Der Umgang der Massenmedien mit Krieg

Kriegspropaganda und Produktionsbedingungen von Medien

von Jörg Becker
Schwerpunkt
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Contentismus: „Das Bild des Afghanistan-Krieges in der FAZ“, „Der Georgien-Krieg im französischen Fernsehen“, „Der Ukraine-Krieg im US-am. Fernsehkanal CNN“ usw., usw. Solche akademischen Arbeiten gibt es leider im Übermaß. Leider deswegen, weil solche Arbeiten zu kurz springen. Denn es ist in der Kommunikationsforschung eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, über den Inhalt eines Mediums nachzudenken, will man zu sinnvollen Aussagen zur sozialen Relevanz medialer Kommunikation kommen.

  1. Das theoretisch gut begründete Diktum von der politisch wichtigen Bedeutung des Unpolitischen heißt für weitere Arbeiten über das Bild des Krieges in den Massenmedien, sich nicht länger auf die manifesten, sondern auf die latenten, indirekten und quasi unpolitischen Inhalte einzulassen.
  2. Es ist in der empirischen Sozialforschung völlig offen, ob in einem sozialen Wirkungsprozess der Massenmedien der Inhalt, also der Content, die wichtigste Wirkungsvariable ist. So könnte z. B. die ritualisierte alltägliche Nutzung ein und desselben Mediums in einem solchen Wirkungszusammenhang viel wichtiger sein als ihr Content.
  3. In den letzten 40 Jahren gab es in der Sozialwissenschaft und damit auch in der Kommunikations- und in der Friedensforschung einen cultural turn. Kurz gesagt: Ein idealistischer Ansatz der politischen Kultur verdrängte erfolgreich den materialistischen Ansatz einer Politökonomie. Das hatte mehrfache und höchst fatale Konsequenzen. In den methodischen Debatten über das, was eine Inhaltsanalyse ist und was sie leisten kann, führte dieser Wechsel weg von der Methode der Ideologiekritik hin zur Diskursanalyse. Ohne die wissenschaftstheoretischen Implikationen beim Wechsel von Kritischer Theorie zur Theorie der Postmoderne richtig zu begreifen, ist heutzutage sehr schnell von framing, Narrativ und Diskurs die Rede. Doch bei diesem Wechsel bleiben genuin politikwissenschaftliche Kategorien wie Macht, Herrschaft, System und Struktur auf der Strecke. (1)
  4. In der Germanistik verwandelte die Postmoderne die Kommunikationswissenschaft in eine neue Art von Medienwissenschaft. Bar irgendeiner Diskussion über die materiellen Bedingungen von Textproduktion feiert diese Medienwissenschaft eine Renaissance von werkimmanenter Literaturinterpretation, wie sie durch Soziolinguistik, Trivialliteraturforschung, Wirkungs- und Rezeptionsästhetik, ideologiekritische Textarbeit usw. nach 1968ff. eigentlich abgeschafft worden war. Es geht hier nun um ein subjektiv assoziatives Glasperlenspiel mit Texten: nett, aber völlig beliebig und völlig unpolitisch. Anders formuliert: Wer lediglich Texte interpretiert, ohne den gesellschaftlichen Konstitutionsprozess dieses Textes mit zu berücksichtigen, verdoppelt Ideologie, selbst da, wo sich der Interpret inhaltlich vom Textangebot distanziert. Nochmals und mit anderen Worten: Die Bildzeitungsleser*in ist bei weitem schlauer als das noch so ideologisch spießbürgerliche und schlimme Angebot dieser Zeitung. (2)
  5. Daraus folgt, dass bei zukünftigen Beschäftigungen mit dem Zusammenspiel von Massenmedien und Krieg sehr eindeutig das, was man mit deutlich negativer Konnotation Contentismus nennen kann, verlassen werden muss. Notwendigerweise muss man sich den gesellschaftlichen Bedingungen von Medienproduktion und Mediennutzung, -rezeption und -wirkung zuwenden.

Historisch-systematischer Bedingungszusammenhang: Medien des Krieges / Medien im Krieg
Im Krimkrieg (1853-1856) kamen parallel zu- und miteinander die Medien Schlachtengemälde, Taubenpost, Unterwasserkabel und Zeitungsberichte zum Einsatz, der Erste Weltkrieg (1914-1918) verhalf den Medien Presse, Karikaturen, Plakate, Postkarten, Fotografie, Film und Telefonie zum Durchbruch, der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) gab der zwar alten literarisch-journalistischen Gattung der engagierten Sozialreportage einen völlig neuen Glanz, und der Zweite Golfkrieg (1990-19901) war die Sternstunde der Satellitentelefonie und damit der Echtzeitübertragung vom Kriegsgeschehen. Aus diesem nur kursorischen Überblick lassen sich eine Vielfalt von Schlussfolgerungen ziehen:

