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Kriegsverherrlichende Bücher in die Stadtbüchereien?
vonSollen kriegsverherrlichende Bücher in Stadtbüchereien auch für Jugendliche frei zugänglich und ausleihbar sein? Diese Frage stellt sich, nachdem die "Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus" in der Bonner Stadtbücherei über Jahre hin immer wieder Dutzende von NS- und kriegsverherrlichenden Büchern einschlägig bekannter Autoren und Verlage fand, sie der Öffentlichkeit präsentierte und ihre Magazinierung forderte.
Die Bonner Stadtbücherei ist nach dem Supermarkt-Prinzip organisiert: Mit einem "Einkaufs"-Korb gehen die BenutzerInnen durch die Regale, laden Bücher ein, die ihnen interessant vorkommen und lassen die Ausleihe am Ausgang registrieren. Daher sind auch Bücher, die kaum in die Hände von Jugendlichen geraten sollten, hier für alle frei zugänglich. Nach einer Magazinierung einschlägiger Literatur wäre diese immer noch ausleihbar, sie Mate jedoch gezielt im Katalog gesucht und mit der Signatur bestellt werden.
Mißverhältnis bei Anschaffungen
Die "Bonner Initiative" hat in den Jahren 1988, 1989 und 1990 jeweils am 8. Mai die frei zugänglichen Bestände der Bücherei nach NS- und kriegsverherrlichender Literatur geprüft. Dabei fiel auf, da· die Stadtbücherei Bonn offenbar in den 70er Jahren, als eine Welle solcher nicht wissenschaftlicher, sondern apologetischer Kriegs- und NS-Literatur den Buchmarkt überschwemmte, kräftig eingekauft hatte. Kriegsdarstellungen aus der Sicht führender Nazis waren zahlreich im Bestand vorhanden.
Nazi-Autoren berichten vom Krieg
Es ließ sich anhand der eingestempelten Rückgabedaten zeigen, da· diese Bücher keineswegs zu den Landenhütern zählten. Die schlimmsten Fülle, die gefunden wurden, waren z.B.:
Wilfred von Oven, Adjutant von Goebbels: Hitler und der Spanische Bürgerkrieg; Zitat: "Sie kämpften als deutsche Soldaten. Sie machten ihrem Lande Ehre." Es sei "Hitler politische Weitsicht" gewesen, "der roten Gefahr in einem verwirrten Spanien entgegenzutreten".
Adolf von Thadden, ehemals NPD-Vorsitzender: "Guernica - ein Bomben-Schwindel".
Leon Degrelle: Die verlorene Legion. Degrelle war Führer der belgischen Waffen-SS, wurde nach 1945 zum Tode verurteilt und bereitete 1989 aus dem spanischen Exil die 100-Jahr-"Feiern" der
Neonazis zu Hitlers Geburtstag mit vor. Gegen dieses widerwärtig rassistische Buch über den Kampf der Waffen-SS an der Ostfront aus der Bonner Stadtbücherei stellte das Jugendamt der Stadt Bonn inzwischen auf öffentlichen Druck hin einen Indizierungsantrag bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.
Ein Foto-Buch über "Stuka-Oberst Ulrich Rudel. Einziger Träger der höchsten Tapferkeitsauszeichnung", die ihm Hitler verliehen hatte, preist diese langjährige Leitfigur des Neofaschismus als "Beispiel für die Jugend, nicht nur die Jugend Deutschlands, sondern Europas".
In dem Buch "Die Nürnberger Geschichtsentstellung" werden "weitere Beweise für Hitlers Friedenswillen" präsentiert, die angeblich vom Nürnberger Tribunal mißachtet worden seien. Der Angriff auf die Sowjetunion 1941 wird als "Präventivkrieg" hingestellt.
In Titel wie "Der Kampf der Wüstenfüchse" (über die Rommel-Armee), "Die Männer von Narvik" (über den deutschen überfall auf Norwegen) oder "Der Kampf um Kreta" ist der Zweite Weltkrieg ein Abenteuer-Roman heldenhafter deutscher Männer. Das Foto-Buch "Deutsche Pioniere 1939 bis 1945" zieht auch gleich die Verbindung zur Gegenwart: "Eisenbahnpioniere auf allen Kriegsschauplätzen Europas im Einsatz", heißt es da, "in Norwegen, in Rußland," und eine Seite weiter: "...und bei der Bundeswehr".
