Liegenschaftskonversion reloaded

von Lars Wirkus

Nun ist es also wieder so weit. Nach langen Monaten des Wartens und einem Führungswechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums haben wir seit Mitte Mai Gewissheit. Die Bundeswehrreform kommt und mit ihr die Verkleinerung und Schließung von Bundeswehrstandorten quer durch die Republik. Die von Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg a.D. begonnene Reform der Streitkräfte wird vom Neuen im Amt, Minister Thomas de Maizière, auf Grundlage des 2006 veröffentlichten Weißbuch der Bundeswehr (1) konsequent fortgeschrieben und umgesetzt. Diese Neuausrichtung und Umgestaltung der Bundeswehr fordert Opfer – von Angehörigen und Beschäftigten der Bundeswehr, aber auch von den Standortkommunen, die die Folgen der Reform durch teilweise massive Einschnitte zu spüren bekommen werden.

Getrieben von Sparzwängen der Bundesregierung, bis 2015 nicht weniger als 8,3 Mrd. Euro einsparen zu müssen, und vor dem Hintergrund sich verändernder sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen sowie einem daraus abzuleitenden veränderten Anforderungs- und Einsatzprofil der Bundeswehr, wird die Bundeswehr nach der letzten, erst sieben Jahre zurückliegenden Neuausrichtung nun also erneut neu ausgerichtet. Die Eckpunkte der Reform wurden von Minister de Maiziére am 18. Mai 2011 vorgestellt: „der zukünftige Bundeswehrumfang soll aus bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten und 55.000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen. Die Streitkräfte setzen sich aus 170.000 Berufs- und Zeitsoldatinnen und –soldaten (einschließlich Reservistinnen und Reservisten) und aus einer Anzahl von 5.000 bis zu 15.000 Freiwillig Wehrdienstleistenden zusammen.“ (2) Das heißt nichts anderes, als „Personaleinsparungen“ im Umfang von rund 20.000 Zivilbeschäftigten und rund 45.000 Soldatinnen und Soldaten.

Als Folge dieser Einsparungen, seien sie nun militärisch oder wirtschaftlich begründet, wird sich die Landschaft militärischer Standorte Deutschlands nachhaltig verändern. Und das nicht zum ersten Mal. Die meisten Bundesländer und viele Kommunen waren in den vergangenen 20 Jahren bereits – teils mehrfach – mit den Folgen des teilweise massiven Abbaus militärischer Streitkräfte konfrontiert und haben somit bereits Erfahrungen mit Standortschließungen und ihren Folgen gesammelt. Den meisten in Erinnerung sein wird noch die erst im Jahr 2004 durch Verteidigungsminister a.D. Struck initiierte und umgesetzte letzte große Reform der Bundeswehr. Sie ist im Hinblick auf die zu erwartenden Folgen auch am besten mit der aktuellen Streitkräftereform vergleichbar. Damals fielen 105 Standorte dem Rotstift zum Opfer, deren Schließungen, begleitet auch durch zahlreiche Standortverkleinerungen, zu den heute insgesamt existierenden rund 390 Bundeswehrstandorten führte. Einigen anderen wird darüber hinaus, je nach Betroffenheit, auch der Abzug amerikanischer, belgischer oder britischer Streitkräfte in den vergangenen Jahren in guter oder eben auch schlechter Erinnerung sein.

Damals wie heute waren es militärische und – vornehmlich – ökonomische Aspekte die zur Entscheidung einer Schließung oder Reduzierung führten. Damals wie heute mussten Haushaltsmittel eingespart werden. So wird auch das neue Stationierungskonzept der Bundeswehr ausschließlich eine Folge der Bewertung der militärischen Notwendigkeit und der Wirtschaftlichkeit einzelner Standorte aus Sicht der Bundeswehr und des Verteidigungsministerium sein.

