Kriege in Afrika am Beispiel Kongo/Zaire

von Hans Hautmann

Am 30. Januar 2003 hielt Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann in der Friedenswerkstatt Linz einen Vortrag über historische und aktuelle Hintergründe der kriegerischen Ereignisse im Kongo. Diese wurzeln eindeutig in ökonomischen Interessen.

Die belgische Kolonialherrschaft
Die Völker, die im Kongobecken leben, haben in den letzten 130 Jahren einen schweren Leidensweg zurückgelegt und praktisch permanent Wellen der Gewalt über sich ergehen lassen müssen. Es begann schon in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als das Kongogebiet, das bis dahin unbekannt und unerschlossen war, durch die Entdeckungsreisen Stanleys in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ins Zentrum der Aufmerksamkeit und Begehrlichkeit der europäischen Mächte gelangte.

Die zweite Periode, die der belgischen Kolonialherrschaft, dauerte dann von 1908 bis 1960. Sie war dadurch gekennzeichnet, dass die belgische Kolonialpolitik alles daransetzte, die Herausbildung einer einheimischen Elite zu verhindern. Der eigentliche Herrscher im Kongo war die belgische private Bergbaugesellschaft "Union Minière", die dort die Kupfervorkommen ausbeutete. Der Kongo ist seit jeher einer der ressourcenreichsten Staaten Afrikas: er ist der weltgrößte Produzent von Industriediamanten, weitere Bodenschätze sind Kupfer, Uran, Kobalt, Erdöl, Stahlveredlererze wie Mangan und Chrom, gelegen in der Provinz Katanga (Shaba) im Süden des Landes.

Der Kongo war schon im zweiten Weltkrieg Objekt eines scharfen Kampfes zwischen den westlichen Kolonialmächten gewesen, zwischen Ländern, die politisch in der Anti-Hitler-Koalition verbündet waren. Nach der deutschen Okkupation Belgiens im Mai 1940 verstärkte sich sofort das Eindringen Großbritanniens und der USA in Belgisch-Kongo. Vor allem errichteten die USA eine vollständige Kontrolle über die Uran-Radium-Vorkommen in Katanga, die die größten der Welt sind. 1942 zwangen die USA Belgien und Großbritannien, ihnen das Erwerbsrecht auf alles in Belgisch-Kongo geförderte Uranerz zu überlassen.

Die Zeit der "Kongowirren"
Als unter dem Druck der Entkolonialisierungswelle in Schwarzafrika Ende der 50er Jahre nach großen Protestaktionen und einem Aufstand in der Hauptstadt Leopoldville (Kinshasa) auch Belgisch-Kongo 1960 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, begann die dritte Periode, die Zeit der "Kongowirren" von 1960 bis 1965. Denn der erste Ministerpräsident der Demokratischen Republik Kongo, Patrice Lumumba, wollte - ähnlich wie Nasser in Ägypten, Nkrumah in Ghana und Sékou Touré in Guinea - den Weg eines spezifisch afrikanischen Sozialismus beschreiten, mit Verstaatlichungen, Bodenreform, Planwirtschaft, Bildungsrevolution, um nicht nur eine formale, sondern auch eine reale ökonomische Unabhängigkeit vom westlichen Kapital zu erreichen. Deshalb leiteten Belgien, Großbritannien und die USA gegen Lumumba vom ersten Tag seines Regierungsantritts an desorganisierende Maßnahmen ein: eine massive Fluchtbewegung der europäischen Bevölkerungsteile, Abzug der Goldreserven, Meuterei der noch in der Kolonialzeit entstandenen und privilegierten Armee und schließlich Invasion durch belgische Fallschirmjägertruppen, die den von den belgisch-britischen Monopolkonzernen gekauften Moise Tschombé benützten, um die Bergbauprovinz Katanga abzuspalten. Die UNO-Truppen, die Lumumba zur Abwehr ins Land rief, unterstützten die Zentralregierung nur gering, weil sie zumeist von Offizieren kapitalistischer Länder befehligt wurden. Lumumba wurde von den Putschisten verhaftet, nach Katanga verschleppt und dort im Jänner 1961 im Interesse der belgischen, britischen und amerikanischen Monopole ermordet.

Diese "Kongowirren" (zeitweilig war Tschombé als Ministerpräsident eingesetzt worden, um die Privilegien der ausländischen Konzerne im Gesamtkongo zu wahren) endeten 1965 mit der Machtübernahme General Mobutus, der sich verlässlich auf die Wahrung der Interessen der westlichen Wirtschaftsmächtigen orientierte. Zum Dank dafür wurde die Sezession Katangas beendet und der territoriale Status von 1960 wieder hergestellt.

