Krieg in Los Angeles? Ein Krieg in den Vereinigten Staaten?

von Dorie Wilsnack
Hintergrund
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Wir haben uns als KriegsgegnerInnen mit kriegen und gewaltsamen Konflikten in vielen Teilen der Welt vertraut gemacht. Wir haben sogar einige Fähigkeiten darin entwickelt, die Menschen vor Ort zu unterstützen, die gegen diese Kriege aktiv Widerstand leisten. Bei allen unseren Erfahrungen, von Bürgerkriegen bis zu Interventionskriegen, waren die USA eine der mächtigen äußeren Kräfte. Eine Supermacht mit dem Geld und der Arroganz, Weltereignisse zu beeinflussen und zu manipulieren. Die Konflikte und Kämpfe innerhalb der US-Gesellschaft sind uns zwar ziemlich bekannt, aber wir würden sie nie als "Krieg" betrachten. Zumindest nicht bis heute. Bis das Rodney-King-Urteil Tage ziviler Unruhe in Los Angeles auslöste.

Die Komponenten vieler Kriege können in Los Angeles ausgemacht werden:

-    Ethnische Gewalt: Die innerethnischen Koflikte, über die wir uns in Osteuropa und Indien Gedanken machen, können auch in LA gefunden werden. Rassismus ist in den USA nicht einfach eine Sache weißer Herrschaft über eine schwarze Minderheit, obwohl dies das Hauptthema bildet. In Los Angeles sahen wir den Konflikt zwischen Afroamerikanern und koreanischen Amerikanern. diese beiden Gemeinden sind auch in anderen Städten schon gewaltsam zusammengestoßen, besonders im Umfeld koreanischer Lebensmittelläden in schwarzen Nachbarschaften.

-    Polizeibrutalität: Sah das Rodney-King-Video nicht vertraut aus? Es erinnerte mich an Videos, die ich gesehen habe, wo israelische Soldaten Palästinenser niederknüppelten. Der einzige Grund, warum das Zusammenschlagen von Rodney King einen Schock in der ganzen Welt auslöste, war, daß es jemand auf Video aufnahm. Physische Mißhandlungen von Seiten der Polizei passieren ziemlich oft in armen und nichtweißen Gemeinschaften. Der Kern des Problems ist die Tatsache, daß soziale Strukturen die Polizei bevorzugen und daß dies eine gewisse gesetzeslose Haltung ihrerseits ermutigen kann. Sie wissen, wenn sie vorsichtig genug sind, kommen sie sogar mit Mord davon.

-    Belästigung durch die Polizei: Als die osteuropäischen Staaten noch Polizeistaaten waren, sahen sich die BürgerInnen harten Strafen ausgesetzt, wenn sie ohne ihre Identitätspapiere aufgegriffen wurden. Und man vergesse nicht die Ausweiskarten, die von jedem schwarzen Süd-afrikaner verlangt wurden.

Nun, man betrachte die USA genauer. In Los Angeles und jeder anderen amerikanischen Stadt ist jeder Farbige, der in einem unangemessenen Teil der Stadt herumzufahren scheint, mögliches Opfer einer Befragung durch die Polizei: Sein Auto wird gestopt und durchsucht. Und je-des heftige Wort des Protestes über diese Behandlung kann zu "Widerstand gegen die Festnahme" werden. Gestern ging ein schwarzer graduierter Student der Columbia Universität in New York die Straße entlang und wollte sein Taschentuch in einen Abfallkorb werfen, zielte jedoch daneben. Er wurde sofort von einem Polizisten an die Wand gestellt, beschimpft, bedroht und gezwungen, den Abfall dreier Straßenblocks aufzusammeln. Als er gegen die Drohung protestierte, festgenommen zu werden, wurde er wegen Widerstands abgeführt. Ist dies nicht ein typisches Verhalten für jede Okkupationsarmee? Wie können Gemeinschaften solchen systemischen Provokationen Widerstand leisten?