Wie die zukünftige Standortelandschaft Deutschlands letztendlich genau aussehen wird, bleibt abzuwarten. Es hängt von den Bedarfsprofilen der Teilstreitkräfte (Heer, Luftwaffe und Marine) genauso ab, wie von der Beantwortung der Frage, ob zur Umsetzung des erneuerten Anforderungsprofils eher wenige Großstandorte oder aber eine größere Anzahl Standorte mittlerer Größe geeignet sind. Die Antwort wird uns Minister de Maizière geben, wenn er im Herbst die Standorte benennen und vor allem auch den Zeitplan für die Umsetzung des Stationierungskonzeptes bekannt gibt. Bis dahin heißt es, erst einmal abzuwarten. Erst dann werden wir wissen, welche Standorte der Reform zum Opfer fallen und welche Kommunen sich auf nachhaltige Veränderungen einstellen müssen.

Nicht vergessen darf man, dass auch andere Staaten, beispielhaft genannt seien hier Belgien, England und die USA, seit einigen Jahren ähnliche militärische Transformationsprozesse durchlaufen und ebenfalls dem Zwang substanzieller Einsparungen in den nationalen Verteidigungshaushalten unterliegen. Auch sie sind gezwungen, ihre Streitkräfte zu reformieren – mit spürbaren Folgen für deutsche Bundesländer und Kommunen. So sind bereits einige Bundesländer durch den Verkleinerungsprozess der amerikanischen Militärpräsenz in Deutschland betroffen. Nordrhein-Westfalen wiederum hatte gerade erst den Abzug der belgischen Streitkräfte gemeistert, als es im letzten Jahr von der vorgezogenen Abzugsentscheidung der britischen Streitkräfte überrascht wurde. Die britische Regierung plant ebenfalls frühestens im Herbst 2011 den Zeitplan für den Abzug ihrer verbliebenen Streitkräfte aus Deutschland bekannt zu geben. Bis 2020 sollen alle Standorte aufgegeben und rund 40.000 militärischen und zivilen Beschäftigten abgezogen werden. Manche Bundesländer trifft es also doppelt, und es ist derzeit nicht auszuschließen, dass auch einzelne Kommunen durch die Schließung von Standorten der Bundeswehr und Standorten ausländischer Streitkräfte doppelt betroffen sein können.

Die Erfahrungen
Im Allgemeinen erwartet bzw. befürchtet man, dass Standortschließungen mit negativen sozioökonomischen Auswirkungen verbunden sind, die sich vor allem in Arbeitsplatz- und Kaufkraftverlusten sowie geringeren Steuereinnahmen ausdrücken. Diese Annahme liefert auch eine Erklärung für die Versuche bzw. Motivation von Ministerpräsidentinnen und -präsidenten sowie Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die Schließung oder Verkleinerung ihrer bzw. ihres Standortes verhindern und an einer militärischen Nutzung festhalten zu wollen.

So versuchen nicht erst seit dem offiziellen Startschuss zur Bundeswehrreform durch Minister de Maizière am 18. Mai 2011 Ministerpräsidenten und Kommunalpolitiker sowohl im Hintergrund, als auch medienwirksam inszeniert, Einfluss auf Minister de Maizière zu nehmen und befürchtete Standortschließungen zu verhindern bzw. zumindest das Ausmaß der Reduzierung zu begrenzen. Dieses Verhalten an sich ist nichts Neues. Während jeder Standortschließungswelle ist das Reaktions- und Verhaltensmuster aller beteiligten Akteure, d.h. das des Bundes als zukünftiger Eigentümer, als auch das der betroffenen Bundesländer und Kommunen gleich geblieben. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Standortschließungen in den 1990er Jahren durch den massiven Truppenabbau der in Deutschland stationierten alliierten Streitkräfte in den westlichen Bundesländern und den vollständigen Abzug der russischen Streitkräfte aus den östlichen Bundesländern nach dem Ende des Kalten Krieges ausgelöst wurden, oder durch die Konversionswellen der früheren Bundeswehrreformen, oder aber durch die kleineren, teils nur auf wenige Bundesländer beschränkten Folgen der Reformprozesse der belgischen, britischen oder amerikanischen Streitkräfte der 2000er Jahre. 

