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„Theatrum Belli“
Krieg und Frieden als Themen des modernen Theaters
vonWenn ein Kriegsschauplatz einmal „theatrum belli“ hieß (und in mehreren modernen Sprachen noch heute so heißt), liegt es nahe, beim Thema Krieg und Frieden in der Kunst auch das Theater zu berücksichtigen.
Wie setzt das moderne Theater diese Thematik um? Auf verschiedenste Weise. Seit den 1970er Jahren wird das „Theater der Unterdrückten“ des brasilianischen Regisseurs Augusto Boal praktiziert, bei dem sich zum Beispiel (als „unsichtbares Theater“) Schauspieler*innen auf der Straße, in Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln unter die Leute mischen und sie durch die Vorspiegelung bestimmter Situationen in Gespräche über aktuelle Probleme verwickeln. „Interventionen“ dieser Art haben auch die anarchistisch-pazifistische Gruppe „Living Theatre“ berühmt gemacht.
Einen ähnlichen Weg, nur von den Spielorten her etwas traditioneller, geht in Deutschland die Gruppe „Rimini Protokoll“. Die Organisator*innen holen Expert*innen auf die Bühne: Menschen, die im realen Leben Soldat*in, Muezzin, Politiker*in sind oder einer anderen für das jeweilige Thema wichtigen Berufsgruppe angehören. Dort sprechen und agieren sie aus ihrer persönlichen Sicht. Einige einschlägige Titel der letzten Jahre: „Dem Himmel so nah-ost!“ (realisiert als Hörspiel), „Situation Rooms“ (als Videostück). Von der Webseite: „(...) die Zuschauer folgen der individuellen Fährte der ausgehändigten Kameras (...). (...) So setzt sich ein Zuschauer an den Schreibtisch einer Führungskraft aus dem Rüstungsgeschäft. Eine andere Zuschauerin folgt gleichzeitig dem Film eines pakistanischen Anwalts von Opfern amerikanischer Drohnenanschläge in ein enges Kabuff mit Überwachungsmonitoren“), „PAYDAY“ über in der hessischen Provinz stationierte US-Soldaten oder „Sicherheitskonferenz“ als Simulation der Münchner Siko.
Nicht zu vergessen: der dezidiert politische Schweizer Regisseur und Autor Milo Rau: Er ist unter anderem für das Stück „Hate Radio“ bekannt. Es besteht aus Zusammenschnitten authentischer Kommentare eines ruandischen Radiosenders, die die Hörer*innen 1994 zum Völkermord an den Tutsi aufhetzten. Im vorigen Jahr hat er „Orest in Mossul“ nach Aischylos herausgebracht. Er hatte es in der ehemaligen IS-Hochburg Mossul im Irak mit dortigen Schauspielstudierenden produziert und uraufgeführt. Auf den Bühnen in anderen Ländern erscheinen die Szenen mit den irakischen Darsteller*innen als Videoprojektion. Ein Manifest des Nationaltheaters Gent, dessen künstlerischer Leiter Rau ist, sieht vor, dass mindestens eine Inszenierung pro Jahr vor Ort in einem Krisengebiet erarbeitet werden muss.
Neben diesen dem sogenannten postdramatischen Theater zuzurechnenden dokumentarischen und immersiven Theaterformen gibt es natürlich auch noch das „klassische“ europäische Theater. Es hat im Übrigen den Vorteil, dass es nicht vor allem auf die emotionale Vereinnahmung der Zuschauer*innen setzt, sondern ihnen die Möglichkeit lässt, kritische Distanz zum Dargestellten zu wahren. Der Diskussion politischer Fragen ist das förderlich. Das heißt nicht, dass es seine Stücke nicht aktualisiert: Selbst Shakespeares „Globe Theatre“ in London spielt „Macbeth“ heute in Businesskleidung und mit einem schwarzen Hauptdarsteller. Das holt die Inhalte in die Gegenwart und macht die Anliegen der Stücke jedem nachvollziehbar. Dieses Ziel hatten schon Shakespeare oder Kleist mit ihren Bearbeitungen antiker Stoffe wie „Troilus und Cressida“ und „Penthesilea“, die ebenfalls in den letzten Jahren über deutsche Bühnen gegangen sind. Übrigens ist auch das Musiktheater dabei, etwa mit Tolstois „Krieg und Frieden“ als Oper am Staatstheater Nürnberg. Von dem großen Verfechter der Reflexion auf und vor der Bühne Bertolt Brecht wird immer wieder „Mutter Courage und ihre Kinder“ gegeben, letztens am Schauspiel Köln auch sein „Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ über Deserteure im Ersten Weltkrieg. Das Staatsschauspiel Dresden hat eine Version von „Im Westen nichts Neues“ im Repertoire.
