Buchempfehlung

Koran erklärt. Ein Beitrag zur Aufklärung

von Renate Wanie
Hintergrund
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„Viele reden über den Koran – wenige haben je eine Zeile darin gelesen oder sich gar mit dem Kontext seiner theologischen Aussagen befasst.“ So der Herausgeber Willi Steul in seinem Vorwort in der Buchveröffentlichung des Deutschlandradios (DLR) von „Koran erklärt. Ein Beitrag zur Aufklärung.“ Der Anspruch: „Wir wollen mehr tun. Information, Aufklärung, differenzierte Betrachtung – dies ist, was gerade öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zeiten leisten muss, in denen Ängste und Emotionen zu Vorurteilen und Ausgrenzung führen.“

Die drei genannten Zielsetzungen hat das DLR erreicht und mit der Buchveröffentlichung der Sendung in eigenständiger journalistischer Verantwortung einen Beitrag zur differenzierten Meinungsbildung geleistet. Das DLR hat mit den erhellenden über achtzig Auslegungen von gelehrten AutorInnen in allgemein verständlicher Sprache zur Aufklärung in unserer Gesellschaft beigetragen. Als AutorInnen konnten muslimische TheologInnen und IslamwissenschaftlerInnen aus Deutschland und anderen Ländern gewonnen werden. Das Konzept der Sendung „Koran erklärt“ erstellte Sebastian Engelbrecht, Intendant des Deutschlandfunks (DLF) mit Beratung von Angelika Neuwirth, Professorin für Arabistik an der Freien Universität Berlin. Redakteur ist der Islamwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders. Islamische Verbände wurden nicht einbezogen. Seit März 2015 wird die fünfminütige Interpretation der Koranverse regelmäßig freitags um 9.55 Uhr im Hauptprogramm des Deutschlandfunks gesendet. Ein Sprecher zitiert jeweils Koranzeilen, die AutorInnen erläutern. Diese Texte und drei Hintergrundessays von Neuwirth, Schneiders und Engelbrecht sind in dieser Buchveröffentlichung versammelt.

Aus der Einleitung des Herausgebers: Kaum ein Themenkomplex habe die Öffentlichkeit in letzter Zeit so stark beschäftigt wie die Entwicklungen, die alle mit dem Stichwort „Islam“ verbunden seien. Nicht nur der sog. Islamische Staat (IS) beziehe sich auf den Islam. Auch in Europa erliegen junge Menschen, hier aufgewachsen, der Faszination eines menschenverachtenden Missbrauchs des Islam. Die große Mehrheit gläubiger Muslime leide darunter, „Islamophobie“ mache sich breit, die das Zusammenleben in der Gesellschaft vergifte. Bezüge zur Anwendung von Gewalt im Koran gerieten in den Mittelpunkt, das humane Anliegen einer großen Religion komme nicht zum Ausdruck. „Dies kann und muss in seinem historischen und religionswissenschaftlichen Zusammenhang gestellt und verstanden werden.“

MigrantInnen in den Medien eine Heimat geben
Die klassischen KorankommentatorInnen waren sich darin einig, so der Islamwissenschaftler Schneiders, dass „die Interpretation des Korans … eine immerwährende Aufgabe der Muslime und all jener, die sich mit islamischer Theologie befassen [ist]“. (…) „Das Verständnis des Korans (wie jedes altertümlichen Textes) befand sich über Jahrhunderte hindurch immer in der Interdependenz zur jeweiligen Gegenwart.“ Deutlich wird in der Veröffentlichung, dass es illusorisch ist, jemals eine universell gültige Erklärung des Korans zu erhalten.

Doch zu den Ursachen des Terrorismus gehöre auch, die Sozialisation muslimischer Migranten in Parallelwelten mitten in den westlichen Gesellschaften zu thematisieren.  Auf lange Sicht ließe sie sich nur durch eine umfassende politische, soziale, kulturelle und religiöse Integration von Einwanderern verhindern“, so Engelbrecht. „Dabei gehört es zu den großen Herausforderungen, Migranten in den Medien der westlichen Gesellschaften eine Heimat zu geben.“ Dabei sei es unabdingbar, „dass sie nicht nur als Objekte der Berichterstattung und Information, sondern auch als ihre Subjekte sichtbar und hörbar werden.“ Hier liege der Schlüssel für eine bessere Integration. Das deutsche Religionsverfassungsrecht sei dazu potentiell wie geschaffen. Das DLR erfülle damit einen Kernauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Meinungsbildung und Aufklärung in unserer Gesellschaft.

Diese Buchveröffentlichung der Sendung „Koran erklärt“ ist eine großartige Erhellung, sie trägt auf verständliche Weise und mit unideologischer Wissensvermittlung dazu bei, Unkenntnis und Vorurteile über den Koran abzubauen. Eine unbedingt lesenswerte hochaktuelle Lektüre.

Willi Steul (Hrsg.) (2017): Koran erklärt. Ein Beitrag zur Aufklärung, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-46802-9, 297 S., 10,- €
http://www.deutschlandfunk.de/koran-erklaert.2393.de.html

Ein Beispiel zum Nachlesen:
Das Kopftuch

„Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Augen niederschlagen und ihre Keuschheit bewahren, den Schmuck, den sie tragen, nicht offen zeigen, soweit er nicht normalerweise sichtbar ist, und ihre Tücher über ihren Busen ziehen.“ (Sure 24, 31)

Nach der Auslegung von Prof. em. Dr. Gerald Hawting ist dieser Vers einer von mehreren, die sich mit der weiblichen Sittsamkeit befassen: „Die Formulierung ’die Augen niederschlagen’ wird im Allgemeinen so verstanden, dass man das andere Geschlecht nicht anschauen soll, um keine Leidenschaft zu entfachen. Manche Kommentatoren ziehen als Beweis einen Ausspruch des Propheten Mohammed heran, wonach man bereits mit den Augen Unzucht begehen kann.“ Hawting fragt, ob diese Aufforderung an Frauen verhindern solle, dass bei Männern Leidenschaft geweckt wird, oder bei ihnen selbst? „Die meisten verstehen den Koranvers so, dass weibliche Sittsamkeit vonnöten ist, um unangenehme Gefühle bei Männern zu vermeiden.“ Mehrere Kommentare zu diesem Vers befassen sich mit der Bedeutung des arabischen Wortes zina, übersetzt als „Schmuck“. Primär verstanden als das, was zusätzlich zur natürlichen Schönheit verstanden wird (Kleider, Juwelen, Schminke), aber auch Körperbereiche wie das Gesicht zu verdecken, werden befürwortet: „(…) dass die Frauen, um ihre Brust zu bedecken, die Tücher über das Gesicht fallen lassen müssen.“ Professor Hawting weist ebenso auf die Interpretationsspielräume von Gelehrten hin, die z.B. keine klare Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Raum machen, was Unklarheit bedeutet, ob der „Schmuck“ auch  in der Öffentlichkeit bedeckt werden muss. Und er  informiert darüber, dass moderne WissenschaftlerInnen derzeit die soziologische und die politische Bedeutung des Schleiers in modernen islamischen und nichtislamischen Gesellschaften untersuchen und zugleich versuchen, den Koranvers in Relation zum Wissen über weibliche Bekleidungsformen in vorislamischen Gesellschaften zu setzen.

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