Leben in Gerechtigkeit und Frieden – mit einer anderen Wirtschaftsordnung

von Ökumenisches Netz Rhein - Mosel - Saar e.V.

Eine Wirtschaft, deren Logik vollkommen auf Konkurrenz zur Profitmaximierung und nicht auf Kooperation zur Versorgung der Menschen mit Bedarfsgütern zum Leben in nachhaltiger Wechselwirkung mit der Natur aufgebaut ist, ist selber eine Form von Krieg. Die Verlierer sind die Mehrheit der Menschen und die Erde. Dass zusätzlich über eine Billion Euro jährlich für die Verteidigung und Ausbreitung der Vorrechte der Gewinner ausgegeben wird, zeigt den menschenverachtenden Gesamtcharakter unserer Zivilisation. Die ökumenischen Weltorganisationen haben deshalb in intensiven Arbeitsprozessen und Vollversammlungsbeschlüssen den imperialen Kapitalismus verworfen und zusammen mit sozialen Bewegungen und anderen Glaubensgemeinschaften begonnen, Alternativen zu erarbeiten. Die Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt soll 2011 als nächster Schritt durch eine Internationale Ökumenische Friedenskonvokation und eine „Erklärung zum gerechten Frieden“ abgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang hat das Ökumenische Netz in Deutschland (ÖNiD) eine Erklärung und eine Begründung dazu verfasst (http://www.oenid.net/Projekte/IOeFK.html). Der folgende Text ist ein von der Redaktion mit Zwischenüberschriften versehener Ausschnitt daraus und wird durch Lektürevorschläge ergänzt. (Ulrich Duchrow)

Der ökonomische Blickpunkt
Ökonomisch gesehen heißen die überholten falschen Alternativen der Moderne: absolutes Privateigentum oder absoluter, zentralistisch entworfener und durchgesetzter Plan mit Staatseigentum als Grundlage der Wirtschaft. In beiden Fällen ist die Macht oben zentriert und die Mehrheit der Menschen ist abhängig oder gar Objekt der Herrschenden und Eigentümer. Wie könnte die Alternative einer demokratischen Wirtschaft im Dienst des Lebens aussehen?

Ausgangspunkt ist die Wiederentdeckung der alten biblischen Einsicht, dass die Erde mit Luft, Wasser und Land Gabe Gottes ist und darum allen Kreaturen zum Leben dient und dienen muss. Das wird heute neu ausgedrückt mit Begriffen wie Gemeinschaftsgüter, Gemeingüter, Allmende oder Commons. Nach Berechnungen der UNO ist unbestreitbar, dass für alle Menschen mehr als genug zum Leben, jedenfalls, was die Basisversorgung betrifft, zur Verfügung stünde – wenn nicht eine kleine Minderheit die Menschheit ihres Überflusses systematisch berauben würde. Entschiedenen Widerstand gegen diese strukturelle Gewalt der ungerechten wirtschaftlichen Verhältnisse vermochten die Mächtigen bislang – falls notwendig auch durch Anwendung direkter Gewalt – wirksam zu unterdrücken. Die Erde wird aber diese Ausbeutung und die mit ihr verbundene Verschmutzung nicht auf Dauer ertragen. Die wachsenden Umweltkatastrophen und -krisen sind dafür das Menetekel an der Wand. Darum wird Überleben für Menschen und Erde nur möglich sein, wenn die Gemeinschaftsgüter sozial gerecht und ökologisch zukunftsfähig bewirtschaftet und organisiert werden.