Was aber tun, wenn in einer Kommune gerade eine Gewerbe- oder Wohnflächenplanung rechtlich verbindlich abgeschlossen wurde und plötzlich wie aus dem nichts weitere 20 ha vormals militärisch genutzte Fläche zur Verfügung stünde? Was tun, wenn der demographische Wandel bereits zu Wohnungsleerstand führt und plötzlich zusätzlich vormals militärisch genutzter Wohnraum auf den Markt gebracht werden könnte? Solche und ähnliche Fragen sind nicht allgemein zu beantworten, sondern bedürfen stets einer ausführlichen Einzelfallanalyse. Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, in denen sich jede Kommune über zusätzliche Flächen für Gewerbe- und Wohnraum gefreut hat, sind schon lange vorbei.

Nun gilt es aber nicht schwarz zu malen. Obige Ausführungen deuten an, dass Standortschließungen und die Liegenschaftskonversion, d.h. die zivile Nachnutzung vormals militärisch genutzter Liegenschaften nichts Neues ist – es ist alles schon einmal dagewesen. Das mag nun auf den ersten Blick wenig Trost für die von Standortschließung betroffenen Kommunen und die verantwortlichen Akteure sein. Dennoch gibt es keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen einerseits, dass Konversion kein Selbstläufer war und ist, andererseits aber auch, dass Standortschließungen durchaus Chancen für betroffene Kommunen bieten und zivile Nachnutzung auf militärischen Standorten erfolgreich realisiert werden kann. Es gilt die Herausorderung anzunehmen und zu versuchen, die Chancen zu nutzen, die sich aus den Veränderungen ergeben. Darüber hinaus und losgelöst von der Tatsache, dass es eine Vielzahl an Beispielen erfolgreicher Konversionsprojekte gibt, kommt eine aktuelle Studie der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2010, die sich mit den regional-ökonomischen Auswirkungen der letzten Bundeswehrreform befasst, zu der Erkenntnis, dass die „Standortveränderungen nur einen marginalen ökonomischen Effekt auf die lokalen Kommunen haben, in den3n die Standorte zu finden sind.“(3)

Die Herausforderungen, vor denen Konversionskommunen heute stehen, sind mehr oder weniger die gleichen wie in den 1990er Jahren. Um die mit der Freigabe der Militärflächen verbundenen Chancen für die Regionalentwicklung zu nutzen, müssen die staatlichen und kommunalen Stellen umfangreiche und kostenintensive Planungs- und Managementleistungen übernehmen. Dabei sind komplexe Aufgaben zu lösen, wie beispielsweise die Beseitigung von Altlasten und Kampfmitteln, die Verwertung und Anschlussnutzung, die Wertermittlung und Kaufpreisfindung sowie die Finanzierung und die Investorenakquisition.

