Interview

„Leitend ist der Gedanke, dass die militärische Sicherheitslogik von einer friedenslogischen Politik abgelöst werden muss“

von Karen HinrichsOtmar Steinbicker

Mit Oberkirchenrätin Karen Hinrichs von der Evangelischen Kirche in Baden (EKiBA) sprach aixpaix.de-Herausgeber Otmar Steinbicker über die Bilanz des Kirchentages, den spannenden Weg der badischen Landeskirche zu einer „Kirche des gerechten Friedens“ und Perspektiven der Friedensbewegung. Karen Hinrichs ist in der Kirchenleitung der badischen Landeskirche verantwortlich für Grundsatzplanung und Öffentlichkeitsarbeit.

aixpaix.de (OS): Welchen Stellenwert hatte das Thema Frieden auf dem am Sonntag - den 7.6.15 - beendeten Kirchentag (DEKT)? Es stand wenig zum Thema Frieden im offiziellen Programm, stattdessen gab es ein autonomes „Zentrum Frieden“ außerhalb des offiziellen Programms.

Karen Hinrichs (KH): Kirchentagspräsident Andreas Barner hatte zwar im Vorfeld von einem „Friedenskirchentag“ gesprochen, aber das stand in einem ziemlichen Widerspruch zum offiziellen Programm. Dort musste man die Veranstaltungen zum Thema Frieden doch sehr suchen. Auf den Podien saßen überwiegend, wie schon in Bremen und Hamburg, vor allem die VertreterInnen der EKD-Position, die seit 2007 unverändert an der Legitimierung von militärischen Einsätzen als sogenannte „ultima ratio“ festhält.

KritikerInnen der regierungsamtlichen Außen- und Sicherheitspolitik findet man auf den Kirchentags-Podien selten. Noch seltener sind originäre Stimmen des Pazifismus und der internationalen ökumenischen Friedensarbeit. Die Friedenskirchen, wie die Quäker und die Mennoniten, mit denen wir in der Friedensarbeit besonders verbunden sind, haben uns doch auch theologisch viel zu sagen!

Nachdem das Kirchentagspräsidium vor über einem Jahr sogar abgelehnt hatte, ein Themenzentrum Frieden einzurichten, haben die Friedensorganisationen die Sache selbst in die Hand genommen und – als Ergänzung zum DEKT – ein selbstständiges Zentrum Frieden organisiert.

OS: Wie hat der offizielle Kirchentag auf diese Initiative reagiert?

KH: Leider fehlte im Programm des DEKT jeder Hinweis auf das Zentrum Frieden, und von offizieller Seite wurde es ebenso ignoriert wie die Menschenkette oder das Konzert mit Konstantin Wecker und Margot Käßmann. Alle drei Veranstaltungen waren trotzdem bestens besucht und ein großer Erfolg! Es wurde eben über Flyer und Zeitschriften wie „Publik-Forum“ oder die „Junge Kirche“ und auch über die sozialen Netzwerke eingeladen. Das hat gut geklappt.

OS: Welche Friedensorganisationen haben im Zentrum Frieden zusammengearbeitet und wie wurde das koordiniert?

KH: Das Zentrum Frieden war eine wunderbare Sache, eine solche Kooperation gab es vorher noch nie. 38 Organisationen, darunter „Ohne Rüstung Leben“, die AGDF (Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden), der Versöhnungsbund, Church and Peace, die Arbeitsstelle Frieden der Evangelischen Landeskirche in Baden, die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden, das württembergische Pfarramt für Friedensarbeit und KDV, der Bund für Soziale Verteidigung und alle die anderen haben sich zusammengeschlossen und ein buntes, spannendes Programm auf die Beine gestellt. Die Koordination lag bei „Ohne Rüstung Leben“ und der AGDF.

OS: Das Zentrum Frieden brauchte zentral erreichbare Räumlichkeiten, sicherlich keine einfache Aufgabe.

KH: Die Friedenskirchengemeinde unweit vom Stuttgarter Hauptbahnhof bot sich als Gastgeberin an. Das große Gemeindehaus verfügte mit seinem Versammlungssaal und mehreren kleineren Räumen über die Möglichkeit, parallele Veranstaltungen auszurichten. Das war ideal. Die Friedensgemeinde hat ihrem Namen alle Ehre gemacht und wird den vielen BesucherInnen des Zentrums auch durch die tatkräftigen Ehrenamtlichen, die guten preiswerten Mahlzeiten und den schattigen Garten in bester Erinnerung bleiben.

OS: Wo lagen die inhaltlichen Schwerpunkte und wie wurden sie im Programm des Zentrum Frieden umgesetzt?

KH: Jeden Morgen wurde eine Bibelarbeit und abends ein Gottesdienst angeboten, so wie beim Kirchentag auch. Den ganzen Tag über gab es ein Angebot von Workshops und Erfahrungsberichte von FriedensaktivistInnen aus aller Welt, Podiumsgespräche zu politischen und ethischen Fragen, Schnupper-Trainings für gewaltfreie Kommunikation oder gewaltfreie Aktionen, acht Ausstellungen, Filme und einen Liederabend. Der Schwerpunkt lag bei den Themen Gewaltfreiheit und zivile Konfliktbearbeitung sowie bei der internationalen Friedensarbeit und den friedensethischen Grundlagen der Weltreligionen.

OS: Die Evangelische Kirche in Baden (EKiBA) erfolgt seit geraumer Zeit ein erstaunliches Projekt: sie will sich offiziell als „Friedenskirche“ verstehen. Was ist damit gemeint?

KH: Die Landessynode der badischen Kirche hat im Herbst 2013 nach einem langen Diskussionsprozess beschlossen, sich auf den Weg zu einer „Kirche des gerechten Friedens“ zu machen. Dazu sollen in den nächsten Jahren viele Vorhaben und Projekte umgesetzt werden. Da geht es zum Beispiel um die Verstärkung der friedenspädagogischen Angebote vom Kindergarten über die Jugendarbeit bis zur Erwachsenenbildung und die Förderung einer Kultur der Gewaltfreiheit. Aufregend ist das Vorhaben, zusammen mit anderen europäischen Kirchen ein Szenario zum Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung zu entwerfen. Die Kritik an den Rüstungsexporten wird von vielen Kirchenmitgliedern mitgetragen.

OS: Die Evangelische Kirche versteht sich immer auch als „Volkskirche“. Ist dieses Selbstverständnis mit dem einer „Friedenskirche“ kompatibel?

KH: Wenn Volkskirche eine Kirche für alle und mit allen Bevölkerungsgruppen sein soll, dann müssen immer unterschiedliche Meinungen und Interessen ihren Platz haben dürfen. Darum gehört es dazu, zum Beispiel mit BerufssoldatInnen ebenso im Gespräch zu bleiben wie mit PolitikerInnen, die in der Kirche sind. Die Badische Landeskirche wird wohl nie eine Friedenskirche im Sinne der Quäker oder Mennoniten werden, die Krieg und damit auch jeden Kriegsdienst grundsätzlich ablehnen. Aber sie hat sich auf den Weg gemacht und wird weiter das Gespräch mit diesen Friedenskirchen suchen. Die neugewählte Landessynode hat beschlossen, dass sich die EKiBA auch der neuen ökumenischen Bewegung, der „Pilgrimage of Justice and Peace“ anschließt, so hat das Ganze auch einen weltweiten Kontext.

OS: Gibt es auf diesem Weg Schwierigkeiten, Bedenken oder Widerstände gegen den Weg der Badischen Landeskirche zu einer „Kirche des gerechten Friedens“?

KH: Es gibt viele Gemeinden, in denen der Diskussionsprozess und die Beschlüsse der Landessynode noch gar nicht wahrgenommen wurden. Diese ethischen Fragen sind so kompliziert und hängen mit so vielen anderen schwierigen Themen und politischen Fragen zusammen, dass viele Mitarbeitende sich damit nicht beschäftigen möchten. Das steht ja auch jedem frei. Große Bedenken haben vor allem die MilitärpfarrerInnen. Die haben sich in den bisherigen Diskussionen zumeist als AnwältInnen der Regierungspolitik verstanden und verteidigen heftig die gegenwärtige Struktur der Militärseelsorge. Eine Diskussion über eine andere Struktur der Seelsorge an SoldatInnen muss auch in der EKD neu geführt werden.

OS: Der Weg der EKiBA dürfte auch in anderen Landeskirchen der EKD Beachtung finden und womöglich Diskussionen auslösen. Gibt es da schon erkennbare Reaktionen?

KH: Ja, in verschiedenen anderen evangelischen Landeskirchen haben ähnliche Diskussionsprozesse begonnen. Es gibt ein Diskursprojekt der Evangelischen Akademien, das weiterläuft. Außerdem gibt es den Karlsruher Aufruf, unter den Unterschriften gesammelt werden. Der Aufruf richtet sich an die EKD und fordert dazu auf, die friedensethische Denkschrift der EKD von 2007 in kritischer Auseinandersetzung mit den militärischen Interventionen der letzten 16 Jahre neu zu formulieren und ein klares friedensethisches Leitbild der Überwindung des Krieges zu entwickeln. Leitend ist der Gedanke, dass die militärische Sicherheitslogik von einer friedenslogischen Politik abgelöst werden muss.

OS: Außerhalb der Kirchen dürfte der Weg der EKiBA auch für die organisierte Friedensbewegung von Interesse sein. Dort hat man manchmal den Eindruck, man diskutiere eher unter sich und finde nur noch selten Diskussionsinteresse außerhalb der eigenen Strukturen. Der Weg der EKiBA ist da insofern interessant, als auf einmal Themen der Friedensbewegung sehr viel breiter in traditionellen Kirchenstrukturen diskutiert werden. Erkennt die Friedensbewegung bereits die Bedeutung der EKiBA-Initiative im Hinblick auf eine gesellschaftliche Öffnung der friedenspolitischen Diskussion?

KH: Schon zu dem Entwurf des Papiers haben sich einige kirchennahe Gruppen der Friedensbewegung geäußert und Stellungnahmen abgegeben. Die anderen Organisationen haben kaum Interesse an dem innerkirchlichen friedensethischen Diskurs. Das ist einerseits verständlich, andererseits auch schade. Denn abgesehen von den spezifisch theologischen Fragen geht es ja um die gleichen ethischen Fragestellungen wie in der Zivilgesellschaft insgesamt. Zum Beispiel sind die Fragen zu klären, ob „Bündnistreue“ ein Legitimationsgrund für außenpolitische Entscheidungen sein kann und ob das Versprechen, durch militärische Interventionen Menschen schützen zu können, der Wirklichkeit Stand hält. Wenn es um die Modernisierung statt die Abschaffung von Atomwaffen geht oder um die kostspielige Aufrechterhaltung eines riesigen Militärapparates, haben alle Teile der Friedensbewegung dieselbe Kritik, da spielt es keine Rolle, ob kirchlich oder nicht.

 

Das Interview wurde von der Website von aixpaix.de übernommen und von der Redaktion leicht bearbeitet.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de