Zentral ist dafür das Brechen der absoluten Herrschaft des über das Gebrauchseigentum hinausgehenden Privateigentums zur Vermehrung des in Geld gemessenen Vermögens Weniger. Zentraler Bezugspunkt ist der neu zu erkämpfende Vorrang des Gebrauchseigentums für alle, gekoppelt mit einer überlebensfähigen Kreislaufwirtschaft, in der der Natur nicht mehr entnommen wird, als sie nachhaltig regenerieren kann. Dabei kann die Eigentumsform je nach Praktikabilität variieren zwischen kooperativem Gemeineigentum, kommunalem Eigentum oder öffentlich-staatlichem Eigentum. Zusätzlich können durchaus an Private Nutzungsrechte vergeben werden, nun aber auf das Gemeinwohl und die natürliche Überlebensfähigkeit hin öffentlich verpflichtet und kontrolliert. Die Gemeingüter gehören grundsätzlich allen, deshalb müssen gerechte Verfahren zur Erteilung von Nutzungsrechten gefunden werden. Auch der Markt wird dadurch von dem kapitalistischen Zwang zur Reichtumsanhäufung befreit und in den Dienst der allgemeinen Wohlfahrt gestellt. Selbst die Technik kann aus der Gefangenschaft der Reichtumsanhäufung befreit und in den Dienst der Kreislaufwirtschaft gestellt werden.

Dass dies praktisch möglich ist, zeigen viele Beispiele auf den verschiedenen Ebenen. Auf örtlich-regionaler Ebene wächst weltweit die Bewegung für „solidarische Ökonomie“. Aufgrund der Stärke dieser Bewegung hat der Staat in Brasilien sogar ein eigenes Ministerium für Solidarische Ökonomie eingerichtet. Viele Kommunen befreien sich vom Privatisierungswahn und re-kommunalisieren ihre Versorgung mit Wasser, Energie, Verkehr. An vielen Orten wachsen zwischen Landwirtschaft und städtischen Bevölkerungen Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften. Alternative kooperative Banken versorgen die Realwirtschaft mit Krediten, usw.

Aber es reicht nicht, nur auf lokal-regionaler Ebene einen Wandel herbeizuführen. Dieser würde zerstört, wenn die nationale, kontinentale und globale politische Ökonomie Menschen und Erde weiterhin die zerstörerische Logik der Kapitalakkumulation aufzwingen. Soziale und ökologische Bewegungen in aller Welt haben bereits begonnen, starke Bündnisse zu bilden, um auch auf den Makroebenen neue Ansätze und Institutionen zu entwickeln, die die Wirtschaft in den Dienst des Lebens stellen. Ein zentraler Ansatz ist der Kampf gegen weitere Privatisierungen von öffentlichen Gütern und Diensten. Der globale Hauptagent des Zwangs zur Privatisierung im Dienst der Kapitalinteressen, die Welthandelsorganisation WTO, wurde seit 1999 wirksam von sozialen Bewegungen blockiert, obwohl – trotzdem – die Verschärfung der Regeln zu Lasten des Südens noch eher weiter zugenommen hat, weshalb der Kampf für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung weitergehen muss. Die globale Krise wird von den sozialen Bewegungen dazu genutzt, um grundlegende Alternativen des Geld- und Finanzsystems zu entwickeln. Zentral dafür ist, Geld als öffentliches Gut zur Ermöglichung des realen Wirtschaftens neu zu konzipieren und zu institutionalisieren, wie es schon der Ökonom J.M. Keynes vorschlug. Geld darf keine Ware zur Gewinnung von mehr Geld sein, wie u.a. schon Calvin forderte. Im Finanzsystem sind alle „Derivate“ und Institutionen wie Hedgefonds politisch zu verbieten, die nur der spekulativen Vermehrung des Geldwerts dienen und dadurch schwere Schäden in der Realwirtschaft anrichten.

Arbeit
Die gleiche Erneuerung ist im Blick auf die Arbeit möglich und notwendig. Technik vernichtet nicht Arbeitsplätze, wie uns die neoliberale Ideologie glauben machen will, sie verringert die notwendige Menge von Arbeit zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Genau wie im Bereich der Gaben der Natur ist die Verteilungsfrage das zentrale Problem. Wenn die gesellschaftlich notwendige Arbeit gerecht verteilt würde, gäbe es keine Arbeitslosigkeit. Nun aber werden die technisch möglichen Produktivitätsgewinne alle in die Vermehrung des Kapitals abgezogen. Hinzu kommt die Nichtbewertung der reproduktiven Arbeit in der kapitalistischen Wirtschaft, was bei der noch immer mehr oder weniger vorherrschenden Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen zu einer massiven Benachteiligung der Frauen führt. Als Teil der Entwicklung zu einer auf Gebrauchsgüter und Dienstleistungen ausgerichteten Wirtschaft ist deshalb die Arbeit neu zu bewerten und zu verteilen. Auch dafür gibt es insbesondere auf lokal-regionaler Ebene schon viele Beispiele. Die Übernahme von innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft lebensunfähigen Fabriken durch die Mitarbeiter wie z. B. in Argentinien nach der dortigen Krise in den Jahren nach 2001 zeigt, dass eine Demokratisierung der Wirtschaft auch in größeren Einheiten möglich ist.

