtlinge einsetzen.

 

Die Charta von Groningen

Die Charta von Groningen ist der Text des Bundes, der einerseits Ausgangspunkte in Bezug auf die Flüchtlingspro­blematik umfaßt und andererseits eine aktive Stellungnahme der Glaubensge­meinschaften in dieser Frage darstellt. Die sich aus diesen Ausgangspunkten ergebenden Richtlinien liefern den ver­schiedenen Glaubensgemeinschaften konkrete Anhaltspunkte, an denen sie die Flüchtlingspolitik ihrer respektiven Regierungen überprüfen können.

Beinahe 700 Gemeinschaften, fast 200 davon in den Niederlanden, gründen gegenwärtig ihre Arbeit auf der Charta von Gröningen, und ihre Anzahl steigt weiter an.

Die Stiftung INLIA ist also aus einer aktiven Betroffenheit von kirchlichen Gemeinschaften entstanden. Sie wurde gegründet, um das Netzwerk der "Charta von Groningen" zu koordinieren und organisatorische Hände und Füße zugeben.

Die Stiftung will Ort der Information und Unterstützung für alle sein, die sich im Sinne der Charta von Groningen mit den Nöten vom Fremden in ihrer Mitte auseinandersetzen wollen. Wo es mög­lich ist, will sie dazu beitragen, daß direkte Kontakte zwischen Flüchtlingen und. Glaubensgemeinschaften entstehen, so daß konkrete Hilfe und Unterstützung gewährt werden können.

 

Die Ausführung

Ein Appell an lokale Glaubensgemein­schaften, sich für Flüchtlinge einzuset­zen, ist nur wirksam, wenn unmittelbar damit aktive Unterstützung verbunden wird, da eine Gemeinschaft, die dem Aufruf folgt, mit vielen Fragen und Pro­blemen konfrontiert wird.

Zahlreiche Erfahrungen machen uns re­gelmäßig deutlich, wie wichtig es ist, Kirchen bei den Aktivitäten, bei denen ihre eigenen Erfahrungen in diesem speziellen (diakonalen) Bereich noch nicht groß sind, Unterstützung zu gewähren.

In Zusammenarbeit mit Diakonen, örtli­chen Flüchtlingsräten und einer im Ausländerrecht spezialisierten Rechts­anwältin werden dann auch Fortbildun­gen zur Förderung des Fachwissens für lokale Glaubensgemeinschaften gege­ben, so daß diese Asylbewerbern und Füchtlingen selbständig Hilfe bieten können,

Auf Anfragen aus dem In- und Ausland kann die Stiftung zu einem internationalen sog. "urgent action request" (dringender Aktionsaufruf zum direkten Verschicken von Protestbriefen und Telegrammen an verantwortliche Be­hörden) aufrufen, unmittelbar mit den Behörden eines Landes vermitteln oder Beistand bei individuellen Fällen geben.

Beratung für Asylbewerberinnen Außer der Koordination des Netzwerkes der Chartagemeinden setzt INLIA sich besonders für die Asylbewerberinnen ein, die "abgewiesen" sind oder denen eine Ausweisung bevorsteht. Die Asylbewerberinnen kommen meistens am Ende des Verfahrens, u.a. über Anwaltsbüros, Flüchtlingsgruppen, Kir­chen, amnesty international, Aktionsgruppen usw., melden sie sich bei INLlA an. Einige hundert Akten von (fast) "abgewiesenen'' Asylbewerbern kom­men jährlich zur Überprüfung ins IN­LIA-Büro nach Groningen. Zur Deut­lichkeit muß erwähnt werden, daß der Begriff "abgewiesene" Asylbewerberinnen nicht bedeutet, daß der/die Asylbewerberin das ganze Verfahren durch­laufen hat und in letzter Instanz abge­wiesen ist. In den meisten Fällen geht es gerade um die Antragstellerinnen, die noch im Verfahren sind, die aber das de­finitive Ergebnis (wie z.B. die Berufung gegen die Ausweisung) nicht in den Niederlanden abwarten dürfen.

INLIA strebt bei der Vermittlung immer nach einer für alle betroffenen Parteien

(Asylbewerber, Hilfeleistende und Be­hörden) akzeptablen Lösung.

Das kann zwischen dem Versuch, ein Bleiberecht in den Niederlanden zu be­kommen, einer Weiterwanderung in ein sog. "Drittland" bis zu eine begleiteten Rückkehr ins Heimatland variieren.

 

Kirchenasyl

Manchmal geschieht es, daß "abgelehnte" .Asylbewerberlnnen mit Abschiebung in ihr Herkunftsland be­droht werden, unsere Stiftung aber zu der Überzeugung gelangt, daß diese Menschen eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Flüchtlings­vertrages der Vereinten Nationen haben oder daß zwingende Gründe humanitä­rer Natur vorliegen, was doch noch für die Verleihung einer Aufenthaltsgeneh­migung sprechen würde.

In einer solchen Situation wollen wir, nach einer gründlichen (u.a. juristi­schen) Untersuchung, Kirchenräte und Diakonien einladen, sich der Sache anzunehmen. Obwohl wir in beratender Funktion an der kirchlichen Aufnahme teilhaben (bzw. bei konkreten Fragen Unterstützung geben) unterliegt jeder konkrete Beschluß diesbezüglich der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Kirchengemeinde selbst.

