Netzwerk Friedensbildung Baden-Württemberg

Kritische Beobachtungen am „Tag der Schulen“ bei der Bundeswehr

von Renate Wanie

Im Juli 2017 besuchte das „Netzwerk Friedensbildung Baden Württemberg“ (1) mit sechs seiner Mitglieder einen sogenannten „Tag der Schulen“, einen Aktionstag der Bundeswehr. Dieser Tag fand auf dem Gelände der „General-Dr. Speidel-Kaserne“ in Bruchsal statt. Der „Tag der Schulen“ ist eine „außerunterrichtliche Veranstaltung“, die Verantwortung liegt bei den LehrerInnen, für die SchülerInnen ist die Teilnahme freiwillig. (2) Der Tag gilt als „berufsorientierende Bildung“, die zum Ziel hat, „dass die Schulabgänger auf mögliche Arbeitgeber aufmerksam gemacht werden“. Das Netzwerk Friedensbildung Baden Württemberg beobachtete aufmerksam die Umsetzung des Programms, das laut Einladungsflyer des ABC-Bataillons, der Karriereberatung Karlsruhe und der Jugendoffiziere Karlsruhe und Mannheim das Ziel hat, „interessierten Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften einen Einblick in den Alltag der Bundeswehr (…) zu ermöglichen“ sowie „ das Berufsbild des Soldaten so praxisnah wie möglich zu vermitteln“.

Eine vorbereitete Befragung der SchülerInnen und LehrerInnen wurde vom Kultusministerium Baden Württemberg gemäß einer Verwaltungsvorschrift („Werbung, Wettbewerbe, Erhebungen“, 2002) im Vorfeld untersagt. Einem Besuch stehe jedoch nichts im Wege, das Hausrecht liege bei der Bundeswehr (BuWe). Dem kam eine Einladung von Jugendoffizieren entgegen und der freie Zugang für die VertreterInnen des Netzwerks an einem „Tag der Schulen“. Voraussetzung war, keine Protestaktionen durchzuführen und keine Bilddokumente zu erstellen, um die Persönlichkeitsrechte der SchülerInnen zu wahren. Auch sollte nach der Veranstaltung die Presse nicht informiert werden. Der „Tag der Schulen“ ist eine ganztägige Veranstaltung der Jugendoffiziere (JO), offiziell gilt, dass Jugendoffiziere nicht „ für den Dienst in der Bundeswehr werben dürfen.“ Im Vorgespräch wurde den FriedensaktivistInnen  zugesichert, dass Kinder bzw. Jugendliche nicht an Waffen gelassen werden und auch nicht mit Waffen posieren dürfen. An diesem Tag nahmen fünf 9. Klassen von Realschulen aus Pforzheim und Karlsruhe teil.

Stationen der Besichtigung
Die Schulklassen wurden in drei Gruppen aufgeteilt und begleitet von jeweils zwei LehrerInnen und Friedensbewegten über das Kasernengelände geleitet. Gestartet wurde mit einer ausgiebigen technischen Vorführung der Dekontaminierung durch die ABC-Einheit. Bei einem Hindernisparcours, vorgeführt von einem Soldaten in voller Ausrüstung, wurden die SchülerInnen eingeladen, sich auch zu versuchen. Zwei Schüler ließen sich im Blaumann, mit 20 kg im Gepäck, Helm und Plastikgewehr auf diese Herausforderung ein und bestanden sie. Der Eindruck: Der persönliche Fitness-Beweis stand im Vordergrund, weniger die Übung für einen konkreten Kampfeinsatz. Letzterer wurde mit dem Angebot, sich im Werfen einer Plastikgranate in zwei Entfernungen zu üben, sichtbar. Auf die Frage, wohin der Wurf ziele, kam die Antwort, dorthin, wo der Gegner vermutet werde. Die Fahrzeugschau interessierte und begeisterte ganz offensichtlich die meisten Jungen. Sofort kletterten viele auf den Sitz eines Militärfahrzeugs und ließen sich die technischen Vorrichtungen erklären. Die Maschinengewehre waren vorher abmontiert worden. Die Mädchen zeigten sich eher desinteressiert, vergnügten sich mit unzähligen Selfies.

