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"Sind die GRÜNEN für die Friedensbewegung noch wählbar?" im Friedensforum 5/90
Leserbrief zum Artikel von Henning Schierholz
Als Mitglied (Kreisvorstand KV Kiel) in der "erfolgreichsten politisch-parlamentarischen Kraft der 80er Jahre" (gemeint sind die Grünen) kann ich den Artikel von H.S. nicht unwidersprochen stehen lassen. Gerade jetzt im 1. gesamtdeutschen Wahlkampf, in dem es darum geht eine starke Opposition gegen schwarz-rot-goldene Deutschtümelei des Altparteienkartells einschl. ihrer Fortschritts- und DM-Hörigkeit, bilden zu können, empfinde ich die Einschätzung eines ehemaligen Mitarbeiters der GRÜNEN im Bundestag als unloyal und vor allem unnötig. Was will H.S. eigentlich mit der Desavouierung GRÜNER Politik erreichen und welche Alternative will er der "sozialen Basis" - und insbesondere der Friedensbewegung - der GRÜNEN anbieten, wenn wir nicht mehr wählbar für sie sind?
Die GRÜNEN haben sich immer für die Anliegen der Friedensbewegung eingesetzt, dies praktisch bewiesen (siehe letzte Aktion am 1.9. = Sprengschacht-Aktion in Kassel) und werden dies auch weiterhin tun, aber auch die GRÜNEN können letztendlich nur das parlamentarisch vertreten, was von den sozialen Bewegungen an sie herangetragen wird. Die Friedensbewegung ist nun einmal nicht mehr die starke Kraft, wie sie es noch zu Beginn dieses Jahrzehnts war, und das wiederum ist nicht die Schuld der GRÜNEN!
Die Umwälzung in Osteuropa und die scheinbaren Abrüstungserfolge haben sicherlich dazu beitragen, da· die Friedensbewegung nicht mehr das ist, was sie einmal war, sondern andere Problemfelder insbesondere im ökologischen Bereich (Stichwort Klimakatastrophe u.a.) als brisanter empfunden werden. Dieser Trend wird möglicherweise auch auf personeller Ebene bei den GRÜNEN (bei der Aufstellung der Landeslisten zur BT-Wahl) sichtbar - auch die GRÜNE Basis wählt die VertreterInnen, von denen sie annimmt, da· ihre Positionen am besten vertreten werden - als Spiegelbild der Gesellschaft für die die Friedensfrage offensichtlich - leider! - nicht mehr auf Platz 1 rangiert. Und diese demokratische Verfahren müssen - so schwer es fallen mag - auch Friedensbewegte anerkennen. Als GRÜNES Mitglied der Friedensbewegung kann ich die Enttäuschung über zu wenig friedensbewegte BT-Abgeordnete nachvollziehen und freue mich daher, da· Schleswig-Holstein als einziges Bundesland die friedensbewegte Spitzenkanditatin Angelika Beer in den BT schickt. Aber auch diese Tatsache scheint H.S. nicht zu genügen, da A. Beer nicht "spektakulär aufgefallen" ist (A. Beers Rechenschaftsbericht zur letzten Legislaturperiode spricht, gerade was ihre friedenspolitischen Aktivitäten angeht, für sich). Stattdessen wird die Kandidatur als "willkommene berufliche Weiterentwicklung" abqualifiziert und in gleichem Atemzug auf Petra Kelly und Alfred Mechtersheimer verwiesen, die ja schließlich auch nicht das 1.l Mal im Bundestag und vor allem nicht unumstritten sind.
Da paßt der GRÜNE Mitarbeiter Udo Knapp ja so richtig schön ins Konzept mit seinen nicht mehrheitsfähigen Äußerungen zur NATO und zum Golf-Konflikt! Vielleicht sollt H.S. auch die gegenteiligen GRÜNEN Äußerungen zur Kenntnis nehmen, z.B. von Martin Grübener, dem Abrüstungsbeauftragten des Bundesvorstandes und Koordinators der Grünen Entmilitarisierungskampagne. Diese Kampagne richtet sich nicht gegen die BoA-Bemühungen (BRD ohne Armee), sondern unterstützt diese ausdrücklich. Aber auch hier werden wieder nur die nicht mehrheitsfähigen Äußerungen eines Wolfgang Bruckmann zu BoA zitiert, die von GRÜNER Seite ja eben nicht unwiedersprochen blieben.
Ich frage mich wirklich, was H.S. dazu treibt, mit den vorgenannten Beispielen den "parlamentarischen Arm der Bewegung" so undifferenziert und einseitig zu verurteilen, um dann im Nachsatz zuzugeben, da· eben auch der "Anspruch der (noch) vorhandenen Bewegungen auf parlamentarische Umsetzung ihrer Anliegen stark reduziert worden ist".
Kein/e GRöNE/R wird es als "Glück" empfinden, da· " der Machtfaktor der neuen sozialen Bewegungen in den 80er Jahren eherrückläufig war", sondern diese Tatsache bedauern. Die Gründe dafür sind aber nicht bei den GRÜNEN, sondern auf ganz anderer Ebene zu suchen, nämlich u.a.
- in der permanenten Individualisierung von Aktiven - eben auch in den sozialen Bewegung!
- in dem herrschenden lethargischen Grundklima, das in Verdrängungsmechanismen und Konsumorientierung als Ersatz für fehlende Lebensqualität und soziale Beziehungen deutlich wir bzw.
- letztlich im sogen. "Zeitgeist" (Engagement ist out - Privatisierung und Egoismus ist in), für den die GRÜNEN nicht verantwortlich und deren Opfer sie sind.
Sie deshalb als "unterhaltsamen Faktor" zu diffamieren, empfinde ich insbesondere für einen ehemaligen Mitarbeiter schlichtweg unerträglich, enttäuschend und bedauerlich.