Konsum
Das gleiche gilt für den Konsum. In den reichen Ländern herrscht die Meinung, die Erfüllung der Bedürfnisse und Wünsche sei nur durch „immer mehr“ zu erreichen. Es ist unbestritten, dass dadurch über eine Milliarde Menschen im globalen Süden nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen kann. „Ein Kind, das verhungert, wird ermordet“, sagt Jean Ziegler. Offenbar reicht diese Einsicht aber nicht, um einen Wandel des Konsummusters im globalen Norden hervorzubringen. Deshalb versuchen hier viele Initiativen zu zeigen, dass anders leben, nämlich sozial und ökologisch verantwortlich, gleichzeitig besser leben bedeutet. Hier zeigt sich besonders, dass Glück sich durch gelingende Beziehungen einstellt – sowohl im Blick auf andere Menschen wie auch im Blick auf die Natur. Das gilt auch im Blick auf die Überwindung der extremen Schere zwischen Nord und Süd. Der Zwang zur Zerstörung der Urwälder, der Artenvielfalt und der sozialen Kohärenz, den der Norden durch das kapitalistische System gegenüber dem Süden ausübt, zerstört in gar nicht so langer Frist auch die Lebensqualität der Menschen in den Industrieländern.

Zusammengenommen heißt dies alles: Die Weltwirtschaft muss nicht zwanghaft quantitativ wachsen, wenn Ressourcen, Arbeit und Konsum einigermaßen gerecht verteilt sind. Das schließt ein, dass es im Süden unausweichlich weiter Wachstum geben muss – allerdings unter Berücksichtigung anderer Maßstäbe zur Erfassung von Wachstum. Das wird auch längst in der Forschung zu der Frage der Maßeinheit für wirtschaftlichen Erfolg (Indikatoren) gesehen. Die absurde, rein monetäre Messweise des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sieht sozial und ökologisch schädliche Vorgänge (z.B. Flussvergiftungen, Verkehrsunfälle und ihre Folgen) als positiv an, nur weil dadurch abstraktes Wirtschaftswachstum erzeugt wird. Alternative Indikatoren messen umgekehrt nur das als wirtschaftlich erfolgreich, was zugleich sozial und ökologisch erfolgreich ist, also Menschen unter Bewahrung der Natur dient.

Der ökologische Aspekt
Ökologisch gesehen gibt es ebenfalls eine reiche Vielfalt von alternativen Ansätzen, Politiken und Lebensweisen. Zentral ist die Einsicht, dass die Energie der Zukunft nach Erschöpfung der fossilen Brennstoffe wie Öl – und hoffentlich vorher – dezentral zur Verfügung steht: Sonne, Wind, Wasser und Biomasse. Viele Beispiele zeigen, dass Kommunen sich mit diesen Energiequellen vollständig unabhängig von den kapitalintensiven Energie-Öligopolen machen können. Ähnlich wie bei der Grundfrage der Ökonomie, einer neuen Eigentumsordnung „von unten“, ist also auch hier die lokal-regionale Ebene Ausgangs- und Zielpunkt des Wirtschaftens, denn dort leben die konkreten Menschen, und dort geht es um Zerstörung oder Bewahrung der Natur.

Ebenso gibt es inzwischen viele Beispiele für Kreislaufwirtschaft. Inzwischen sind Verfahren entwickelt worden, wie auch alle Kunstprodukte wie Plastik, Elektronikschrott u.a. per Kälteverfahren (Kryo-Recycling) in ihre Grundbestandteile zerlegt und wiederverwendet werden können. Ökologisches bäuerliches Landwirtschaften kann im Unterschied zum Agrobusiness die Ernährungssicherheit, Ernährungssouveränität und Nachhaltigkeit garantieren. Auch die Bereitschaft zur Anerkennung und – jedenfalls teilweisen – Wiedergutmachung der ökologischen Schulden des Nordens gegenüber dem Süden wächst. Soziale Bewegungen und ökumenische Netzwerke im Norden nehmen die Forderungen von Jubilee South und dem ÖRK auf, die Regierungen des Nordens zu drängen, mindestens ein Prozent ihres BIP dafür einzusetzen, dass die am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder, besonders in Afrika, nachhaltige Technologien und Unterstützung für die ökologische Landwirtschaft erhalten, um sich an den Klimawandel anzupassen. Auch ökumenische Hilfswerke setzen sich zunehmend dafür ein, das weitere Anwachsen der ökologischen Schulden durch Emissionen und andere Arten von Verschmutzung zu stoppen.

Krieg und Frieden
Alle diese neuen Wege und Möglichkeiten im Bereich der wirtschaftlich-sozialen und ökologischen Gerechtigkeit sind schon ein – wenn auch nicht ausreichender – Beitrag zur Überwindung der Ursachen von Gewalt und Krieg. Aber es gibt auch direkte friedenspolitische Ansätze für die Verminderung und Überwindung von Gewalt. Dabei ist die öffentliche Meinung von zentraler Bedeutung. Beim Überfall der USA auf den Irak mit der „Koalition der Willigen“ gingen weltweit Millionen Menschen auf die Straße. Umfragen in verschiedenen Ländern Europas zeigen, dass die Bevölkerungen zu über 70% nicht nur diesen Krieg, sondern auch den NATO-Krieg in Afghanistan nachhaltig ablehnen. Das Problem ist, dass sich diese Mehrheiten nicht organisieren. Hier könnte die ökumenische Bewegung zusammen mit anderen Glaubensgemeinschaften und sozialen Bewegungen eine zentrale Rolle übernehmen. Dazu gehört auch die Organisation des Widerstands gegen die wachsende Rüstung und ihre Vermarktung. Vor allem aber wäre Präsident Obama beim Wort zu nehmen, eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen. Und es wäre der Skandal zu thematisieren, dass sich die USA und die NATO nach wie vor ein Recht zum Erstschlag mit Atomwaffen vorbehalten.

Zu unterstützen und weiterzuentwickeln wären vor allem aber Formen des aktiven gewaltfreien Widerstands gegen Unrecht, Unterdrückung und direkte Gewalt. Auch hier gibt es zahlreiche bewundernswerte Beispiele. Eines der beeindruckendsten ist der wöchentliche Widerstand des Dorfes Bil'in im Westjordanland. An jedem Freitag organisieren die gewaltfrei Aktiven zusammen mit israelischen und internationalen Freiwilligen einen Protest gegen den Bau der Mauer, der den Palästinensern noch mehr von ihrem Land raubt. Das israelische Militär schlägt jedes Mal mit Tränengas, Gummigeschossen und Verhaftungen auf sie ein und führt nächtliche Überfälle auf das Dorf durch. Trotz dieses Staatsterrors und seiner schmerzlichen Folgen halten die Menschen durch. Hier und in anderen derartigen Fällen könnte der ÖRK eine weltweite Solidaritätskampagne organisieren. „Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit“ – konkret.

Lektürevorschläge:
Duchrow, Ulrich/Bianchi, Reinhold/Krüger, René/Petracca, Vincenzo, 2006, Solidarisch Mensch werden. Psychische und soziale Destruktion im Neoliberalismus - Wege zu ihrer Überwindung, VSA in Kooperation mit Publik-Forum, Hamburg/Oberursel.

Felber, Christian, 2010, Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft, Deuticke, Wien.

Kairos Europa (Hg.), 2006, Wie geht es weiter nach den ökumenischen Vollversammlungen, Kairos Europa, Heidelberg.

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