Die Herrschaft Mobutus
Mit der Herrschaft Mobutus, der die Demokratische Volksrepublik Kongo in Zaire umbenannte, begann die vierte Periode, die von 1965 bis zu seinem Sturz 1997 dauerte. Er errichtete ein Einparteienregime und berücksichtigte, obwohl er die "Union Minière" verstaatlichte und in kongolesischen Besitz überführte, die belgischen Interessen insofern, als er Belgier in leitenden Stellungen der nationalisierten Bergbaugesellschaft GECOMIN (Gecamines) beließ. Die "Union Minière" war für die Übernahme ihrer Anlagen und Werte durch die GECOMIN nicht nur entschädigt worden, sie hatte auch einen Anteil von 6,5 % am Bruttoeinkommen für die Durchführung von Produktion, Marketing und Verkauf zugesprochen erhalten. Die Abhängigkeit vom belgischen Kapital blieb somit bestehen, auch wenn Gemeinschaftsunternehmen mit japanischen und US-Firmen die Abhängigkeit Zaires vom Bergbau etwas diversifizieren sollten. Die Spitzen des Staates, allen voran Mobutu, profitierten von direkten Gewinnanteilen, die auf ihre Privatkonten überwiesen wurden, wenn sie nicht - wie im Falle der Diamanten - einen Teil der Produktion gleich selbst vermarkten ließen.

Mobutus Politik war zwiespältig insofern, als sie einerseits auf Interessensausgleich mit den kapitalistischen Staaten und Großkonzernen, andererseits auf Förderung der einheimischen Bourgeoisie gerichtet war. So wurden 1973 ausländische Firmen vollständig oder teilweise enteignet und an einheimische Unternehmer bzw. an den Staat weitergegeben (z. B. die Erdölmonopole), drei Jahre später kam es aber zur Zurücknahme dieser Maßnahmen, und der wichtigste Teil dieser Betriebe wurde gegen Entschädigung an westliche Firmen zurückgegeben.

All das bescherte Mobutu die Unterstützung seitens der kapitalistischen Mächte, und durch diese Unterstützung blieb seine Herrschaft bis in die 90er Jahre unangefochten. Seit 1990 kam es aber in Zaire zu Forderungen nach Demokratie und zum Aufflammen ethnischer Unruhen in verschiedenen Landesteilen bzw. erneuten Sezessionsforderungen aus den rohstoffreichen Gebieten Kasai und Shaba.

Der Knoten für das Ende der Herrschaft Mobutus schürzte sich 1994 durch die Verwicklung Zaires in die Krise in Ruanda. Dort kam es in dem Jahr zu einem Genozid der Hutus an den Tutsis, organisiert von einem Hutu-Armeemachthaber, das auch Angehörige der demokratischen Hutu-Opposition einschloss. Das Ergebnis waren mindestens 500.000 Tote und 2 Millionen Flüchtlinge, hauptsächlich Richtung Zaire. Mobutu unterstützte diese Hutu-Regierungsmilizen, was sich für ihn als Bumerang erwies. Denn als die Tutsi-Rebellen im Juli 1994 die Hauptstadt Ruandas, Kigali, eroberten, unterstützten sie von Ruanda aus die im Osten Zaires agierenden kongolesischen Oppositionstruppen unter Laurent-Désiré Kabila. Seine Anhänger eroberten ab Oktober 1996 mit Unterstützung anderer politisch-militärischer Fraktionen Zaires (vor allem aus Kivu, Shaba und Kasai) immer weitere Teile des Territoriums und zogen schließlich im Mai 1997 ohne wirkliche militärische Gegenwehr in der Hauptstadt des Kongo, Kinshasa, ein. Mobutu, der sich in der Zeit seiner Herrschaft unerhört bereichert hatte, ging ins Exil, wo er bald darauf verstarb.

Die Zeit von 1997 bis heute
Damit begann die fünfte und vorerst letzte Periode, die Zeit von 1997 bis heute, in der das Land wieder nicht zur erhofften Stabilisierung gelangte, vielmehr in ein Chaos versank, mehrere Nachbarstaaten des Kongo militärisch intervenierten und bei den kriegerischen Auseinandersetzungen seit 1996 2,5 bis 3 Millionen Menschen starben (200.000 durch Kampfhandlungen, der Rest durch Hunger und Seuchen).