Neue Rahmenbedingungen
Doch es gibt auch Unterschiede zu den früheren Konversionswellen. Im Wesentlichen haben sich die Rahmenbedingungen geändert, so zum Beispiel der Zeitrahmen. Die Abzugsentscheidungen werden heute durchaus früher bekannt gegeben. Die Freigabe der Fläche erfolgt somit mit einem längeren Vorlauf, der den betroffen Kommunen und Akteuren mehr Zeit zur Vorbereitung und Planung für eine zivile Nachnutzung einräumt. Zum anderen hat sich der Umfang an unterstützenden Maßnahmen, auf die die betroffenen Kommunen zurückgreifen können, geändert. Im Gegensatz zu früher gibt es derzeit keine begleitenden und umfangreich ausgestatteten Förderprogramme. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass es dieses Mal ein entsprechendes Konversionsförderprogramm des Bundes geben wird. Obwohl die Forderung danach durchaus berechtigt ist, stellt die Nachnutzung militärischer Liegenschaften, wie oben geschildert, die Betroffenen durchaus vor zahlreiche Herausforderungen. Vor allem kleinere Kommunen sind aufgrund ihrer Ressourcenausstattung unter Umständen diesen Herausforderungen nicht gewachsen und selbst dann auf Hilfe angewiesen, wenn es viele Best-Practice Beispiele gibt, an denen sie sich gut orientieren können. Auch auf der Akteursseite hat es Änderungen gegeben. Neue Akteure wurden geschaffen, wie etwa die GEBB (Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb mbH) als hundertprozentige Tochter des Bundesverteidigungsministeriums, andere, wie die BIMA (Bundesanstalt für Immobilieaufgaben des Bundes) gingen aus Verwaltungsreformen hervor. Gleich geblieben ist der Interessenskonflikt zwischen den beteiligten Akteuren, d.h. zwischen dem Bund, vertreten durch die BIMA, auf der einen Seite und dem Land (Landesregierungen, Fachministerien), den Kommunen auf der anderen Seite – die einen wollen möglichst viel Gewinn durch den Verkauf der Flächen erzielen, die anderen die Flächen, wenn überhaupt, so günstig wie möglich erwerben.

Vor dem Hintergrund veränderter, wirtschaftlich schlechterer Rahmenbedingungen (schrumpfende Bundes-, Landes- und Kommunalhaushalte) erscheint es trotz vieler positiver Erfahrungen der letzten Jahre sehr unwahrscheinlich, dass alle freigegebenen und zukünftig freizugebenden Flächen einer sinnvollen zivilen Nachnutzung zugeführt werden können – sinnvoll im Sinne einer gewerblichen, wohnlichen oder anderen kommunalen Abgaben- bzw. Einnahmen generierenden Nutzung. Im Gegensatz zu den Ansätzen der Vergangenheit, beinahe ausschließlich nach Lösungen für die einzelne betroffene Kommune und auf der ehemals militärisch genutzten Liegenschaften zu suchen, gilt es heute andere Wege zu beschreiten und offen zu sein für neue Lösungen und Ansätze: Rückbau von Flächen, also Renaturierung, Kompensation der Schließungsfolgen in der Kommune oder Region, aber nicht zwangsläufig auf der ursprünglich militärisch genutzten Fläche. 

Im Focus sollen und können nicht mehr ausschließlich individuelle standortorientierte Lösungen stehen, sondern vielmehr regionale Lösungen. Unter Umständen muss auch komplett auf eine Nachnutzung verzichtet werden und die vormals militärisch genutzte Fläche rückgebaut, d.h. renaturiert werden. Dies setzt andere Herangehensweisen und Lernprozesse bei allen beteiligten Akteuren voraus, verlangt nach einem offen und transparenten Kommunikationsprozess und einer Kooperationsbereitschaft aller beteiligten Akteure. Ebenso müssen alternative Bewertungsmethoden, Organisations- und Vermarktungsformen sowie innovative Finanzierungsmodelle gefunden und angewendet werden. Konversion militärischer Liegenschaften ist und bleibt keine alltägliche Aufgabe.

 

Anmerkungen
1) Bundesministerium für Verteidigung: Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr. Berlin, 25. Oktober 2006.

2) Bundesministerium für Verteidigung: Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr. Berlin 18.05.2011.
http://www.bmvg.de/portal/poc/bmvg?uri=ci%3Abw.bmvg.sicherheitspolitik.b...|8GXHP3370DIBR. Zugegriffen am 18.05.2011

3) Paloyo, A.R., C. Vance & M. Vorell (2010): The regional economic effects of military base realignments and closures in Germany. Ruhr Economic Papers 181, S.3 u. 12

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Lars Wirkus ist Senior Researcher am Internationales Konversionszentrum Bonn – Bonn International Center for Converson (BICC).