Das FriedensForum erscheint 6x jährlich mit aktuellen Infos aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu:
Larzac
vonBis heute gilt Larzac in Frankreich als Synonym für erfolgreichen gewaltfreien Widerstand einer betroffenen Bevölkerungsgruppe gegen Projekte des Staates oder der Industrie. 103 Bauernfamilien gelang es, Regierung und Armee zehn Jahre lang mit phantasievollen und symbolstarken Aktionen an der Durchsetzung ihrer Pläne zu hindern, bis der neugewählte Präsident F. Mitterand im Mai 1981 den Bäuerinnen und Bauern ihren endgültigen Sieg im bedeutendsten sozialen Kampf Frankreichs zwischen 1968 und heute bestätigte.
Larzac heißt die südlichste Hochebene des Zentralmassivs, ca. 100 km westlich von Montpellier. Die karge Kalkstein"wüste" erlaubte der Landwirtschaft seit jeher nur die Schafzucht, die Bauernhöfe hingen völlig von den Käsefabriken im nahen Roquefort ab. Anfang des Jahrhunderts richtete die Armee einen Truppenübungsplatz von 3000 ha ein. Die Bewohner dieser traditionell konservativen Region lebten bis Anfang der 70er Jahre in Eintracht mit den Manövrieren- den Soldaten. Noch 1965 hatten Landwirte das Armeeministerium auf
gefordert, Weideland aufzukaufen, da sie von den schmalen Erträgen nicht leben könnten. Daher rechneten die Planer in Paris nicht mit Widerstand gegen ihr Vorhaben, den Truppenübungsplatz um 14 000 ha zu erweitern. Sie hielten es nicht für nötig, die 107 betroffenen Familien direkt zu informieren, obwohl sie ihre Betriebe aufgeben oder in andere Gegenden umziehen sollten. Dies war eine folgenschwere Fehleinschätzung, da sich seit Mitte der 60er Jahre eine Reihe von "Pionieren" niedergelassen hatte, die Landwirtschaft mit modernen Methoden und Maschinen wesentlich rentabler betrieben als die Alteingesessenen mit der traditionellen Wirtschaftsweise.
az lazac Buch W. Hertle
Als im Herbst 1970 die Erweiterungspläne durchsickerten, bildete sich ein Bündnis aus Roquefort-Industriellen, Bauernverbands-Funktionären und Lokalpolitikern. Noch im Mai 1971, als eine Demonstration von Naturschützern, Pazifisten und studentischen Gruppen von der Kreisstadt Millau zur Kaserne zog, standen die Landwirte verwundert als Zuschauer am Straßenrand und fragten sich, was Fremde wohl bewegen mochte, sich für ihre Sache einzusetzen. Noch fehlte die Einheit unter den betroffenen Familien, die verstreut in Weilern und Einzelhöfen wohnten. Absurd war die Behauptung maoistischer Gruppen, die Larzac-Bauern bereiteten sich auf bewaffneten Widerstand vor, sie hatten vereinzelte verbalradikale Äusserungen in ihrem Sinne überinterpretiert. Als Sprengstoffanschläge auf ein gaullistisches Parteibüro und einen Armeehubschrauber den "Volkszorn vorantreiben" wollten, distanzierten sich die Larzac- EinwohnerInnen von gewaltsamen Widerstandsformen. Doch auch von der Stellvertreterpolitik ihrer Berufsverbände und der regionalen Honoratioren waren sie bald enttäuscht.
Schon seit Jahren hatte das katholische Landvolk den Rüstungsexport, die Rolle der französischen Armee in der Dritten Welt, aber auch das schwache Selbstbewusstsein der bäuerlichen Bevölkerung gegenüber den Städtern thematisiert. So fiel ein Hirtenbrief mehrerer Bischöfe, der im Kern aussagte: " Als Christen habt Ihr nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, Euch gegen den Missbrauch Eures Landes für Kriegsvorbereitung zu wehren!" auf fruchtbaren Boden. Allerdings fehlte noch jeder Hinweis auf die Mittel des Widerstandes.
Vertreter der gewaltfreien Bewegung brachten den Larzac-BäuerInnen Aktionsformen nahe, die mit ihren Wertvorstellungen vereinbar waren. Vor allem das vierzehntägige öffentliche Fasten von Lanza del Vasto im März 1972 , bei dem der Gründer der gandhianischen Gemeinschaft "Arche" (2) den Bauern ausführlich Theorie und Praxis gewaltfreier Aktion erläuterte, hinterließ auf dem Plateau nachhaltige Wirkungen. Der "Schwur der 103" Ostern 1972 markierte drei wesentliche Elemente für die folgenden Jahre: Die Einheit ( 103 Familien versprachen sich gegenseitige Unterstützung ) im gewaltfreien Widerstand. Auch wer sich nicht prinzipiell auf Gewaltfreiheit verpflichten wollte, versprach, solange an ihr festzuhalten, als die Aktionen erfolgreich seien - und das blieben sie bis zum Ende. Von nun an experimentierten die "paysans du Larzac" mit dem vielfältigen Arsenal gewaltfreier Aktionsformen und ent- wickelten bald selbst neue, stets auf sympathiefördernde und humorvolle Art.