Laurent-Désiré Kabila politisch einzuschätzen, ist nicht leicht, und man kann diese Frage nur indirekt, durch Rückschlüsse beantworten. Fest steht, dass Mobutus Zaire, einst ein wichtiger Stützpunkt des CIA, die Unterstützung seitens der USA verloren hatte, und deshalb sein Regime so sang- und klanglos zusammenkrachte. Es war auch zu beobachten, dass die großen westlichen Medien, allen voran CNN, Kabila über Nacht zum neuen Protagonisten erhoben und wohlwollend über ihn berichteten. Drittens hat Kabila schon kurz nach seinem Machtantritt die Konzession für die Ausfuhr von Diamanten für 20 Millionen Dollar verkauft, und zwar an die israelische Firma IDI. Viertens hat Kabila eine Reihe seiner Mitstreiter, offenbar solche, die auf eine wirkliche Unabhängigkeit des Kongo drängten, verhaften oder unter Hausarrest stellen lassen. Daraus kann man mit ziemlicher Sicherheit schlussfolgern, dass Laurent-Désiré Kabila ursprünglich ein Vertrauensmann der Amerikaner war und sein Tod im Januar 2001 - er wurde von einem seiner Leibwächter erschossen - damit zusammenhängt, dass er, aus welchen Gründen immer, plötzlich eine Kehrtwendung machte und gegen Ruanda und Uganda, mit deren Hilfe er an die Macht gekommen war, Stellung bezog. Ruanda und Uganda mit ihren Regimes sind aber heute die wichtigsten Verbündeten der Politik der USA in Schwarzafrika.

Nach Kabilas Ermordung wurde sehr schnell sein 29jähriger Stiefsohn Joseph Kabila an die Macht gehievt. Was geschah dann? Er wurde sofort nach Washington zu einem Staatsbesuch eingeladen und bereiste anschließend auch Belgien, Großbritannien, Frankreich, die Schweiz und Deutschland. Das zeigt, wie auch bei Joseph Kabila die Dinge stehen: er erfreut sich ostentativer Unterstützung seitens des Westens. Dass er sogleich zu Gesprächen nach Washington, Brüssel, Paris usw. eingeladen wurde, hing mit den von ihm eingeleiteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen zusammen: Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, des Diamantenhandels und der Wechselkurse, freier Devisenverkehr und freier Umlauf des kongolesischen Franc. Joseph Kabila erklärte sich auch bereit, die Frage der Schürfrechte und der Investitionen binnen kürzester Frist gesetzlich neu zu regeln.

Die kriegerischen Ereignisse im Kongo, denen in den letzten sieben Jahren Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, wurzeln eindeutig in ökonomischen Interessen. Die verschiedenen Rebellengruppen und "Warlords" in den Provinzen, unterstützt von afrikanischen Nachbarländern und letztlich gesteuert vom westlichen Kapital, kämpfen um die Vorherrschaft in dem an Bodenschätzen so reichen Dschungelstaat. Es geht um Gold, Diamanten, Erdöl, Edelhölzer, Kupfer und Coltan, ein Mineral, das inzwischen teurer gehandelt wird als Gold. Der Kongo-Krieg hat für alle Beteiligten nur ein Ziel: die Ausbeutung des Landes.

Nach wie vor ist es aber so, dass das Waffenstillstandsabkommen von Lusaka 1999, unterzeichnet von den verfeindeten innerkongolesischen Gruppen und den Nachbarstaaten, das zur Entsendung eine UNO-Beobachtermission führte, nicht erfüllt wird. In weiten Teilen des Landes ist die Wirtschaft völlig zusammengebrochen. Der Großteil der kongolesischen Produkte gelangt durch Schmuggel außer Landes, zumal große Teile des Territoriums durch Rebellen und die sie unterstützenden Nachbarstaaten militärisch kontrolliert werden.

Für die Menschen im Kongo stellt dieser Konflikt, dessen Ursachen sie nie verstanden haben, eine echte Tragödie dar. In Kinshasa ist die Bevölkerung aufgrund des Treibstoffmangels und fehlender öffentlicher Verkehrsmittel gezwungen, stundenlang durch die Stadt zu laufen, die von einem Ende zum anderen vierzig Kilometer misst. Die Familien haben sich inzwischen daran gewöhnen müssen, ihre Mahlzeiten abwechselnd einzunehmen: an geraden Tagen die Erwachsenen, an ungeraden die Kinder. Dass die Flüsse - als lebenswichtige Verkehrsadern in einem Land des Mangels an Kommunikationswegen - für die zivile Schifffahrt gesperrt sind, hat für die Bewohner des Landesinneren dramatische Konsequenzen. In Städten wie Aketi oder Bumba in der Äquatorprovinz verderben die früher für Kinshasa bestimmten Kaffee-, Maniok- und Reisernten vor Ort, oder sie werden nach Uganda gebracht. Zugleich fehlt es der Bevölkerung an Medikamenten, Kleidung, ja sogar an Salz, das Händler aus dem über tausend Kilometer entfernten Kisangani per Fahrrad durch den tropischen Regenwald transportieren müssen. Von den Soldaten der verschiedenen bewaffneten Gruppen werden Krankheiten wie Cholera, Tuberkulose, Schlafkrankheit und Aids verbreitet.