Nach sorgfältigen, intern geführten Überlegungen können sie beschließen, diese Menschen legal aufzunehmen und die Behörden davon zu unterrichten, um so die unmittelbar drohende Abschie­bung zu verhindern, bis eine Lösung ge­funden wurde.

"Kirchenasyl" besteht juristisch gesehen eigentlich überhaupt nicht und genießt darum auch keinen gesetzlichen Schutz. Die Aufnahme von Asylbewerbern, die mit Abschiebung bedroht werden, ist in den Niederlanden vollkommen legal, wenn sie bei den zuständigen Behörden gemeldet ist.

Ein Tagesauffang ist immer erlaubt, Nachtauffang nur dann, wenn die zuständigen Behörden davon unterrichtet werden und wenn es sich nicht um eine als "unerwünscht" eingestufte Person handelt.

Bis jetzt hat "Kirchenasyl", das durch Kirchen auf Aufforderung der Stiftung INLIA gewährt wurde, bei ungefähr 190 Menschen schließlich zum Erfolg geführt.

Da die Entscheidung zum "Kirchenasyl" erst nach gründlicher Untersuchung und genauen Überlegungen gefällt wird, wenn wirklich keine andere Möglichkeit mehr besteht und eine Abschiebung nach unser aller Überzeugung unrecht­mäßig wäre, wird die Arbeit der Stiftung INLIA von den zuständigen staatlichen Behörden ernst genommen. "Kirchenasyl" dient also nur als "last resort".

 

Die Charta von Groningen

  1. Die Lage der Flüchtlinge und der Asylsuchenden in Europa ist alarmie­rend. Die europäischen Regierungen neigen allgemein dazu, ihre Grenzen zu schließen und den Zustrom einer wachsenden Anzahl von Füchtlingen und Asylsuchenden zu stoppen. Es werden auf nationaler und regionaler Ebene legislative und bürokratische Maßnahmen aller Art ergriffen. Zunehmend werden der Flüchtlingsbe­griff und die Genfer Konvention über Flüchtlinge von 1951 und 1967 re­striktiv ausgelegt. Als örtliche Kirchen, Pfarrgemein­den, Gemeinschaften und Basisgrup­pen fühlen wir uns in unserer Verantwortung als Christen zum Handeln aufgerufen. Flüchtlinge und Asylsu­chende führen uns vor Augen, wie­viel Gewalt und Unrecht auf der Welt herrschen, Die Belastung und die Er­schwernisse, die sich aus der Gewäh­rung des Schutzes für Flüchtlinge ergeben, zu scheuen, heißt, diese Ge­walt und dieses Unrecht als ein Pro­blem aller Menschen zu ignorieren. Unser Glaube, daß Gott die Einheit der Menschheit will, läßt uns diese Weigerung von uns weisen und die Partei der Flüchtlinge und Asylsu­chenden ergreifen.
  2. Parteinahme bedeutet für uns in erster Linie, daß wir uns bei der Zusammenarbeit auf örtlicher Ebene nach besten Kräften anstrengen wollen, um Flüchtlinge und Asylsuchende aufzunehmen. Doch zusätzlich be­deutet es, da wir den Druck auf un­sere Regierungen dahingehend verstärken müssen, daß sie in ihrer Asylpolitik nicht nur vom nationalen und europäischen Interesse ausgehen dürfen, sondern vielmehr eine groß­zügige Auslegung der internationalen Abkommen über Flüchtlinge und Menschenrechte gewährleisten müs­sen. Wir verpflichten uns, unsere Länder aufzufordern, sich an der weltweiten Lastenverteilung so zu beteiligen, wie es Europas Stellung in der Welt und in der Geschichte und die aus dieser Stellung resultierende Verantwortung gebieten.
  3. Wenn wir mit guten. Gründen anneh­men können, daß ein Flüchtling oder Asylsuchender, dem die Ausweisung droht, keine wirklich menschliche Behandlung erfährt oder Beschlüsse gefaßt werden, die die Qualität seines weiteren Lebens ernsthaft beein­trächtigen können, dann verpflichten wir uns, ihn aufzunehmen und zu schützen, bis eine für alle Teile an­nehmbare Lösung gefunden ist. Wir würden dabei eine offene. Auseinan­dersetzung mit unseren Regierungen oder unmittelbare Solidaritäts- und Protestaktionen nicht scheuen, wenn es die Situation unserer Meinung nach erfordert.
  1. Wir werden auch weiterhin örtliche, nationale und internationale Gremien und Kirchenverbände an ihre Ver­antwortung in Bezug auf Angelegen­heiten und Probleme der Flüchtlinge und Asylsuchenden erinnern und werden diese Gremien und Verbände dazu drängen, ihrer Verantwortung mit eigenen Mitteln und · Möglich­keiten gerecht zu werden.
  1. Da wir uns selbst als Partnerin einem Bundlokaler Kirchen und Basisgrup­pen betrachten, die die Partei der Flüchtlinge und Asylsuchenden er­greifen, versprechen wir einander Unterstützung und Solidarität und bemühen uns darum, andersgläubige Gemeinden und sonstige zu Partnern in diesem Bund zu machen.

 

Koordination der Charta von Gro­ningen, Rode Weeshuisshaat 1-3, NL 9712 ET Groningen; +31/50/138181, Fax +31/50/144944.

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