Sie brachen auf, um überall in Frankreich über ihre Situation zu berichten und um Unterstützung zu werben. Die meisten von ihnen hatten nie zuvor ihr Heimat-Departement verlassen oder öffentlich gesprochen. Es kostete sie viel Überwindung, bis nach Paris zu ziehen, um ihr Anliegen in die nationale Öffentlichkeit zu rücken.
Viermal zogen die Larzac-BäuerInnen die 700 km lange Strecke nach Paris und dramatisierten jeweils das Exodus-Motiv entsprechend der Dramatik ihrer Situation: Die Bilder von 60 unter dem Eiffelturm weidenden Larzac-Schafen kamen 1972 auf die Titelbilder der Welt- presse. Der Eindruck des Traktoren-Trecks 1973 wurde 1978, als die Enteignungen schon ausgesprochen waren, noch einmal gesteigert, als die BäuerInnen drei Wochen lang zu Fuß nach Paris zogen. Der Höhepunkt war Ende 1980 der Bau eines Zeltdorfes unter dem Eiffelturm.
Der Erfolg der Larzac-Komitees, die in vielen Städten entstanden, erklärt sich durch die Koppelung der Themen der lokalen Bündnisse mit dem gemeinsamen Thema Larzac.
Die Larzac-BewohnerInnen begriffen, daß sie die Vielfalt der oppo- sitionellen Kräfte umwerben, aber auch die Sympathie von Wählern der konservativen Regierung gewinnen müssten. Zu den Großkundgebungen 1973, 1974 und 1977 kamen bis zu 100 000 Menschen. Das Treffen 1973 war bestimmt von der Solidarität zwischen LIP (der von der Belegschaft besetzten und in eigener Regie weitergeführten Uhrenfabrik in Besancon) und dem Larzac. Das dreitägige DemoFest von 1974 stand unter dem Motto "Getreide bringt Leben - Waffen bringen Tod". An Hunderten von Ständen und in Wortbeiträgen stellte sich die ganze Bandbreite der unabhängigen Linken, der Antimilitaristen, Regionalisten aus der Bretagne und Korsika , AKW-GegnerInnen aus Plogoff und Malville, japanische Flughafengegner und Hiroshima-Opfer, Vertreter von Befreiungsbewegungen aus Südafrika, Lateinamerika u.a.m. vor.
Die radikalste Veränderung für die BäuerInnen war die Entscheidung für den Zivilen Ungehorsam. Er begann, als 60 Bauern gemeinsam ihre Wehrpässe an den Armeeminister schickten. Daraus entstand eine landesweite Kampagne der Wehrpaßverweigerung, an der sich bald mehrere Tausend Sympathisanten beteiligen sollten, ebenso wie am Rüstungssteuer-Boykott, der aus Solidarität mit dem Larzac ausgerufen wurde. Das zurückbehaltene Geld (3% der Steuern) wurde zum Bau von Schafställen, Wasserleitungen und Wegen auf dem Larzac verwendet. Der Schafstall von La BlaquiŐre, dessen Bau zwar verboten, aber nicht verhindert werden konnte, finanziert durch verweigerte Steuern, gebaut u.a. mit Hilfe von Totalverweigerern, beweist die Kraft des Zivilen Ungehorsams. gepaart mit einem konstruktiven Programm. Die Armee erkannte den Symbolwert und bot an, den Stall auf eigene Kosten Stein für Stein ab- und außerhalb des Erweiterungsgebietes wieder aufzubauen, was der Widerstand natürlich nicht annahm!
Bald wurde klar, daß im Ernstfall nicht 14 000 ha besetzt werden konnten, aber im Laufe der Jahre "enteigneten" die Bauern 150 ha Armeeland und nahmen sie unter den Pflug. Der Platz fehlt, um von all den vielen direkten Aktionen zu berichten. Wer mehr wissen will, sei verwiesen auf: Wolfgang Hertle "Larzac 1971 - 1981. Der gewaltfreie Widerstand gegen die Erweiterung eines Truppenübungsplatzes in Südfrankreich", 1982. Und auf den wunderschönen Bildband "Alors la paix viendra" (Übersetzung ebenfalls bei Weber-Zucht & Co, Steinbruchweg 14, Kassel erschienen).
Zum Schluss sei nur kurz auf die "ansteckende" Wirkung des Larzac auf viele andere gewaltfreien Kämpfe in Frankreich und weltweit hingewiesen, als Beispiel sei nur der Gorleben-Treck 1979 nach Hannover erwähnt. (Vgl. W. Hertle: Larzac, Wyhl, Brokdorf, Gorleben... Grenzüberschreitender Lernprozeß Zivilen Ungehorsams, Im Reader: Ziviler Ungehorsam, Sensbachtal, 1992, S. 83 -106) Es ließe sich ein eigenes Buch über das auch nach 1981 bis heute anhaltende weltweite Engagement der Larzac-BewohnerInnen schreiben, z.B. die Unterstützung der Autonomiebewegungen in Kanaky / Neukaledonien und Polynesien (Muroroa) .
Nützliche Adressen für die, die mehr wissen wollen:
- Le Cun du Larzac, Route de St. Martin, F - 121000 Millau (Zentrum für gewaltzfreie Aktion)
- Gardarem Lo Larzac, Potensac, F- 12100 Millau (Zeitschrift des Larzac - Widerstandes, erscheint seit 1975)
- Archiv Aktiv für gewaltfreie Bewegungen, Sternschanze 1, 20357 Hamburg, Tel.: 040/4302046