  1. Die Produktionsmittel sowohl der Medien- als auch der Kriegstechnologie sind einem dauernden historischen Wandel unterworfen, und oft genug sind sie Ausdruck ein und desselben Wandels. Das verleiht ein und demselben Medium in unterschiedlichen Kriegen eine unterschiedliche soziale Relevanz.
  2. Technisch-eindimensionaler Fortschrittsoptimismus ist hier jedoch (wie auch generell) fehl am Platz: Im High-Tech-Vietnamkrieg nutzte der Vietcong zur Informationsübertragung erfolgreich große Kriegstrommeln. Osama bin Laden arbeitete sehr effektiv mit elektronisch nicht erfassbaren Stafettenläufern und setzte erfolgreich alt-arabische Poesie in seiner Kriegspropaganda ein, die Jugendliche als T-Shirt im gesamten Nahen Osten trugen und liebten. Abb. 1: Afghanischer Kriegsteppich (3) ( aus Copyright-Gründen nur in der Prinausgabe) Der hier abgebildete Kriegsteppich aus Afghanistan verdeutlicht recht gut Formen der asynchronen Kommunikation zwischen Feudalismus und Moderne. Während des russischen Krieges gegen Afghanistan (1979-1989) „sprechen“ solche Teppiche die „Sprache“ einer feudalen und oralen Nomadenkultur, während der fremde Besatzer aus Russland mit „Helikoptern“ und „T54 Panzern“ die „Sprache“ der modernen Zivilisation spricht. In der Intention der Teppichknüpfer sollten solche Kriegsteppiche die Kriegsgefahr dadurch bannen, dass man die Wappen der Invasoren abbildete. Zwar verlor Afghanistan mehr als eine Million Menschen in diesem Krieg, doch der Truppenabzug der sowjetischen Truppen im Februar 1989 kann auch so gedeutet werden, dass sich der altmodische Bann der Teppiche als erfolgreich erwiesen hat.
  3. In allen Epochen unterliegt das Zusammenspiel von Krieg und Medien folgenden strukturellen Problemen: Geheimhaltung versus Transparenz, staatliche Propaganda versus realistische Kriegsdarstellung, Feindbildproduktion versus differenzierte Wahrnehmung usw. Ob diese Gegensatzpaare freilich eher ähnlich oder eher different zu analysieren sind, muss jeweils konkret und neu entschieden werden.
  4. Auch bei diesen sozialen Konflikten ist ein evolutionär-historischer Fortschrittsoptimismus fehl am Platz. Dass z. B. die Intensität von Feindbildern auf einer historischen Fortschrittsachse von Diktatur zu Demokratie abnehme, mag bei genauem Hinsehen ein verhängnisvoller Mythos sein und möglicherweise weisen Freundbilder einen größeren Grad an Verzerrung und Rigidität auf als Feindbilder.
  5. Das altehrwürdige akademische Fach Publizistik war unter diesem Namen nur in Deutschland zu finden, bis es in den 1980er und 90er Jahren seinen Namen in Kommunikationswissenschaft änderte. Doch dieser Modernismus kam mit höchst ideologischen Versatzstücken daher. Signalisierte der Begriff Publizistik, dass man es mit öffentlicher Kommunikation zu tun habe, inkorporierte die neue Kommunikationswissenschaft auch Lehrstühle für Public Relations, also Geheimkommunikation, in der der Adressat oft genug den Sender nicht wissen darf. Inzwischen werden in der Kommunikationswissenschaft in Deutschland mehr PR-Spezialist*innen als Journalist*innen ausgebildet. Und seit langem verkaufen akademisch ausgebildete PR-Spezialist*innen der Öffentlichkeit auch Ideen, warum es gut ist, Krieg zu führen. Empirisch lässt sich ein erstes War-Branding für den Biafra-Krieg 1967 nachweisen. Häufig vermarkten US-am. PR-Firmen Kriege für fremde Regierungen, doch gelten ihre PR-Botschaften oft eher einer inneramerikanischen Wahlkampföffentlichkeit als einer internationalen Medienöffentlichkeit. Die israelische Regierung gibt pro Kopf der Bevölkerung mehr finanzielle Mittel für Propaganda aus als die meisten Länder der Welt. Beim Aufbau ihrer Propagandaarbeit wurde die israelische Regierung Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts durch die US-am. PR-Firma Backer and Spielvogel beraten. (4) Im Kontext solcher Regierungspropaganda wird – wie allgemein üblich – auch auf israelischer Seite mit Lügen und Fake News gearbeitet.

Anmerkungen
1 In dem folgenden Essay kann Axel Honneth schlüssig nachweisen, dass Foucaults Gesellschaftsanalyse weitaus weniger kritisch ist als die von Adorno. Vgl. Honneth, Axel: Foucault und Adorno. Zwei Formen einer Kritik der Moderne, in: Kemper, Peter (Hrsg.): „Postmoderne“ oder der Kampf um die Zukunft, Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag 1988, S. 127-144.
2 Vgl. Enzensberger, Hans Magnus: Die geschrumpfte Welt auf Zeitungspapier. Das verlegerische Projekt, die Norweger in Idioten zu verwandeln, ist gescheitert. Ein Streifzug durch die Presse des Landes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. März 2002.  
3 Vgl. Frembgen, Jürgen Wasim und Mohm, Hans Werner: Lebensbaum und Kalaschnikow. Krieg und Frieden im Spiegel afghanischer Bildteppiche, Blieskastel: Gollenstein 2000, S. 63
4 Vgl. To Help Israel Improve Public Relations, in: New York Times, 6. Juni 1986

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Prof. Dr. Jörg Becker ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Sein Hauptaugenmerk gilt den Internationalen Beziehungen, der Medienpolitik und der Geschichte des Bergischen Landes.