Die Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren ist auf 35 Prozent angestiegen, berichtet die UNO. Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" hat eine Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, dass im Süden Katangas ein Viertel der Kinder ihren zweiten Geburtstag nicht erlebt. Der jahrelange Krieg hat zu Gesetzlosigkeit geführt. Immer mehr Frauen werden vergewaltigt, immer öfter werden Kinder rekrutiert oder in die Minen geschickt, wo sie sich beim Abbau wertvoller Bodenschätze schinden müssen. 90 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als einem Dollar pro Tag und nehmen gerade mal ein Essen am Tag zu sich. Frauen sehen sich in die Prostitution getrieben, um überleben zu können.

Eine Niederlage ist der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo auch für die Organisation der Afrikanischen Einheit (African Union, AU), die sich trotz vielfältiger diplomatischer Aktivitäten auf multilateraler Ebene und trotz der Ernennung des sambischen Präsidenten Frederik Chiluba zum Vermittler unfähig zeigt, einen Ausweg zu finden. Und auch die Vereinten Nationen haben versagt. Das 5.537 Mann starke Blauhelm-Kontingent, das in einem Land von der vierfachen Größe Frankreichs die Waffenruhe überwachen soll, wurde erst vor kurzem auf 3.000 Mann reduziert.

Es bleibt aber eine Hoffnung: Die Kongolesen begreifen sich heute mehr denn je als Bürger ein und desselben Landes. Überall, in der Demokratischen Republik Kongo wie im Ausland, gibt es Konferenzen, Seminare und Begegnungen, die auf Initiative der Kirchen oder ausländischer NGOs stattfinden. Dabei kommt es jedes Mal zu einem intensiven Austausch von Meinungen und Informationen, die vom Widerstand der Kongolesen gegen die Besetzung, gegen die Aufspaltung ihres Landes und gegen die Bevormundung durch das Ausland zeugen.

Das ungebrochene Nationalgefühl und eine politische Mobilisierung der Bevölkerung könnten dazu führen, im Kongo nicht mehr ein "herrenloses Gut" zu sehen, wie man es zur Zeit Leopolds II. nannte. Ein starker und geeinter Kongo wäre die sicherste Garantie für die Stabilität der Region Zentralafrika.

Verwendete Literatur:

- Die Entdeckung und Erforschung der Erde. Mit einem ABC der Entdecker und Forscher, hrsg. von Walter Krämer, 6. Aufl., Leipzig 1970, Stichwort "Stanley"

- Gert v. Paczensky, Weiße Herrschaft. Eine Geschichte des Kolonialismus, Frankfurt am Main 1979

- Rüdiger Dingemann, Westermann Lexikon Krisenherde der Welt. Konflikte und Kriege seit 1945, Braunschweig 1996

- Der Fischer Weltalmanach, Jahrgänge 1996 bis 2003, Stichworte "Zaire" und "Kongo"

- Walter Schicho, Handbuch Afrika in drei Bänden, Band 1, Frankfurt am Main 1999, Stichworte "Kongo-Kinshasa" und "Rwanda"

- Dieter Nohlen (Hrsg.), Lexikon Dritte Welt. Länder, Organisationen, Theorien, Begriffe, Personen, Reinbek bei Hamburg 2002

- David K. Fieldhouse, Die Kolonialreiche seit dem 18. Jahrhundert = Fischer Weltgeschichte, Band 29, Frankfurt am Main 1965

Pierre Bertaux, Afrika. Von der Vorgeschichte bis zu den Staaten der Gegenwart = Fischer Weltgeschichte, Band 32, Frankfurt am Main 1980

- Franz Ansprenger, Die Auflösung der Kolonialreiche = dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1981

- www.uni-kassel.de/fb10/frieden/regionen/Kongo/(...).html

Der Beitrag wurde dem Internet entnommen und von der Redaktion stark gekürzt.

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Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann ist Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz.