"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns" (Bush junior)

Kurden auf der Abschussliste

von Albrecht Kieser
Hintergrund
Hintergrund

Am 3. Mai 2002 setzte die Europäische Union die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, auf ihre Hausliste terroristischer Organisationen. Das ist nicht deshalb pikant, weil es die PKK gar nicht mehr gibt, die Organisation hatte bereits einige Wochen zuvor ihre Auflösung bekannt gegeben. Pikant ist die Platzierung dieser kurdischen Organisation neben Al Quaeda oder Dschihad aus anderen Gründen.

Die Türkei ist nämlich mit der EU-offiziellen Qualifizierung der PKK als Terrororganisation auf dramatische Weise ins Recht gesetzt. Man muss kein Freund der PKK sein, man muss ihre mitunter mörderischen Praktiken nicht verschweigen, mit denen sie jahrelang Kritiker in den eigenen Reihe verfolgte, man muss ihren Führerkult nicht gutheißen und weder das Pathos des bewaffneten Kampfes mögen noch das nicht weniger pathetische Trara für einen Ohrenschmaus halten, mit dem die PKK seit der Verhaftung von Abdullah Öcalan den Frieden und die Einheit mit der Türkei beschwört. Man kann also kritischen Abstand zu dieser größten kurdischen Organisation in der Türkei bewahren, und wird dennoch das antiterroristische Manöver in Brüssel eine Kriegserklärung an Demokratie und Menschenrechte nennen müssen.

Die Türkei hat in einem jahrelangen Bürgerkrieg gegen die PKK ihre inneren Strukturen nachhaltig zerrüttet, sie hat in diesem Krieg 4500 kurdische Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und fast drei Millionen Kurden aus Ostanatolien vertrieben, die Türkei verletzt in ihrem Krieg gegen den "kurdischen Separatismus" Tag für Tag die Menschenrechte, ihre Sicherheitsorgane verfolgen Juristen, Schriftsteller, Menschenrechtler, sie foltern, morden und vergewaltigen. Das ist alles bekannt, vom Europäischen Gerichtshof in Straßburg dokumentiert und in zahlreichen Resolutionen des Europäischen Parlaments beklagt.

Der "Krieg gegen den Terror", den die Türkei nun laut europäischer Gegnerliste auch mit Fug und Recht gegen die PKK - oder wer auch immer mit diesem Namen belegt werden wird - führen darf, adelt all diese Untaten plötzlich zu unverzichtbaren Rettungsmaßnahmen für die westliche Welt und ihre Werte. Und mehr noch. Die Ächtung der PKK gilt EU-weit und ihr haben sich alle zu unterwerfen. Die Liste wird z.B. NGOs, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen zugestellt. Sie müssen mit Sanktionen rechnen, wenn sie Kontakt zu inkriminierten Organisationen halten. Ebenso wie Stiftungen, Universitäten, Volkshochschulen, Lehrer und ganz normale Bürger. Die europäische Terrorliste ist ein Kontaktsperregesetz.

Das Anliegen der PKK haben in Europa viele unterstützt. Angefangen bei Danielle Mitterand, der Witwe des ehemaligen französischen Staatspräsidenten, über den italienischen Autor Dario Fo bis zum portugiesischen Literaturnobelpreisträger Jose Saramago. Das Anliegen der PKK hat auch nach Auflösung der Organisation nicht an Bedeutung verloren: Das Recht auf kurdische Identität, d.h. auf kurdische Sprache und Kultur, das Recht auf eine soziale und ökonomische Existenz, ohne als Separatisten verfolgt oder als Bergtürken geschmäht zu werden. Die Nachfolgeorganisation der PKK, die sich "Kurdischer Kongress für Freiheit und Demokratie" (KADEK) nennt, hat sich zur Durchsetzung dieser Ziele von jeglicher Gewaltanwendung losgesagt; wobei allerdings auch schon die PKK seit drei Jahren keinerlei bewaffnete Aktionen, nicht einmal in der Türkei, durchgeführt hat.

Warum dann trotzdem der Bannstrahl aus Brüssel? Die Antwort liegt in den Konsequenzen, die sich daraus ergeben, dass die PKK - und, wie bereits gefordert, auch ihre Nachfolgeorganisation, die KADEK - europaamtlich zur Geißel der Menschheit ("a real challenge to the world") erklärt wurde. Die erste Konsequenz wurde schon angedeutet: Europa entledigt sich der Unterstützer der kurdischen Sache. Nicht nur, dass diese Unterstützer plötzlich als Terror-Sympathisanten zum Schweigen gebracht werden können; wer hierzulande Asyl begehrt oder erhalten hat, weil er in der Türkei als Kurde oder kurdischer Aktivist verfolgt wurde, wird in Zukunft der türkischen Regierung gerade wegen seiner Aktivitäten ausgeliefert werden können. Eine Liste von 150 Oppositionellen, die er gerne umgehend aus Deutschland zurück bekäme, hat der türkische Innenminister bereits bei seinem letzten Besuch im Januar dem Kollegen Otto Schily ausgehändigt.

Menschenrechte für Kurden - das wird nach dem Fallbeil EU-Liste wieder und ausschließlich zu einer innertürkischen Angelegenheit werden. Auf welche Weise - und hier liegt die zweite Konsequenz des EU-Beschlusses - ist klar: alle türkischen Gewaltmethoden gegen Kurden werden als unverzichtbarer Bestandteil des antiterroristischen Kampfes gerechtfertigt werden - eine Praxis, die außerhalb der Türkei bislang nur von hartgesottenen deutschen Waffenbrüdern gepflegt wurde. Auch die völkerrechtswidrigen Invasionen des Nord-Irak, die die Türkei auf der Jagd nach kurdischen Oppositionellen immer wieder vornimmt, werden in der Folge des Ministerratsbeschlusses dann wohl nicht nur gebilligt sondern sogar gefördert.

Damit stünde, und das wird die europäisch-türkische Gesamternte ausmachen, der Aufnahme der so lange auch EU-kritisierten Türkei in die EU nichts mehr im Wege. Dem Terror sei dank.

 

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Albrecht Kieser ist Journalist. Sein Kommentar wurde in der WDR-Radiosendung "Kritisches Tagebuch" am 15.5.2002 gesendet.