-    Ein rassistischen Justizsystem: Individuelle Gewalt bekommt ein neues Gesicht, wenn sie durch ein vorurteilsbeladenes Justizsystem abgesichert wird. Vor einigen Monaten wurde ein weißer Student vor Gericht gestellt, weil er einen schwarzen, unbewaffneten Teenager erschossen hatte. Seine Verteidigung war, daß es so ausgesehen habe, als ob der Jugendliche eine Pistole herauszöge, als er schnell seine Arme hob. In Los Angeles wurde, kurz vor dem Rodney King Fall, ein koreanischer Ladenbesitzer verurteilt, weil er ein junges Mädchen in den Kopf geschossen hatte, als er sie beim Ladendiebstahl erwischte; er erhielt eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten.

-    Aufrüstung: Wir lesen oft in diesen Tagen, daß die gewaltsame Eskalation in Bosnien-Herzegowina teilweise auf zahlreiche bewaffnete Milizen zurückzuführen ist, die vollständig außerhalb jeder Kontrolle durch die Regierung stehen. Viele Städte in den USA sind heute be-waffnete Camps, aber in Los Angeles gehört das Maß an Gewalt und ihrer Zufälligkeit zu den schlimmsten. Schüsse aus vorbeifahrenden Wagen und auf den Autobahnen sind zu immer häufigeren Vorkommnissen geworden. In manchen Nachbarschaften ist die Gewalt durch Banden so groß geworden, daß öffentliche Schulen in bestimmten Häuserblocks eingerichtet wurden, weil die jungen SchülerInnen nicht sicher waren, wenn sie von dem Territorium einer Gang in das einer anderen wechselten, um zu ihrer lokalen Schule zu gehen.

-    Militärische Intervention: Der Bundesstaat Kalifornien und die US-Regierung haben auf die Gewalt in Los Angeles mit den gleichen Ideen und Einstellungen reagiert, die in der US-Außenpolitik gefunden werden können.
    Zuerst wurde die Nationalgarde des Bundesstaates Kalifornien gerufen und dann die US-Armee. Die Medien berichteten, daß die US-Truppen alle in Panama und dem Persischen Golf Gewesen waren und daher "erfahren darin waren, mit zivilen Unruhen umzugehen".

-    Militärische Besetzung: Los Angeles hatte eine viertägige Ausganssperre. In einigen Nachbarschaften der Mittelschicht würde man nicht bemerkt haben, daß etwas nicht in Ordnung war. In anderen standen Soldaten an jeder Ecke und man mußte die Straßen verlassen. Die Be-setzung gab anderen Einrichtungen die Freiheit, ohne Protest Menschenrechtsverletzungen zu begehen 14.000 Arbeiter ohne Papiere wurden währen der Aufstände festgenommen. Niemand brauchte zu beweisen, daß sie gefährlich waren; sie hatten nicht die richtigen Papiere und das ist Grund genug.

Der Beginn einer Antikriegsbewegung?
Die meisten Kriege lassen uns als Kriegsgegner ziemlich demoralisiert zurück. Aber wir finden Hoffnung in den Schimmern von Widerstand, in den kleinen Versuchen, eine humane und gewaltfreie Reaktion auf die Situation zu finden. Diese kleinen Schritte können genug sein, um so zu inspirieren, daß wir den Dingen eine andere Wendung geben. Wenn das, was in Los Angeles geschah, ein Teil eines Krieges ist, der in den USA gärt, dann gibt es Ansätze für Hoffnung und zukünftige Arbeit.

Die War Resisters League in Los Angeles hat von einer Frau gehört, die ihre Mobilisierung in die Nationalgarde verweigerte und von einem Studenten, der aus seinem Vertrag mit der Armee herauskommen möchte. Wenn ein oder zwei VerweigerInnen wie diese in die Öffentlichkeit treten, gibt es Dutzende mehr, die über ihre Verweigerung nachdenken.