Die angebotene Geländefahrt mit Militärfahrzeugen schien besonders gefragt. Das Interesse war sichtbar groß, die SchülerInnen rannten um die Wette, um den begehrten Sitzplatz zu bekommen. Nur ganz wenige zeigten kein Interesse. Der Eventcharakter war nicht zu übersehen. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass die Eltern eine Erklärung unterschrieben hatten, in der sie die Bundeswehr von jedweder Haftung freistellten. Tatsächlich passierte bei riskanter Geschwindigkeit an diesem Tag ein Unfall mit drei Fahrzeugen. „Zum Glück keine Personenschäden“, so der Kommentar eines Soldaten. Aus dem Kreis der SchülerInnen: „Mir war es bei dieser Schnelligkeit streckenweise unbehaglich zumute.“

Dann die Übungen am Schießstand. Das verbalisierte Ziel war, den Feind zu treffen, in einer Zielscheibe. Das Töten oder getötet-werden war kein Thema. Bei der Besichtigung der Mannschaftsunterkunft wurde darüber informiert, wie die genaue Spindordnung in den Stuben auszusehen hat und wie der Soldatenalltag in der Kaserne geregelt ist. Vereinzelt wurde auf den Karriereberatungstruck hingewiesen, nur wenige SchülerInnen zeigten Interesse und informierten sich dort ohne Lehrkraft. Ein freundlicher Karriereberater klärte über die berufliche Laufbahn bei der Bundeswehr auf, z.B. über ein Sport- und Medizinstudium, Broschüren wurden mitgenommen.

Der Vortrag „Sicherheitspolitik“ war eine typische Unterrichtssituation mit dem Jugendoffizier als Lehrer, der die Sicht der Bundeswehr vortrug. Im Zentrum stand zunächst die Entstehungsgeschichte der Bundeswehr. Sehr vereinfacht wurde die Bundeswehr als humanitäre Organisation dargestellt, z.B. würden ihre Einsätze in Afrika (Mali) dazu beitragen, die Armut zu verringern, die Bevölkerung von der Flucht nach Europa abzuhalten, dem Bürgerkrieg entgegenzuwirken und „unsere“ Handelswege zu schützen. Den Versuch, eine kontroverse Diskussion im Sinne des „Beutelsbacher Konsenses“ anzuregen oder Konflikthintergründe für den militärischen Einsatz zu benennen, gab es nicht. (3)

Resümee und Forderungen
Der „Tag der Schulen“ wurde wohl vorrangig als Schulausflug am Ende des Schuljahres wahrgenommen. Auf Nachfrage war zu erfahren, dass diese Veranstaltung vorweg im Unterricht nicht vorbereitet war. Auch während und nach den Präsentationen waren reflektierende Ausspracherunden nicht vorgesehen. Ebenso auf Nachfrage wurde darüber informiert, dass keine kritische Nacharbeit vorgesehen sei. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass es keine alternativen Schulveranstaltungen für die nicht interessierten SchülerInnen gab, so dass sich einige einfach krank meldeten.

Zu wünschen bleibt, dass die LehrerInnen im Unterricht die Tätigkeit der Bundeswehr mit der Frage verknüpfen, ob sie dem Frieden und der Friedensbildung überhaupt förderlich sein kann. Das Netzwerk Friedensbildung Baden-Württemberg verneint das: „Friedensbildung führt zur reflektierten, d.h. kritischen Haltung gegenüber Gewaltanwendungen und zum konstruktiven Umgang mit Kontroversen. Angewandt werden partizipatorische Methoden zur Gestaltung offener Lernprozesse.“ (4)

Im Nachgespräch mit dem begleitenden Jugendoffizier und dem Presseoffizier der obersten Stabsstelle der Kommandozentrale in Mainz wurde deutlich, dass sich die Bundeswehr mit dem „Tag der Schulen“ als Dienstleister sieht, der dem Wunsch der Schulen nachkommt. Dass diese Veranstaltung eine Werbeveranstaltung für die Bundeswehr darstellt, wurde nicht angesprochen. In Gesprächen mit SoldatInnen zeigten SchülerInnen vereinzelt Interesse am Leben der SoldatInnen und den Auswirkungen auf das Familienleben. Inwieweit die Eindrücke der SchülerInnen eine Affinität oder eine Distanzierung förderten, vermochten die friedensbewegten BeobachterInnen nicht einzuschätzen.

