6x jährlich erscheint unsere Zeitschrift "FriedensForum" und informiert über Neuigkeiten aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeheft zu!
Kriege für Menschenrechte?
vonDer Kosovokrieg hat neben allen "Kollateralschäden", nicht zuletzt auch den hierzulande politisch angerichteten, auch die Friedensbewegung gespalten und demoralisiert. Während die wahren Hintergründe und Motive des NATO-Einsatzes öffentlich praktisch nicht thematisiert wurden, hat die Frage, ob militärische Waffengewalt zur Durchsetzung von Menschenrechten angewendet werden darf, selbst in ehemals pazifistischen Kreisen für Verwirrung gesorgt. Die Zahl der zu entschlossenen "Bellizisten" Konvertierten spricht Bände. W.D.Narr, R.Roth und K.Vack vom Komitee für Grundrechte und Demokratie haben nun eine "Streitschrift" vorgelegt, die der "Wiedergewinnung einer pazifistischen Urteilsbasis" dienen soll. Sie schneiden damit eine Problematik an, die für die kritische politische Diskussion in Zukunft einen zentralen Stellenwert haben wird und die nicht so einfach zu lösen ist, wie das im aktuellen Schlagabtausch bisweilen schien.
Die Absicht der Autoren ist es nicht, ein weiteres Mal pazifistische Grundsatzerklärungen abzugeben. Sie argumentieren und diskutieren auf der Basis historischer Erfahrungen. Das grundlegende Argument ist, dass Menschenrechte grundsätzlich nicht mit Gewalt durchgesetzt werden können und dass Ziele und Mittel der Politik nicht im Widerspruch stehen dürfen, wenn erstere nicht von vorneherein in Frage gestellt werden sollen. Nachdem der Begriff der Menschenrechte wie kaum je zuvor zur Bemäntelung von militärischen Großmachtstrategien funktionalisiert worden ist, tut eine intensive Diskussion um seinen Inhalt und um seine Verwirklichungsbedingungen in der Tat not. Nicht nur in Anbetracht der inzwischen bekanntgeworden Kriegstatsachen und der verheerenden Folgen dieser "humanitären Intervention" im Kosovo, in Jugoslawien und in der ganzen Region.
Genau genommen hat sich mit dem Kosovokrieg eine doppelte Frage gestellt: nach den eigentlichen Motiven und Hintergründen der offiziell als "menschenrechtlich" und "humanitär" deklarierten Intervention und grundsätzlicher danach, ob Menschenrechte und Demokratie überhaupt mit kriegerischen Mitteln durchgesetzt werden können. Die Tatsache, dass der Krieg gegen Jugoslawien beileibe nicht der Menschenrechte wegen geführt wurde, erledigt die zweite Frage keinesfalls. Sie vor allem steht im Zentrum dieser "Streitschrift". Die Autoren verzichten auf eine umfassendere Analyse der geostrategischen und politischen Kalküle, die die NATO zu diesem Krieg veranlasst hat, und richten ihre Argumentation auf die Bedenken derer, die geglaubt haben oder noch glauben, dass für gute Zwecke im Ernstfall auch mal gebombt und getötet werden muss. Das ist schon deshalb wichtig, weil man annehmen kann, dass dies nicht die letzte "humanitäre" Kriegsintervention der kapitalistischen Metropolen gewesen sein wird.
Es bleibt allerdings das grundsätzliche Problem, wie eine Politik praktisch aussehen müsste, die auf eine Verwirklichung von Demokratie und Menschenrechten mit konsequent friedlichen Mitteln abzielt. Die argumentative Stärke der vielen Realpolitiker und Machtpragmatiker liegt ja gerade in dem Verweis darauf, dass die Welt halt so sei, wie sie ist, und alle anderen Überlegungen bestenfalls von naiver Blauäugigkeit zeugen. Für die Möglichkeiten einer politischen Alternative bietet gerade der Balkankonflikt eine Fülle von Hinweisen, wenn allein schon seine Vorgeschichte genauer untersucht wird, wie es hier getan wird. Allerdings handelt es sich dabei auch um einen historisch besonderen Fall. Deshalb wäre zu wünschen gewesen, dass die Autoren auf diese für sie ja zentrale Frage etwas allgemeiner und genauer eingegangen wären. Mit dem kurzen Verweis auf Franz Fanons gewiss problematische Rechtfertigung der Gewalt der Unterdrückten ist das Problem mit Sicherheit nicht abgehakt.
Für die dringend notwendige Diskussion nicht nur im Umkreis derer, die sich zur Friedensbewegung gerechnet oder sie zumindest als soziale Bewegung ernst genommen haben, sondern aller, die momentan scheinbar kontrafaktisch für eine vernünftigere Gesellschaft kämpfen, ist das Buch ein wichtiger Beitrag. Auch wenn über die praktische Realisierbarkeit einer konsequent pazifistischen Haltung in einer von Ausbeutung und Gewalt beherrschten Welt sicher gestritten werden kann, bietet es genug Hinweise auf die Konturen einer emanzipativen Politik, die sich nicht der Mittel der Mächtigen bedient, die nicht auf Staat und Herrschaft setzt und die zumindest den Versuch unternimmt, aus den herrschenden Verhältnissen und ihrer Gewaltlogik auszubrechen. Dies wird in Zukunft eine zentrale Herausforderung sein.