Wer diesen Nazischund auf Landserheftchen-Niveau anschaffte und warum, diese Frage lie· die Stadt Bonn bis heute unbeantwortet. Vielleicht geschah es ja auf Wunsch der vielen "Ehemaligen", die in der Hardthöhe saßen und sitzen und vor ihren Söhnen mit "Heldentaten" prahlen wollen.
Magazinierung abgelehnt ...
1988 ergab ein Gespräch mit dem Bonner Oberbürgermeister Hans Daniels, der die Errichtung eines Deserteurs-Denkmals in Bonn ablehnte, da· er auch die Magazinierung dieser Literatur ablehnt: man habe ja auch Marx (!) im Regal, sei also ausgewogen. Zwei Anfragen der Fraktion Die GrÅnen im Bonner Stadtrat zu diesem Thema erbrachten ebenfalls nur ablehnende Antworten: "Die Stadtbücherei hat keine 'NS-, kriegsverherrlichende und neofaschistische Literatur' in ihren Beständen", hie· die Antwort im Juni 1990. Denn nur, was ausdrücklich "verboten" worden sei, trägt für die Verwaltung der Bundeshauptstadt diese Etiketten, die gesamte Nazi- und Landser-Romantik, mit der Jugendliche zum Neofaschismus und zur Gewalt geleitet werden, jedoch nicht. Selbst dann nicht, wenn sie aus einschlägig bekannten, z.T. im Verfassungsschutzbericht genannten Verlagen kommt.
... und doch magaziniert
Allerdings leerten sich gleichzeitig die Regale. Offensichtliche Hammer wie das Rudel-Buch oder die "Nürnberger Geschichtsentstellung" verschwanden. Z.T. wurden sie magaziniert, z.T. waren sie ein Jahr später auf nicht geklärte Weise nicht mehr im Bestand.
Nazi als "Historiker"
Obwohl inzwischen in den frei zugänglichen Regalen der Stadbücherei Bonn große Lücken klaffen, wo bisher kriegsverherrlichende Literatur stand, weil friedenspädagogische Literatur nicht in demselben Maße angeschafft wurde, wie die apologetischen Schlachten-Bücher über die Weltkriege aufgrund öffentlichen Drucks entfernt werden mußten, fand die "Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus" auch im Mai 1990 wieder Einschlägiges. Besonders die Bücher von Paul Carell alias Paul Karl Schmidt, vor 1945 SS-Untersturmbannführer und Propaganda-Chef im Nazi-Außenministerium, nach 1945 Autor zahlreicher Bücher über den Zweiten Weltkrieg.
CDU will SS-Autor beibehalten
In der Sitzung des Bonner Kulturausschusses, die das Problem dieses Literaturbestandes auf Antrag der GrÅnen im Juni 1990 debattierte, stellte sich der CDU-Sprecher auf die Seite Schmidt/Carells: dies sei keine apologetische Kriegsliteratur, beschied er gegen den Protest der GrÅnen und der SPD, die GrÅnen und die "Bonner Initiative" seien lediglich hysterisch bzw. wollten auf Kosten anderer Publizität.
Kein Deserteurs-Denkmal für Bonn - aber Kriegsliteratur
Hätte es sich bei diesen Büchern um seriöse militärhistorische Literatur gehandelt, niemand hätte Kritik geübt. Bei der Einseitigkeit des Bestandes, der Offenheit, mit der Bücher aus rechtsextremistischen Verlagen aus Steuergeldern angeschafft und angeboten werden, und bei der Unverschämtheit der politisch Verantwortlichen, Tatsachen zu leugnen, die Ausleihe solcher Literatur auch an Jugendliche zu rechtfertigen und gleichzeitig ein Deserteurs-Denkmal für Bonn abzulehnen, war energischer Protest angemessen.
Die Bonner Stadtbücherei ist sicher kein Einzelfall. In anderen rechts regierten Städten werden AntifaschistInnen und PazifistInnen sicher ebenso fündig werden, wenn sie sich auf die Suche machen.
Peter Kratz ist Mitglied der Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus.