Krieg ist keine Lösung - Alternativen sind möglich

von Clemens Ronnefeldt
Nach den Terroranschlägen in Spanien plädieren zahlreiche Regierungen und Medien für ein schärferes - auch militärisches - Vorgehen gegen mutmaßliche Terroristen sowie gegen Länder, die diese unterstützen. Statt "Krieg gegen Terror" zu führen, stellt sich nicht eher die sehr viel grundlegendere Frage, wie das Leid von Opfern sowohl von Terrorangriffen wie am 11.9.2001 in New York und Washington oder in Spanien als auch das Leid von Opfern in Ländern wie Afghanistan oder Irak vermieden werden kann?

1. Kampagnen für Gerechtigkeit und Frieden
Seit vielen Jahren engagieren sich Menschen in Kampagnen für Frieden und Gerechtigkeit, die an den Ursachen von Krieg und Gewalt ansetzen und bereits auf einige Erfolge zurückschauen können:

1.1. Kampagnen im militärpolitischen Umfeld:

 
    Kampagne für die Abschaffung und den Produktionsstopp aller Landminen
 
 
    Kampagne für den Stopp des Kleinwaffenhandels und des Kindersoldatentums
 
 
    Kampagne für einen Weltraum ohne Waffen- und Kernenergienutzung
 
 
    Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (z.B. in Büchel in der Eifel)
 
 
    Kampagne für einen Stopp aller Atomtests
 
 
    Kampagne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen"
 
 
    1.2. Kampagnen im wirtschaftspolitischen Umfeld:  
    Entschuldungskampagne "Erlassjahr.de" zur Bekämpfung weltweiter Armut
 
 
    Kampagne zum Stopp des "Multilateralen Abkommen über Investitionen" (MAI), mit dem reiche Staaten bei Investitionen in Entwicklungsländern Umwelt- und Arbeitsschutz umgehen wollen
 
 
    Kampagne zur Reform der Welthandelsorganisation (WTO), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank
 
 
    Firmenkampagnen des Dachverbandes Kritischer Aktionäre, die auf Aktionärsversammlungen Konzerne wegen Umweltzerstörungen, Rüstungsproduktionen und dem Abbau gewerkschaftlicher Rechte kritisieren
 
 
    Kampagne zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes
 
 
    Kampagne für eine demokratische Kontrolle internationaler Finanzmärkte
 
 
    1.3. Vorschläge zur Zähmung der Globalisierung
Wenn der Friede die Frucht der Gerechtigkeit ist, gilt es zunächst, Voraussetzungen bei den internationalen Finanzmärkten zu schaffen, die bei entsprechendem politischen Willen sehr wohl kontrollierbar sind.

Vorschläge für eine Kontrolle sind:

 
    Die Einführung einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen (z.B. Tobin-Steuer)
 
 
    Die Schließung der Steuerparadiese und "Off-Shore-Zentren"
 
 
    Keine Privatisierung der Alterssicherung (z.B. Pensionsfonds)
 
 
    Das Verbot von spekulativen Derivaten und der hochspekulativen "Hedge-Funds"
 
 
    Schuldenstreichung für die Entwicklungsländer
 
 
    Strengere Banken- und Börsenaufsicht für die sog. institutionellen Anleger
 
 
    Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den drei Hauptwährungen Dollar, Euro und Yen
 
 
    Die demokratische Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen
 
 
    Die stärkere Besteuerung von Kapitaleinkünften und großen Vermögen. (vgl.: www.share-online.de/Finanzmaerkte).
 
 
   

Was derzeit wohl am meisten fehlt, könnte man als "Strukturelle Nichtausbeutungsfähigkeit" bezeichnen.

2. Alternativen zum Krieg sind möglich
2.1. Maßnahmen zur Überwindung von Unrechtsregimen
Die Stiftung Entwicklung und Frieden hat eine Reihe von Maßnahmen und Sanktionsfeldern zusammengestellt, die auch ohne Krieg einen Staat, der offensichtlich Menschrechte missachtet oder z.B. Terroristen fördert oder beherbergt, mit zivilen Mitteln zum Einlenken bewegen kann. Eine Erfolgsgarantie gibt es bei diesen Maßnahmen ebenso wenig wie bei einer Militärintervention. Die Schäden für die jeweilige Zivilbevölkerung halten sich allerdings bei den nachfolgenden Sanktionen im Gegensatz zu einem Krieg in Grenzen:

1. Im Bereich Kultur und Sport können die Austauschbeziehungen abgebrochen werden - wie dies z.B. beim Boykott der Olympischen Spiele 1980 wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan durch eine Vielzahl westlicher Staaten vorübergehend erfolgte.

