Krieg zwischen Israel und den Palästinensern - kein Ende in Sicht?

von Tobias Kriener
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Seit über Wochen halten die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Zivilisten und paramilitärischen Organisationen auf der einen und israelischer Armee und bewaffneten Siedlern auf der anderen Seite an. Sie haben bisher über 200 Menschenleben gekostet - die übergroße Mehrzahl davon Palästinenser -, und ein Ende des Blutvergießens ist nicht absehbar.

Phasen teilweiser Beruhigung folgten immer wieder Phasen der Eskalation. Versuche, die Gewalt mit diplomatischen Mitteln einzudämmen oder zu beenden, sind durchweg gescheitert. Die "endgültige Regelung", die noch vor wenigen Monaten das Gipfeltreffen in Camp David herbeiführen sollte, scheint weiter entfernt als zu irgendeinem Zeitpunkt seit Abschluss der Osloer Vereinbarungen von 1993.

Zur Erinnerung: Auf dem Gipfel von Camp David und in den danach mit Hochdruck weiter betriebenen Verhandlungen hinter den Kulissen haben sich - nach dem, was bekannt geworden ist - weitgehende Übereinkünfte in allen Fragen herausgeschält, die in den Osloer Abkommen ausgeklammert und den Verhandlungen über die "endgültige Regelung" vorbehalten worden waren.
 

  •  Status des palästinensischen Gemeinwesens: Die Gründung eines palästinensischen Staates wird von israelischer Seite grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt. Israel besteht allerdings auf der Staatsgründung im Einvernehmen nach Abschluss eines Abkommens und kündigt Gegenmaßnahmen für den Fall einer "einseitigen" Staatsgründung an. Die palästinensische Seite hat dieser israelischen Position Rechnung getragen, indem sie die für den 13.9.2000 vorgesehene Staatsgründung auf unbestimmte Zeit verschob.
     
  •  Grenzen/Siedlungen: Israel hat seine Bereitschaft erklärt, 90% und mehr der Westbank und des Gazastreifens zu räumen. Auf den verbleibenden knapp 10% des Territoriums würden sich ca. 80% der israelischen Siedler als Teil des Staates Israel wiederfinden. Die restlichen Siedlungen werden geräumt. Als Kompensation für den Gebietszuwachs wird Israel ein entsprechendes Territorium an den palästinensischen Staat abtreten. Umfang und Lokalisation dieses Austauschgebiets sind noch nicht genau festgelegt. Es dürfte sich um ein Gebiet im südlichen Negev in der Nähe des Gazastreifens handeln.
     
  •  Palästinensische Flüchtlinge: Im Rahmen von Familienzusammenführung soll mehreren zehntausend bis zu über 100.000 (die durchgesickerten Zahlen differieren sehr stark) Palästinensern die Rückkehr gestattet werden. Die Übrigen sollen in den Staaten, in denen sie zur Zeit leben (v.a. Libanon, Syrien, Jordanien) integriert werden oder in anderen europäischen, nordamerikanischen und arabischen Staaten Aufnahme finden. Für verlorengegangenen Besitz sollen sie aus einem Fonds entschädigt werden, an dem sich auch Israel beteiligt.
     
  •  Jerusalem: Jerusalem soll als "offene Stadt" Hauptstadt beider Staaten werden. Arabische und jüdische Stadtteile sollen in wesentlichen Fragen autonom verwaltet werden und, wo sinnvoll, in praktischen Fragen im Rahmen einer gemeinsamen Dach-Stadtverwaltung kooperieren. Welche arabischen Stadtteile in Ost-Jerusalem unter palästinensische Souveränität kommen sollen, war in Camp David noch sehr umstritten. Inzwischen scheint die israelische Seite sich den palästinensischen Forderungen bedeutend angenähert zu haben.

Jüdische Siedlungen am Rand von Jerusalem (Gilo, Ramot, Ma`ale Adumim u.a.) sollen Jerusalem angegliedert werden (im Rahmen der knapp 10% der 1967 von Israel besetzten Gebiete, die dem Staat Israel zugeschlagen werden).
 

Demgegenüber zeichnete sich in drei vor allem symbolisch relevanten Punkten noch keinerlei Einigung ab.
 

  •  Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge von 1948: Die Forderung der Palästinenser, Israel solle die UNO-Resolution 194 anerkennen, die den palästinensischen Flüchtlingen ein "Recht auf Rückkehr" zuspricht, wird von Israel weiterhin kategorisch zurückgewiesen. Über eine Formel, mit der Israel ohne Anerkennung der UNO-Resolution seine Mitverantwortung für die Entwurzelung der Palästinenser im Krieg von 1948 einräumt, konnte bislang keine Einigung erzielt werden.
     
  •  Tempelberg/Haram asch-Scherif in Jerusalem: Das gegenseitige Beharren auf Ausübung der Souveränität unbeschadet der Erhaltung des Status Quo der faktischen administrativen Zuständigkeit der islamischen religiösen Behörden auf dem Gipfel von Camp David hat seitdem einige Aufweichungen erfahren durch die Diskussion von Modellen geteilter bzw. internationaler Souveränitätsausübung. Von einer Einigung auf eine Formel ist man allerdings weit entfernt.
     
  •  Erklärung der endgültigen Beendigung des Konflikts: Die palästinensische Seite verweigert nach wie vor kategorisch, den Konflikt für beendigt zu erklären, weil damit der Verzicht darauf verbunden wäre, noch irgendwelche Forderungen an Israel stellen zu können. Aus ebendiesem Grunde besteht die israelische Regierung jedenfalls offiziell nach wie vor auf diesem Ziel.
     

Man kann bilanzieren, dass zum Zeitpunkt des Beginns der gewaltsamen Auseinandersetzungen über die praktischen Fragen einer endgültigen Regelung erstaunlich weitgehende Übereinstimmung bestanden hat. Die Krux war und ist, dass in den symbolischen Fragen, die für das Selbstverständnis beider Seiten fundamentale Bedeutung haben, keine Einigung erzielbar scheint.

Israel würde mit der Anerkennung der UNO-Resolution 194 sich selbst eingestehen müssen, die als Rettungstat moralisch hochgradig positiv besetzte Gründung des jüdischen Staates um den Preis der moralisch hochgradig fragwürdigen Entwurzelung der Palästinenser erkauft zu haben. Zu diesem Eingeständnis und den damit verbundenen Konsequenzen im Selbstverständnis scheint die israelische Gesellschaft in ihrer großen Mehrheit nicht fähig zu sein. Die Äußerung von Premierminister Barak vom Sommer 1999, in der er sein Bedauern über das Schicksal der Palästinenser zum Ausdruck brachte, aber jede israelische Verantwortung dafür zurückwies, ist die derzeit äußerste vorstellbare Grenze in dieser Hinsicht.

Für die Palästinenser umgekehrt ist eine pragmatische Regelung des Problems der Lebensumstände der Flüchtlinge nicht denkbar ohne prinzipielle Anerkennung des Unrechts, das ihnen widerfahren ist. Nur auf Basis der prinzipiellen Anerkennung des Rückkehrrechts scheint ein faktischer Verzicht auf die vollständige Umsetzung dieses Rechts denkbar.

In der zweiten, vielleicht noch tiefer greifenden symbolischen Streitfrage - der Souveränität über den Tempelberg/Haram asch-Scharif - kommt zusätzlich noch die religiöse Dimension des Selbstverständisses beider Seiten ins Spiel. Für israelische Juden ist - abgesehen von einer verschwindenenden Minderheit, die sich rein als Staatsbürger Israels versteht - ihr Judesein für ihr Selbstverständnis konstitutiv. Dieses Judesein wird auch von sich sonst völlig säkular Gebenden und ohne jede religiöse Alltagspraxis Lebenden unmittelbar in Verbindung gebracht mit Stätten, die in der religiösen Tradition eine hervorgehobene Rolle spielen, an allererster Stelle dem Platz, auf dem in antiker Zeit der jüdische Tempel stand.

