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Die Ablehnung des Gaza-Krieges in eine nachhaltige Antikriegsbewegung umwandeln
Kriegsdienstverweigerung in Israel
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Das israelische Militärmodell, das auf einer allgemeinen Wehrpflicht und einem anschließenden verlängerten Dienst in der Reservearmee beruht, ist auf gesellschaftlichen Konsens angewiesen und besonders anfällig für Taktiken der Nichtzusammenarbeit. Dies gilt sowohl für Abiturient*innen, die den Wehrdienst verweigern, als auch für Reservist*innen, die sich weigern, in Kriegszeiten zu dienen. Da der Krieg Israels gegen Gaza andauert, stehen letztere im Mittelpunkt dieses Artikels.
Reservist*innen sind das Rückgrat des israelischen Militärs und wurden in großer Zahl einberufen, um die Kriegsanstrengungen Israels zu unterstützen: Berichten zufolge wurde die Mehrheit der über 400.000 Reservist*innen Israels seit Beginn des Krieges zum Dienst einberufen. Die israelische Armee ist an allen Fronten auf sie angewiesen: Von der Sicherstellung des täglichen Betriebs der Armee bis hin zum Fliegen der israelischen Kampfflugzeuge, um den Gazastreifen zu bombardieren. Ohne sie kann die Armee nicht wie gewohnt weiterarbeiten, weshalb ihr Widerstand so wirkungsvoll ist.
In der Vergangenheit hat sich die Verweigerung des Dienstes durch Reservist*innen als wirksames Mittel erwiesen, um diese Schwachstelle auszunutzen und die Regierung zum Handeln zu zwingen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der israelische Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005, der die bedeutendste Reduzierung des Umfangs der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete seit 1967 darstellte. Es war und ist der einzige Fall, in dem Siedlungen auf palästinensischem Land aufgelöst wurden. In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz im November 2004 nannte der Stabschef von Premierminister Sharon, Dov Weissglas, die wachsende Dynamik der Verweigerungsbewegung der Reservist*innen als einen der Hauptgründe für die Entscheidung der Regierung, den Status quo zu brechen und sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen.
Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Justizreform von 2023. Seit ihrer Bildung Anfang 2004 versuchte eine rechtsextreme israelische Regierung, eine Reihe antidemokratischer Reformen zu verabschieden, die darauf abzielten, die Justiz zu schwächen, die Rechte von Minderheiten zu untergraben und die De-facto-Annexion des Westjordanlands ohne die Gewährung von Rechten für Palästinenser*innen zu ermöglichen. Als Reaktion darauf begannen Massenproteste auf die Straßen Israels und eine Bewegung des zivilen Ungehorsams, die in ihrem Ausmaß und ihrer Ausdauer beispiellos war. Die Bewegung wurde von Tausenden Reservist*innen angeführt, hauptsächlich von Luftwaffenpilot*innen und Mitgliedern verschiedener Eliteeinheiten, die erklärten, dass sie nicht dienen würden, wenn das Gesetz verabschiedet würde. Diesen Reservist*innen wurde weithin, auch von Regierungsmitgliedern, zugeschrieben, dass sie die Gesetzgebung verlangsamt und ihren Umfang drastisch reduziert haben.
Im Mai 2024 unterzeichnete eine Gruppe von über 40 Reservesoldat*innen einen öffentlichen Brief, in dem sie kurz vor der Invasion von Rafah, einer großen Stadt im Gazastreifen, ihre Verweigerung des Militärdienstes erklärten. Dieser erste Akt der organisierten Verweigerung des Gaza-Krieges erschütterte die israelische Debatte und die Soldat*innen wurden von der Mainstream-Presse in Israel und der Welt ausführlich interviewt. Im August begann eine Kerngruppe der Unterzeichner*innen des Briefes mit der Organisation eines zweiten Briefes, der direkt auf den Kern des innerisraelischen Diskurses abzielte: die Notlage der israelischen Geiseln, die seit Oktober 2023 im Gazastreifen festgehalten werden. Der Brief war an den Premierminister gerichtet und hatte bis Ende September 130 Unterzeichner*innen, die damit drohten, den Dienst zu verweigern, wenn nicht sofort ein Geiseltausch gegen einen Waffenstillstand durchgeführt wird.
Als der Brief am 9. Oktober veröffentlicht wurde, erhielt er so viel Aufmerksamkeit in den Medien, dass er auf der Tagesordnung der Kriegskabinettssitzung in jener Woche stand und in der Sitzung zu einem Konflikt zwischen den Ministern der Regierung führte. Premierminister Netanjahu griff die Unterzeichner*innen direkt an und forderte eine Reaktion der Armee. In den darauffolgenden Tagen begann die Armee, die Unterzeichner*innen einzeln anzurufen und sie unter Druck zu setzen, ihre Unterschriften zurückzuziehen, und drohte ihnen andernfalls mit dem Ausschluss aus ihren Einheiten. Bis auf zwei blieben alle standhaft und weigerten sich.
Die Medienkampagne, die die Reservist*innen in den folgenden drei Wochen durchführten, war ein voller Erfolg. Sie wurden in den israelischen Mainstream-Medien häufig interviewt und führten eine hochkarätige Kampagne auf Facebook durch. Die öffentliche Reaktion war bemerkenswert unterstützend. Tausende Bürger*innen unterzeichneten eine Unterstützungspetition und die Kommentare in den sozialen Medien waren überwiegend positiv, wobei viele ihre Erleichterung darüber zum Ausdruck brachten, dass endlich jemand Stellung bezogen hatte.
Die nächsten Monate werden entscheidend sein, um öffentlichen Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie den Krieg beendet. Die Reservist*innen arbeiten daran, ihren Schwung in eine breitere Kriegswiderstandsbewegung umzuwandeln. Sie versuchen, die Zahl der Unterzeichner*innen des Briefes deutlich zu erhöhen und Briefe auf Einheitenbasis zu initiieren, eine Methode, die sich bei früheren Verweigerungswellen als wirksam erwiesen hat. Im Hinblick auf den Aufbau einer Bewegung ist eine öffentliche Konferenz in Planung und es wurde damit begonnen, die Unterzeichner*innen der Unterstützungspetition in engagierte Aktivist*innen zu verwandeln.