Lebenslänglich abschaffen!

von Martin Singe
Hintergrund
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Anfang Januar 1998 hat sich in der Justizvollzugsanstalt Lübeck ein 41jähriger Häftling erhängt. Er war vor 17 Jahren zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Offensichtlich aus Verzweiflung über die Perspektivlosigkeit seiner Lage hat sich der junge Mann das Leben genommen. Er ist Mitautor eines gerade neu erschienenen Buches, das sich gegen die lebenslange Freiheitsstrafe wendet: "Lebenslänglich. Texte von zu lebenslanger Haft Verurteilten" (Sensbachtal, Januar 1998, ISBN 3-88906-073-0).

In dem Buch kommen zehn Personen zu Wort, die alle zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind und ihr Leben gegenwärtig in verschiedenen Justizvollzugsanstalten verbringen müssen. Die in dem Buch veröffentlichten Berichte über die Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit der eigenen Tat und ihren justiziellen Folgen sind sehr persönlich abgefaßt und spiegeln ein breites Spektrum von Auffassungen gegenüber dem Strafvollzug wider. sbereinstimmung besteht jedoch in der Beurteilung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Sie muß als Strafform, die wegen ihrer Perspektivlosigkeit von vielen Betroffenen wie eine Todesstrafe auf Raten empfunden wird, abgeschafft werden. Denn Lebenslänglich ist eine Todesstrafe, die mit der sofortigen Tötung des Verurteilten zwar nichts zu tun hat, aber sehr wohl als eine Todesstrafe auf Raten vollzogen wird. Hier heißt es: sterben lassen", schreibt Manfred Nicolai. Für mich ist dieses Urteil schlimmer als die Todesstrafe, denn da kommt man irgendwann an die Reihe, und es ist vorbei. Das Urteil LL (Lebenslänglich) ist deshalb so grausam, weil es so perspektivlos ist und man sich nichts vorstellen kann, was irgendwie realistisch ist", heißt es bei Steffen Meyer. Frau Prien-Hartmann führt hierzu aus: Für mich persönlich ist die Handhabung unseres Strafsystems psychische Folter, was natürlich ganz weit weggeschoben wird. In diesem Sinne würde ich, wenn die Todesstrafe sofort vollzogen würde, dies noch als humaner empfinden. Was nützt der Gesellschaft ein Mensch, der zwar körperlich noch lebendig, aber psychisch verkrüppelt oder tot ist?" Guido Sawallisch schreibt: Wenn man also schon Begriffe wie humaner Vollzug oder ähnliche Floskeln zur Politik macht und trotzdem nichts unternehmen will, dann halte ich persönlich es für wesentlich humaner, nach dem Urteil eine Kugel verpaßt zu bekommen, anstatt 20 Jahre lang zunächst meinen emotionalen Tod zu erleiden und dann in den sozialen Tod entlassen zu werden, bevor mich der physische Tod letztendlich erläst."

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie, Herausgeber des Buches, setzt sich seit Jahren aus menschenrechtlichen Gründen für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe ein. Diese extreme Strafform nützt niemandem und schadet nur. Eine abschreckende Wirkung ist nicht nachweisbar und Opferhilfe wird durch extremes Strafen nur vorgetäuscht.

Die theoretisch-argumentatorische Auseinandersetzung mit der lebenslangen Freiheitsstrafe, die das Komitee u.a. mit zwei Experten-Hearings vorgenommen hat, versucht es nun zu ergänzen, indem es betroffene Täter und Täterinnen hinsichtlich ihrer Erfahrungen mit dieser Strafform selbst zu Wort kommen läßt. Die in diesem Buch versammelten Beiträge bilden insgesamt ein eindringliches, leidenschaftliches Plädoyer für die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Ein Resümee von Wolf-Dieter Narr (Politologe an der FU Berlin und Geschäftsführender Vorstand des Komitees) mit dem Titel "Lernen von den Lebenslänglichen" schließt das Buch ab.

Bezug: Das Buch kann gegen Vorkasse (DM 10,- als Scheck / Schein / Briefmarken) bestellt werden beim Komitee für Grundrechte und Demokratie, An der Gasse 1, 64759 Sensbachtal. Bei derselben Adresse kann für DM 3.- Vorkasse die Broschüre "Strafrechtliche Gewalt überwinden" bestellt werden.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".