Nach dem Besuch am „Tag der Schulen“ hat das Netzwerk seine Kritik und die Erwartungen an das Kultusministerium Baden Württemberg formuliert. Die verantwortlichen Lehrkräfte sollten zu den Beanstandungen angehört werden, wie z.B. keine angemessenen Vor- und Nachbereitungen, fehlende pädagogische Reflexionen vor Ort sowie Mangel an Kontroversität beim Vortrag des Jugendoffiziers und unbegleitete SchülerInnen im Karriereberatungstruck während der Veranstaltung. Zudem sollten die Schulleitungen angewiesen werden, bei künftigen „Tagen der Schulen“ schriftlich berichten zu lassen. Die Korrespondenz mit dem Kultusministerium hält an.

Auf Basis der Bedingungen des Kultusministeriums für Kontakte zwischen Bundeswehr und Schulklassen fordert das Netzwerk Friedensbildung BaWü, dass die Freiwilligkeit der Teilnahme sichergestellt und Werbung für die Bundeswehr verhindert wird, die Maßgaben des Beutelsbacher Konsenses eingehalten, Schießübungen u.ä. reflektiert und Aktionen, die einen Haftungsausschluss erfordern, unterbunden werden.

Nachfolgend ein Mut machendes Zitat von Norbert Frieters-Reermann, das die Herausforderungen für die Friedensbildung in dieser Gesellschaft auf den Punkt bringt:
„Ein zentrales Dilemma ziviler Friedensbildung besteht darin, dass sie meist in einem politischen, ökonomischen, militärischen und gesellschaftlichen Kontext operiert, in dem kollektiv, strukturell und kulturell tief verankerter Unfriede zum System geworden ist.“ Verdeutlicht werden müsse, die „Grenzen und Einschränkungen von Friedensbildung (…) auch in schwierigen politischen Kontexten nie aufzugeben“. (5)

Anmerkungen
1 „Das Netzwerks Friedensbildung ist ein Zusammenschluss von Organisationen und Friedensinitiativen aus Baden-Württemberg, die sich für die Stärkung der Friedensbildung in Schulen, der Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung in Baden-Württemberg einsetzen. Friedensbildung ist Teil der politischen Bildung und damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ (Selbstverständnis aus 2016)

2 Amtliche Mitteilung des Kultusministeriums Baden Württemberg zur „Praxis der Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr“ in: Infodienst Schulleitung, Ausgabe 248/Juni 2015: „Die Kooperationsvereinbarung wird u.a. damit begründet, dass das Grundgesetz sich in Art. 87a ausdrücklich zu einer Landesverteidigung durch die Bundeswehr bekenne. Die Bundeswehr dürfe  deshalb nicht gegenüber anderen Arbeitgebern benachteiligt werden.“

3 Der Beutelsbacher Konsens ist die wichtigste Richtlinie im Schulunterricht und in der politischen Bildung, drei Leitgedanken sind grundlegend: das Überwältigungsverbot (politische Bildung statt Indoktrination), das Kontroversitätsgebot und die Schüler/innen-Orientierung.

4 Aus dem Selbstverständnis des Netzwerkes Friedensbildung Baden Württemberg

5 Frieters-Reermann, Norbert: Friedenspädagogik als zivile Konfliktbearbeitung. Spannungsfelder ziviler Friedensbildung. In: Jahrbuch Demokratie-Pädagogik 4, Friedenspädagogik und Demokratiepädagogik, 2016/17, S. 61

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