Kriege für Menschenrechte?

von Joachim Hirsch
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Der Kosovokrieg hat neben allen "Kollateralschäden", nicht zuletzt auch den hierzulande politisch angerichteten, auch die Friedensbewegung gespalten und demoralisiert. Während die wahren Hintergründe und Motive des NATO-Einsatzes öffentlich praktisch nicht thematisiert wur­den, hat die Frage, ob militärische Waffengewalt zur Durchsetzung von Menschenrechten angewendet werden darf, selbst in ehemals pazifisti­schen Kreisen für Verwirrung gesorgt. Die Zahl der zu entschlossenen "Bellizisten" Konvertierten spricht Bände. W.D.Narr, R.Roth und K.Vack vom Komitee für Grundrechte und Demokratie haben nun eine "Streitschrift" vorgelegt, die der "Wiedergewinnung einer pazifistischen Urteilsbasis" dienen soll. Sie schneiden damit eine Problematik an, die für die kritische politische Diskussion in Zukunft einen zentralen Stel­lenwert haben wird und die nicht so einfach zu lösen ist, wie das im ak­tuellen Schlagabtausch bisweilen schien.

Die Absicht der Autoren ist es nicht, ein weiteres Mal pazifistische Grundsatzer­klärungen abzugeben. Sie argumentie­ren und diskutieren auf der Basis histo­rischer Erfahrungen. Das grundlegende Argument ist, dass Menschenrechte grundsätzlich nicht mit Gewalt durchge­setzt werden können und dass Ziele und Mittel der Politik nicht im Widerspruch stehen dürfen, wenn erstere nicht von vorneherein in Frage gestellt werden sollen. Nachdem der Begriff der Men­schenrechte wie kaum je zuvor zur Be­mäntelung von militärischen Groß­machtstrategien funktionalisiert worden ist, tut eine intensive Diskussion um seinen Inhalt und um seine Verwirkli­chungsbedingungen in der Tat not. Nicht nur in Anbetracht der inzwischen bekanntgeworden Kriegstatsachen und der verheerenden Folgen dieser "humanitären Intervention" im Kosovo, in Jugoslawien und in der ganzen Re­gion. 

Genau genommen hat sich mit dem Ko­sovokrieg eine doppelte Frage gestellt: nach den  eigentlichen Motiven und Hintergründen der offiziell als "menschenrechtlich" und "humanitär" deklarierten Intervention und grund­sätzlicher danach, ob Menschenrechte und Demokratie überhaupt mit kriegeri­schen Mitteln durchgesetzt werden kön­nen. Die Tatsache, dass der Krieg gegen Jugoslawien beileibe nicht der Men­schenrechte wegen geführt wurde, erle­digt die zweite Frage keinesfalls. Sie vor allem steht im Zentrum dieser "Streitschrift". Die Autoren verzichten auf eine umfassendere Analyse der geo­strategischen und politischen Kalküle, die die NATO zu diesem Krieg veran­lasst hat, und richten ihre Argumenta­tion auf die Bedenken derer, die ge­glaubt haben oder noch glauben, dass für gute Zwecke im Ernstfall auch mal gebombt und getötet werden muss. Das ist schon deshalb wichtig, weil man an­nehmen kann, dass dies nicht die letzte "humanitäre" Kriegsintervention der ka­pitalistischen Metropolen gewesen sein wird.

Es bleibt allerdings das grundsätzliche Problem, wie eine Politik praktisch aus­sehen müsste, die auf eine Verwirkli­chung von Demokratie und Menschen­rechten mit konsequent friedlichen Mitteln abzielt. Die argumentative Stärke der vielen Realpolitiker und Machtpragmatiker liegt ja gerade in dem Verweis darauf, dass die Welt halt so sei, wie sie ist, und alle anderen Überlegun­gen bestenfalls von naiver Blauäugig­keit zeugen. Für die Möglichkeiten einer politischen Alternative bietet gerade der Balkankonflikt eine Fülle von Hinwei­sen, wenn allein schon seine Vorge­schichte genauer untersucht wird, wie es hier getan wird. Allerdings handelt es sich dabei auch um einen historisch be­sonderen Fall. Deshalb wäre zu wün­schen gewesen, dass die Autoren auf diese für sie ja zentrale Frage etwas all­gemeiner und genauer eingegangen wä­ren. Mit dem kurzen Verweis auf Franz Fanons gewiss problematische Recht­fertigung der Gewalt der Unterdrückten ist das Problem mit Sicherheit nicht ab­gehakt.

Für die dringend notwendige Diskussion nicht nur im Umkreis derer, die sich zur Friedensbewegung gerechnet oder sie zumindest als soziale Bewegung ernst genommen haben, sondern aller, die momentan scheinbar kontrafaktisch für eine vernünftigere Gesellschaft kämp­fen, ist das Buch ein wichtiger Beitrag. Auch wenn über die praktische Reali­sierbarkeit einer konsequent pazifisti­schen Haltung in einer von Ausbeutung und Gewalt beherrschten Welt sicher gestritten werden kann, bietet es genug Hinweise auf die Konturen einer eman­zipativen Politik, die sich nicht der Mittel der Mächtigen bedient, die nicht auf Staat und Herrschaft setzt und die zumindest den Versuch unternimmt, aus den herrschenden Verhältnissen und ih­rer Gewaltlogik auszubrechen. Dies wird in Zukunft eine zentrale Heraus­forderung sein.

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Krisen und Kriege
Prof. Dr. Joachim Hirsch ist Hochschullehrer für Politikwissenschaften an der Johann-Wolgang-Goethe-Universität Frankfurt und Bundesvorsitzender von "medico international".