Aber es entsteht auch ganz Aktuelles. Das Bewusstsein der weltweiten Kriegssituation verlangt nach künstlerischem Ausdruck. Oft haben die Autor*innen persönliche Erfahrungen mit dem Krieg: Das Theater Paderborn spielt „Die Farbe des Morgens an der Front“ von Mustafa Can über den Krieg in Syrien. Am Schauspiel Köln läuft „Bomb. Variationen über Verweigerung“ von Maya Arad Yasur – auch über Drohnenkriege. Das internationale Ensemble des Maxim Gorki Theaters Berlin macht mit kollektiv entwickelten Stücken wie „Oder: Du verdienst deinen Krieg (Eight Soldiers Moonsick)“ auf die Situation von Soldaten im Krieg aufmerksam. Theater mit solchen Stücken kommen auch zu Gastspielen, beispielsweise „Trojanische Frauen“ von Davit Gabunia nach Euripides zu den Autorentheatertagen am Deutschen Theater in Berlin 2018; hier geht es um Frauen in den postsowjetischen Kriegen Georgiens. Beim diesjährigen internationalen Festival „Theaterformen“ in Braunschweig lief online ein argentinisch-spanischer Film nach einem Stück mit Veteranen des Krieges um die Malwinen/Falkland-Inseln 1982; auch der ist noch nicht vergessen.
Nicht zuletzt gibt es die Freien Theater: Das „theater odos“ tourt mit Stücken zu Flucht und Rechtsradikalismus über Land. Die Schauspielerin Lisa Wildmann kommt mit ihrer Ein-Frau-Inszenierung des Romans „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner auch an ungewöhnliche Orte. Und es gibt Gruppen, die mit Methoden des Theaters arbeiten: das „Zentrum für politische Schönheit“ mit seinen Aktionen gegen Krieg und Flüchtlingselend oder das Kollektiv „Peng!“, das einmal sarkastisch dazu aufrief, aus dem Familienurlaub im Süden einen Flüchtling mitzubringen. Solche Straßentheater-Ansätze zeigen Wege zu eigenen Aktionen auf. Viele Aktivist*innen können kleine Performances gestalten, wenn sie sich nur trauen. Manche DFG-VK-Gruppen bieten auf antimilitaristischen Mahnwachen Probeliegen in Särgen an und Mitglieder verkleiden sich als Tod – schon das bringt Aufmerksamkeit.
Alles darf man vom Theater nicht erwarten: Vor Jahren konnte ich ein Projekt mit israelischen und palästinensischen Jugendlichen beobachten. Sie hatten zusammen ein Stück erarbeitet und man hatte sich davon versprochen, sie menschlich zusammenzubringen und so einen Beitrag zum Frieden zu leisten. Aber nachdem die konkrete Arbeit vorbei war, in der Abschlussdiskussion, brach sich wieder gegenseitige Ablehnung Bahn. Theater kann die Welt nicht unmittelbar verändern. Aber es hat alle Voraussetzungen dafür, Veränderungen anzuregen: Modernes Theater ist multimedial, interaktiv, partizipativ und, wie alle Kunstgattungen, grenzüberschreitend. In Zeiten von Corona kann es nicht alle diese Vorzüge ausspielen. Trotzdem ist und bleibt es in jeder Form für Friedensbewegte ein wichtiger Impulsgeber und Partner.