Buchbesprechung Henri Parens

"Krieg ist nicht unvermeidbar"

von Uta Ottmüller

Können wir Menschen nicht anders? 1932, zwischen den verheerenden Weltkriegen, hat der Atomphysiker Albert Einstein diese Frage an den Begründer der Psychoanalyse gerichtet. Sigmund Freuds Antwort fiel sorgenvoll aus, denn in seiner Triebtheorie nahm er an, dass die Libido, als prosozialer Lebenstrieb, im Todestrieb mit einem machtvollen Gegenspieler konfrontiert sei. Weil dieser seine Zerstörungsimpulse sowohl nach innen wie nach außen richte, müsse er schon im Interesse der Selbsterhaltung – durchaus auch lustvoll - nach außen gelenkt werden. In Anbetracht des seither enorm angewachsenen Zerstörungspotentials unserer Waffensysteme und einer Vielzahl politischer Probleme hat die Frage nach einer womöglich unheilbar destruktiven Natur des Menschen nichts von ihrer Brisanz verloren.

Henri Parens, Psychoanalytiker und 1928 geborener Überlebender des Holocaust, leitet sein eindrucksvolles Plädoyer für die Vermeidbarkeit von Kriegen mit Freuds Antwort an Einstein ein, um dann die "extreme Destruktivität", die mit dem Todestriebbegriff gemeint war, als bösartige Variante des Narzissmus zu erklären. Auf der Basis seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeit mit Kleinkindern und ihren Eltern beschreibt er, wie sich das Selbstwertgefühl des Kindes - also sein "gutartiger Narzissmus" - in der liebenden Fürsorge seiner Eltern spiegelt und das Kind seinerseits eine aktiv liebende Bindung eingeht. Je weniger die Eltern – aus welchen Gründen auch immer – die Bedürfnisse ihres Kindes verstehen und beantworten, desto stärker entwickelt sich bei diesem eine frühe Prägung zu feindseliger Destruktivität, Gier und Neid, die inzwischen neurophysiologisch nachweisbar ist. Parens beschreibt ausführlich die qualitativen und lebenszeitlichen Varianten des Narzissmus bis hin zu einem „bösartigen Hypernarzissmus“, den er an den Charakteren von Hitler und Stalin illustriert.

Großgruppenpsychologisch bezieht er sich auf den bekannten Konfliktforscher Vamik Volkan und dessen Konzept des „gewählten Traumas“, das eine vergangene, von der Gruppe als ungerecht empfundene und rituell betrauerte Niederlage bezeichnet. Als „narzisstische Wunde“ fördert das gewählte Trauma demnach Racheimpulse, die sich im Lauf der Geschichte gegenseitig aufschaukeln und mit der Überbewertung der eigenen und der Verachtung der anderen Gruppe einhergehen. Parens entwickelt hierzu theoretische Varianten des Vorurteils, die er aus unterschiedlichen Varianten des Narzissmus heraus erklärt. Zur Entstehung der bösartigen Varianten verweist er auf gruppenspezifisch vorherrschende harte Erziehungsregeln wie etwa die von Katharina Rutschky für Deutschland beschriebene „Schwarze Pädagogik“.

Eine besondere Rolle für den gruppenpsychologischen Umschlag vom gutartigen zum feindseligen Vorurteil spielt dabei das politische Geschehen unmittelbar nach bewaffneten Großgruppenkonflikten, wobei es häufig zu Gefühlen des Verrates und der Benachteiligung kommt. Parens vergleicht dazu ausführlich die Reaktionen Deutschlands nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg. Am Ende des ersten Weltkriegs wurde der Versailler Vertrag, bei dessen Abschluss „kein einziger feindlicher Soldat den Fuß auf deutsche Erde gesetzt hatte“, wegen seiner harten Reparationsforderungen als extrem ungerecht empfunden. Zusammen mit der „Dolchstoßlegende“, die nun den Feind im Inneren suchte, habe dieser zur Machtergreifung Hitlers, Wiederaufrüstung, dem zweiten Weltkrieg und dem Massenmord an den Juden und weiteren Opfergruppen geführt. Ganz anders reagierten die Siegermächte und insbesondere die USA nach dem zweiten Weltkrieg. Mit dem Marshallplan förderten sie nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch die demokratische Entwicklung.

Obwohl Parens in seinem vielschichtigen Buch immer wieder auf Deutschland und den Holocaust zurückkommt, sind die Beispiele für seine „multi-trends-Theorie der Aggression“ global und vielfältig, und er rezipiert ausführlich die internationale Literatur zu Krieg und Genozid. Hervorzuheben ist ein ausführlicher Schlussteil, in dem er Wege zur Vorbeugung von Kriegen empfiehlt. Während sich dabei viele Empfehlungen an die Diplomatie und den Ausbau von internationalen Organisationen richten, zeigt sich seine Forderung nach weltweit institutionalisierter Elternbildung als sein persönlichster Beitrag.

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Hintergrund
Dr. Uta Ottmüller ist Soziologin, Konfliktforscherin und Pädagogin sowie langjähriges Fördermitglied im Netzwerk Friedenskooperative. www.Uta-Ottmueller.de