2. Auf der diplomatischen Ebene können Botschaften oder Konsulate verringert oder geschlossen werden. Staaten können aus internationalen Organisationen ausgeschlossen werden, wie dies mit der Bundesrepublik Jugoslawien erfolgte, die wegen der Politik Milosevics vorübergehend aus der OSZE verbannt wurde. Amtsträger können zusätzlich mit einem Einreiseverbot belegt werden.

3. Im Verkehrsbereich kann der Flug- oder Schiffsverkehr unterbrochen werden, Bahn- und Straßentransportrouten ebenfalls.

4. Im Kommunikationsbereich können Post- und Televerbindungen unterbrochen werden.

5. In der Entwicklungszusammenarbeit kann die finanzielle und technische Unterstützung beendet werden. Deutschland finanziert z.B. nach wie vor ca. zehn Prozent des Staatshaushaltes von Ruanda ohne Kontrolle und Auflagen - obwohl die ruandesische Regierung mit diesem Geld vermutlich den Krieg und die Besetzung großer Landesteile im benachbarten Kongo mitfinanziert.

6. Im militärischen Bereich kann die Zusammenarbeit gekündigt und ein Waffenembargo verhängt werden. Obwohl der Nahe Osten eindeutig als Spannungsgebiet gilt und z.B. die israelische Armee Merkava-Panzer in den besetzten palästinensischen Gebieten einsetzt - entgegen einer Vielzahl von UN-Resolutionen -, liefert die Bundesregierung bis in die jüngste Vergangenheit Kupplungen für diesen Panzertyp an Israel.

7. Im Finanzbereich können Auslandsguthaben von Unrechtsregimen oder Diktatoren eingefroren und Finanztransfers verboten werden.

8. Im Handelsbereich kann ein Embargo oder ein Boykott zur Gewalt-Überwindung hilfreich sein - siehe das Beispiel Südafrika -, allerdings auch verheerende Folgen haben. Nach dem irakischen Überfall auf Kuwait 1990 wurde Irak sofort mit einem Embargo belegt, das auch sehr schnell Wirkung zeigte. Ob der irakische Diktator sich auf Grund dieses wirtschaftlichen Druckes möglicherweise auch ohne den Golfkrieg 1991 aus Kuwait zurückgezogen hätte, ist bis heute umstritten. Nach der militärischen Befreiung Kuwaits wurde das Embargo nicht aufgehoben und hatte rund eine Million Todesopfer zur Folge.

9. Kriegsverbrecher oder Terroristen können vor ein internationales Tribunal gestellt werden. Im Falle der Lockerbie-Affäre und der Suche nach den mutmaßlich sich verschanzten Terroristen wurde Libyen nicht mit einer Militärintervention überzogen. Der politische Druck auf Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi war schließlich groß genug, dass die libysche Regierung die mutmaßlichen Terroristen auslieferte, die anschließend vor ein internationales Gericht gestellt wurden. Warum wurde dieser rechtsstaatliche Weg nicht auch im Falle des 11. September 2001 beschritten? Warum nahm die US-Regierung statt dessen den Tod mehrerer tausend unschuldiger Zivilisten in Afghanistan in Kauf - und dies, obwohl die Täterschaft der Massenmörder vom 11.9.2001 bis heute keineswegs aufgeklärt ist?

Hermann Düringer und Horst Scheffler haben unter dem Titel "Internationale Polizei - Eine Alternative zur militärischen Konfliktbearbeitung" eine Reihe von Aufsätzen mit substantiellen Vorschlägen zusammengetragen, die Perspektiven bei der Verbrechensbekämpfung ohne den Einsatz von Militär enthalten.

Auf nationaler Ebene können zivile Friedensdienste ausgebaut werden. Die Bundesregierung hat im Jahre 2002 ein Zentrum für internationale Friedenseinsätze eingerichtet. Dort können sich auch Privatpersonen in Kursen schulen lassen, um z.B. bei Wahlbeobachtungs-Missionen im Rahmen eines OSZE-Auftrages eingesetzt zu werden.