Als die Gewalt in Los Angeles tobte, waren StudentInnen - und besonders junge farbige Menschen - überall im Land auf der Straße. Was überraschend und ermutigend war, ist wie viele von ihnen über Gewaltlosigkeit sprachen und der Notwendigkeit, den weißen Rassismus mit gewaltfreien Mitteln zu stoppen. Doch waren viele unsicher, wie dies genau geschehen könnte; dies ist der Punkt, wo verschiedene gewaltlose Gruppen in den kommenden Monaten eine entscheidende Rolle spielen können.

Ein Teil des Desinteresses dieser Jugendlichen an bewaffneten Widerstand kommt von ihrer eigenen schmerzhaften Erfahrung mit alltäglicher Gewalt. sie wissen, wie jeder Vietnam Veteran, der zum Pazifisten geworden ist, daß Gewalt einfach nicht die Antwort ist. In New York hat eine lokale Kampagne für innergesellschaftliche Abrüstung schon wichtige Personen aus armen Nachbarschaften mit Personal lokaler Friedensorganisationen zusammengebracht. Zu den Projekten der Kampagne gehört ein Gesetz, die Waffenindustrie für gewaltsame Todesfälle verantwortlich zu machen, ein Einzug aller Waffen und Amnestie, eine Petitionskampagne unter Müttern und Training für Gewaltfreiheit ihn in den Oberschulen. Außerdem gibt es die Idee, Kampagnenarbeit auf Polizeibrutalität zu konzentrieren.

Was wird als nächstens geschehen?
Während alle Menschen über das Rodney King Urteil entsetzt und die meisten über das Maß an Gewalt und Wut, das in Los Angeles unter den Aktivisten ausbrach schockiert waren, gab es wenig Überraschung. Und die gleichen BeobachterInnen sagen, daß es auch nicht die letzte Explosien gewesen sein wird.

Seit vielen Jahren hat die US-Wirtschaftspolitik und der Rassismus eine Unterschicht geschaffen, und jetzt, wo soziale Netz der USA sich insgesamt aufzulösen beginnt, sind Explosionen in armen Gemeinden unvermeidlich. Und sie werden sich genauso unvermeidlich auf Gemeinden der arbeitenden Schicht jeder Hautfarbe ausweiten. Die Gefahr und die Tragödie hier ist, daß die Bürger so schwer bewaffnet und die Menschen so wütend sind, daß sie es aller Wahrscheinlichkeit nach gegeneinander austragen werden, und zwar ziemlich gewaltsam. und die US-Regierung, finanziert und gestützt durch Geschäftsinteressen und die privilegierten Klassen, werden keine Hemmungen haben, ihren mit gleicher Münze heimzuzahlen. Und sie haben die besseren Waffen. KriegsgegnerInnen in den USA sehen sich einem schlagenden Dilemma gegenüber. Sie brauchen Hilfe beim Aufbau einer gewaltlosen Bewegung, um den Krieg in einem Land zu stoppen, in dem sie wenig Erfahrung haben: Ihrem eigenen. Sie sind sehr geübt, Projekte wie "Witness for Peace" zu gründen, die agieren, um US gestützte Gewalt in Zentralamerika zu stoppen. Aber es gibt  noch keine "Witness for Peace"-Gruppe in Los Angeles. Es gibt noch keine Pledge of Resitance gegen Polizeibrutalitäten. Die Friedensgruppen müssen damit beginnen, ganze neue Leute zu treffen und viele neue Lektionen zu lernen.

Doris Wilsnach ist Mitarbeiterin der War Resisters' League, der US-Sektion der War Resisters'International. Der Artikel wird in ungekürzter Fassung in der kommenden Ausgabe der Peace News erscheinen. Übersetzung: CS

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Dorie Wilsnack ist Trainerin, Organizerin und Fundraiserin und hat für viele US-Friedensorganisationen gearbeitet. Sie betreibt das Radical Roots Genealogoy-Projekt, wo sie Menschen hilft, die sozialen und politischen Wurzeln ihrer Ahnen zu erkunden.