Afghanistankongress in Hannover im Juni 2008

Kräfte bündeln, Wissen verbreiten und Aktivitäten anregen

von Susanne Grabenhorst

In Hannover fand am 7. und 8. Juni ein internationaler Afghanistankongress der Friedensbewegung statt unter dem Titel „Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan“.

Beteiligt waren eine Reihe von Friedensorganisationen (u.a.Bundesausschuss Friedensratschlag, DFG-VK, Kooperation für den Frieden), verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen (u.a. afghanische Initiativen, attac, medico international, proasyl, Informationsstelle Militarisierung), VertreterInnen von Parteien (Linkspartei, Bündnis90/die Grünen), sowie  von Gewerkschaften und Kirchen.

Unter den etwa 400 TeilnehmerInnen waren Mitglieder von Friedensgruppen aus elf Ländern (Afghanistan, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Iran, den Niederlanden, Schweden, USA).

In Podiumsrunden und Arbeitsgruppen diskutierten sie den Krieg in Afghanistan und insbesondere die Rolle der deutschen Bundesregierung und der NATO.

Die verzweifelte Lage der afghanischen Bevölkerung wurde vor allem von Afghanen und Afghaninnen eindrücklich geschildert. Durch die Beteiligung von US-Veteranen waren auch die Verletzungen, die der Krieg den SoldatInnen zufügt, sehr präsent.

Der Kongress verdankte seine konstruktive Atmosphäre und positive Ausstrahlung der funktionierenden Organisation, dem Kulturprogramm, der guten Presseresonanz und sicher auch der spektrenübergreifenden Zusammenarbeit innerhalb der deutschen Friedensbewegung. Die sprachliche und kulturelle Diversität wirkte belebend und gab Impulse für die europäische und die transatlantische Zusammenarbeit. Am Ende standen Verabredungen zu weiteren deutschen, europäischen und internationalen Friedensaktivitäten.

Die Position der deutschen Friedensbewegung zum Afghanistankrieg konnte in einem größeren Zusammenhang gesehen werden, wobei sich Differenzen zum Irakkrieg abzeichneten. Während der Berliner Konferenz gegen den Irakkrieg im März diesen Jahres  sagte eine US-Amerikanerin, sie wünsche sich, dass Deutschland (und Europa) ein „echotaker“ seien, im Sinne eines Raumes, der Impulse des US-Widerstandes gegen den Irakkrieg aufnimmt und verstärkt und damit die US-Friedensbewegung unterstützt. In Bezug auf Afghanistan scheint die deutsche Friedensbewegung eher in der Rolle einer Impulsgeberin als einer Impulsverstärkerin wahrgenommen zu werden.

Eines der erklärten Ziele des Kongresses war es, sich mit den Argumenten derjenigen in der  Friedensbewegung und in der Bevölkerung auseinanderzusetzen, die keine sofortige Beendigung des ISAF-Einsatzes fordern wollen, weil sie dadurch eine weitere Verschlimmerung der Lage in Afghanistan befürchten. Diese kontroverse Diskussion ist auch für die Überprüfung und Weiterentwicklung eigener Positionen erforderlich. Die Friedensbewegung kann nicht dabei stehenbleiben, sich über die 70 bis 80 Prozent der Deutschen zu freuen, die laut Umfragen den Afghanistaneinsatz ablehnen. Es gilt, die Distanz zwischen AktivistInnen und Bevölkerungsmehrheit zu verringern.

Die Konferenz war sich in der zentralen Forderung nach Abzug aller ausländischen Truppen einig, bei unterschiedlichen Sichtweisen einzelner Aspekte der Analyse und der Strategie.

Dieser Abzug einschließlich der Geheimdienste verbunden mit Reparationszahlungen und  materieller Aufbauhilfe ist Voraussetzung und Kern einer Friedenslösung.

Dabei werden umsetzbare Friedensideen in erster Linie von den gesellschaftlichen, heute oft marginalisierten  Kräften Afghanistans (Frauen, NGOs) bzw. der Region ausgehen.

Der Weg zu einem gerechten Frieden und zur Respektierung der Menschenrechte, zu nachhaltiger Sicherheit und zu menschenwürdigen Lebensbedingungen, kann nur ein Weg ziviler Strategien sein. VertreterInnen von NGOs und Friedensforschung stellten Möglichkeiten ziviler Unterstützung und Konfliktlösung auf dem Kongress zur Debatte. Diese sind immer im Zusammenhang mit ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragen und im internationalen geopolitischen Beziehungsgefüge zu sehen.

Der Kongress  ging davon aus: Zivile Lösungen sind  prinzipiell möglich. Sie brauchen die Ressourcen, die zur Zeit für den Krieg verschwendet werden. Und sie sind kein Betätigungsfeld für das Militär. Auch der Aufbau einer demokratisch strukturierten und demokratisch kontrollierten Polizei ist keine militärische Aufgabe, die als Hintertür benutzt werden darf, um das Militär doch noch zu legitimieren.

Folgende Ergebnisse standen am Ende des Kongresses

  • Die deutsche Friedensbewegung ruft aus Anlass der anstehenden Verlängerung des -  zeitlich und personell ausgeweiteten -  Mandats der Bundeswehr in Afghanistan zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin und Stuttgart am 20.09.2008  auf.
  • Ein „Internationales Afghanistan Friedensnetzwerk“ wurde ins Leben gerufen, um die internationale Zusammenarbeit für den Frieden in dem leidgeprüften Land zu effektivieren.
  • Gemeinsame Aktionen zum 60. Jahrestag der NATO im April/Mai 2009 in Straßburg und Kehl wurden diskutiert und vereinbart. Dazu fand sich eine internationale Vorbereitungsgruppe zusammen, die ein internationales Vorbereitungstreffen für den 4. und 5. Oktober 2008 in Stuttgart vorbereitet. Am 7. September 2008 wird in Frankfurt ein Vorbereitungstreffen für deutsche Aktive stattfinden.

Die Nicht-Verlängerung der Bundeswehrmandate wäre ein Zeichen für den dringend erforderlichen Strategiewechsel.

Die Friedensbewegung wird ihre Kräfte auf diesen Strategiewechsel konzentrieren. Der Afghanistankongress war dafür eine Ermutigung und zudem eine Etappe im Aufbau  einer globalisierten Gegenmacht „von unten“.

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Krisen und Kriege

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Susanne Grabenhorst ist Ärztin für Psychosomatische Medizin und Vorsitzende der deutschen Sektion der Internationalen ÄrztInnen für die Verhütung des Atomkriegs, ÄrztInnen in sozialer Verantwortung (IPPNW).