Dieser Platz nun ist derselbe, auf dem seit der arabischen Eroberung Palästinas im 7. Jahrhundert der Felsendom und die El-Aqsa-Moschee stehen als sichtbares Symbol für das Selbstverständnis des Islam als die durch Muhammad verkündete endgültige Korrektur der Verfälschung der bereits an Moses, Jesus und andere Propheten ergangenen Offenbarung durch die Mitglieder der Religionsgemeinschaften der Juden und Christen. Da sich die politische Führung der Palästinenser auch als Sachwalter der Muslime in Bezug auf den Haram asch-Scharif versteht, hat dieses islamische Selbstverständnis Auswirkungen auf den politischen Konflikt: Auch wenn Jerusalem als Heilige Stätte vom Judentum "geerbt" wurde, führt das Selbstverständnis des Islam als endgültiger und korrigierender Offenbarung in der politischen Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern dazu, dass inzwischen von palästinensisch-islamischer Seite bestritten wird, dass auf dem Haram asch-Scharif jemals ein jüdischer Tempel gestanden habe.

Die symbolische Frage der Souveränität über den Tempelberg/Haram asch-Scharif - die praktische Frage der faktischen Verwaltung der Stätte auf unabsehbare Zeit durch die muslimischen Behörden wird auch von israelisch-jüdischer Seite nicht in Frage gestellt - berührt also Elemente des Selbstverständnisses, die praktischen Regelungsmechanismen - um es vorsichtig auszudrücken - nicht ohne weiteres zugänglich sind. Damit hängt es zusammen, dass die Frage der Souveränität über den Tempelberg/Haram asch-Scharif von der palästinensischen Delegation zum Punkt erklärt wurde, über dem der Gipfel von Camp David abgebrochen wurde, und dass die Demonstration israelischer Souveränitätsrechte durch Ariel Scharon in einer ohnehin äußerst angespannten Situation für die palästinensische Seite das Fass zum Überlaufen brachte und den Aufstand auslöste.

Was bedeutet das für die Perspektiven einer Konfliktregelung?

  1. Die praktischen Fragen sind allesamt regelbar, und das Verdienst der Osloer Verträge besteht ganz zweifellos darin, dies - was vorher in weiten Kreisen völlig undenkbar schien - in der seither verstrichenen Zeit gezeigt zu haben.
  2. Die Regelung der praktischen Fragen hat zur Folge, dass auf beiden Seiten lange gehegte Träume und Ambitionen in einem psychologisch schmerzhaften Prozess verabschiedet werden müssen.
     
  3. Damit das gelingen kann ist es unerlässlich, dass die Regelung der praktischen Fragen von beiden Seiten nicht als Diktat der anderen Seite oder der Umstände und damit ausschließlich als Verlust wahrgenommen wird, sondern als Ergebnis eines frei eingegangenen Kompromisses Gleichwertiger (wenn auch nicht gleich Mächtiger), der für beide Seiten vor allem Vorteile erbringt.
     
  4. Möglicherweise bedarf es dazu noch langer und intensiver Verständigung nicht zuletzt über die benannten Symbolfragen. Um diesen Verständigungsprozess wieder in Gang setzen zu können und ihm die notwendige Zeit einzuräumen, wäre es wahrscheinlich hilfreich, große Teile der bereits erzielten Annäherungen in praktischen Fragen schrittweise umzusetzen, ohne den Konflikt offiziell für beendet zu erklären, so dass noch Raum bleibt für Verständigung über die zentralen Selbstverständnisfragen, ohne dass während dieser Verständigung der vor allem von palästinensischer Seite als unerträglich empfundene Status Quo sich unabsehbar verlängert und verfestigt.
     

Da weder Israel von der Landkarte verschwinden wird, noch die Palästinenser sich in Luft auflösen bzw. in die Nachbarstaaten verschwinden werden, wird man irgendwann auf diesen Weg wieder einschwenken. Die traurige Frage ist, wieviele Menschen bis dahin ihr Leben oder ihre Gesundheit verlieren werden, und wieviel tiefer damit der Graben wird, aus dem man sich dann wieder herauszuarbeiten haben wird.

Weitere Informationen auch über die Website des DIAK: http://www.diak.org

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Tobias Kriener ist Vorstandsmitglied des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten e.V..