Um eine zivilere Politik auf europäischer Ebene durchzusetzen und eine Ansprechstelle für das EU-Parlament zu schaffen, richteten Nichtregierungsorganisationen ein zentrales Verbindungsbüro (EPLO, European Peace Liason Office) ein, das personelle Aufstockung verdient.

Im Mai 2003 wurde in Berlin die Initiative "Pro UNCOPAC" erstmals vorgestellt. Diese Initiative verfolgt die Einrichtung eines Nebenorgans der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Die neue UN-Kommission für Frieden und Krisenprävention (UN-Commission on Peace and Crisis Prevention, abgekürzt: UNCOPAC) soll die Rolle der Zivilgesellschaft innerhalb der UN stärken sowie Krisen rechtzeitig erkennen und entschärfen, bevor sie eskalieren.

2.2. Zivile Alternativen zum Krieg im Nahen und Mittleren Osten
Für die gesamte Region Naher Osten und Zentralasien könnte sich die europäische Politik nach Vorbild der KSZE/OSZE für einen regionalen Friedens- und Sicherheitspakt stark machen, der auf eine ABC-Waffen-Abrüstung und ABC-waffenfreie Zone drängt.

Zur besseren Verständigung zwischen westlicher und arabischer Welt möchte ich die Etablierung einer europäisch-arabischen Universität in der arabischen Welt und einer arabisch-europäischen Hochschule in der westlichen Welt ins Gespräch bringen. Viele Vorurteile auf beiden Seiten könnten mit solch einer Universität abgebaut werden.

Städtepartnerschaften können ebenfalls Brücken zwischen Orient und Okzident schlagen. So unterhält z.B. Freiburg eine Städtepartnerschaft mit der iranischen Stadt Isfahan. Neben dem Kulturaustausch steht der Bau einer größeren Solaranlage in Isfahan mit Freiburger Unterstützung derzeit auf der Agenda.

In Jemen gehen religiöse Führer des Islam in Gefängnisse, in denen verurteilte Al Quaida-Kämpfer ihre Strafe absitzen. Sie versuchen dort, den Gefangenen ein Gottesbild nahe zu bringen, das vom Recht auf Leben jedes Menschen geprägt ist, und stellen im Koran die Suren vor, die von der Barmherzigkeit Gottes handeln. Mit dieser religiösen "Umerziehung" versuchen sie, die Gefangenen von ihren Märtyrer- und Selbstmordattentäter-Gedanken abzubringen. Nach der Haftentlassung bietet die jemenitische Regierung einen zivilen Arbeitsplatz an, um die Gefangenen in die normale Gesellschaft zu reintegrieren.

Für christliche Theologinnen und Theologen sehe ich eine große Aufgabe darin, christlich-fundamentalistischem Gedankengut einer Aufteilung der Welt in Gut und Böse, wie es in Teilen derBush-Administration anzutreffen ist, entgegenzutreten.

Die US-Regierung als größter finanzieller Unterstützer Israels hat es entscheidend mit in der Hand, ob der Palästina-Israel-Konflikt auf der Grundlage der sog. road map gelöst werden kann. Selbst nach den verheerenden palästinensischen Selbstmordattentaten und den Liquidierungen und Bombardierungen der israelischen Armee in den besetzten Gebieten ist eine Zweistaatenlösung mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten denkbar. Hierzu müsste sich die europäische Politik weitaus stärker engagieren, als sie dies bisher tut, da die US-Regierung nicht als ehrliche Vermittlungsinstanz in der arabischen Welt angesehen wird. Mit der Genfer Initiative vom Dezember 2003 der beiden Verhandlungsführer Beilin und Rabbo liegt ein machbarer Friedensplan auf dem Tisch.

Westlicherseits wäre die Reduzierung der Abhängigkeit aus der Golf-Region durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien ein entscheidender Deeskalationsfaktor zur Vermeidung künftiger Kriege.

Bei einem mittelfristigen Abzug der US- und britischen Militär-Präsenz aus der Golf-Region und einer Einstellung der Waffenlieferungen könnte im Zuge aller genannten Maßnahmen zusammen dem Terrorismus ein großer Teil seines Nährbodens entzogen werden. Gerechtigkeit und Frieden bekämen eine Chance, die islamische Welt würde endlich einmal gleichberechtigt und mit Respekt behandelt werden.

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Hintergrund
Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.