Atomwaffenpolitik in den USA

Lukrative Geschäfte

von Xanthe Hall

Die Erkenntnis, dass oft hinter politischen Entscheidungen Wirtschaftsinteressen stecken, ist nichts Neues. Deswegen war es schon überraschend, als Barack Obama sich vor drei Jahren zu einer atomwaffenfreien Welt bekannte. Zwar hat er eine vage Deadline für das Erreichen dieses Ziels vorgegeben – „vielleicht nicht zu meinen Lebzeiten“ – dennoch hat er es wieder in Seoul beim jüngsten Atomgipfel bestätigt. Breite Zustimmung zu seinen Bemühungen, die Welt atomwaffenfrei zu machen, gibt es in den USA allerdings nicht, sondern eher Gegenwind. Und zwar aus wirtschaftlichen Interessen.

Beispielsweise gibt es eine Gruppe von US-Senatoren aus ländlichen Regionen, wo die Interkontinentalraketen (ICBM) stationiert sind, die kräftig gegen die Vision Obamas arbeiten. Die Gruppe – sie nennt sich „ICBM Coalition“ – betreibt Lobbyarbeit, um die geplante Reduzierung der Zahl der Atomwaffen zu verhindern. Die Bundesstaaten, die diese Politiker vertreten, sind wirtschaftlich abhängig vom Atomwaffenkomplex.

Momentan gehören 450 „Minuteman III“-Raketen zum US-Atomwaffenarsenal. Diese Raketen und ihre unterstützende Infrastruktur befinden sich in Montana, North Dakota, Wyoming, Nebraska, Colorado, New Mexico und Utah. Die Modernisierung der Raketen bringt noch mehr Staaten durch folgende Firmen ins Spiel: Boeing, Lockheed Martin, Northrop Grumman, und Honeywell in Ohio, Texas, Arizona, Utah, Kalifornien, Florida, Maryland und Pennsylvania.

Die „ICBM Coalition“ hat bereits vergeblich versucht, die Reduzierung von 500 auf 450 Raketen als Ergebnis der Überarbeitung der Atomwaffenstrategie im Jahr 2006 zu verhindern. Die USA haben jetzt geschätzte 1.950 einsatzbereite strategische Atomwaffen auf 798 Raketen und Flugzeugen. Unter dem neuen START-Vertrag von 2010 müssen sie die Zahl auf 1.550 reduzieren, darin sind die ICBMs inbegriffen. Ein Bericht der Presseagentur AP über diese und mögliche weitere Kürzungen des Atomwaffenarsenals kursierte im Frühjahr 2012 und sorgte für große Aufregung. Tatsächlich erörtert die Obama-Administration die Zahl 1100 als mögliches Ziel.

Ein Brief von 34 Senatoren an Obama vom 17. Februar 2012 brachte ihre tiefe Sorge über Atomwaffenkürzungen zum Ausdruck. Fast alle unterschreibenden Senatoren sind Mitglieder im Ausschuss für die Streitkräfte, der den Verteidigungsetat beschließt. Innerhalb der letzten drei Jahre haben genau diese Entscheidungsträger fast 2 Millionen US-Dollar Spenden für ihre politischen Kampagnen von den vier größten Atomwaffenherstellern bekommen. Laut iWatch spendeten die oben gelisteten Firmen seit Anfang 2009 insgesamt ca. 11 Millionen US-Dollar für politische Kampagnen und erwarten Milliarden von Dollar Gewinn durch die Entwicklung, Instandhaltung und Modernisierung von Atomwaffen und Trägersystemen. Beispielsweise wird die Entwicklung eines neuen U-Bootes ca. 65 bis 70 Milliarden US-Dollar einbringen. Oder ein neuer Langstreckenbomber: Mindestens 55 Milliarden US-Dollar wird er in die Kassen spülen.

Rüstungsfirmen sind eine einflussreiche Lobbygruppe am Capitol Hill, weil sie auch Jobs sichern. „Money follows money“ ist die Devise für die Firmen. Im Klartext heißt das: „Wo die Regierung Geld in großen Summen ausgibt, da soll groß gespendet werden.“

Deutsche Geldinstitute finanzieren Atomwaffenhersteller
Diese klare Abmachung in den USA zwischen Politikern und Rüstungsindustrie, einander immer reicher zu machen, ist nur ein Aspekt des wirtschaftlichen Interesses an Atomwaffen. Als Geldanlage für Finanzinstitute bieten diese Firmen Toprenditen an. Die neue Studie „Don’t Bank on the Bomb“ von ICAN zeigt sehr deutlich, wie private und staatliche Gelder in Atomwaffen investiert werden. In Deutschland profitieren 11 Finanzinstitute von der Herstellung von Atomwaffen. Deutsche Bank und Allianz führen die Liste an. Die Allianz besitzt Aktien im Wert von 104,77 Millionen US-Dollar (4,45 Prozent) an Alliant Techsystem, einem US-Unternehmen, das an der Herstellung atomarer Raketen beteiligt ist. Allianz verfügt über Anleihen in Höhe von 1,26 Prozent (64,96 Millionen US-Dollar) an BAE Systems. Das britische Rüstungsunternehmen ist an der Entwicklung eines neuen Typs von atomar bewaffneten U-Booten für Großbritannien beteiligt. Die Deutsche Bank besitzt Anleihen und Aktienanteile an 13 Atomwaffenproduzenten und stellt ihnen Darlehen zur Verfügung. Auch die Commerzbank, BayernLB und DekaBank investieren kräftig in Hersteller von Atomwaffen.

Wer z.B. eine Lebensversicherung bei Allianz oder ein Sparkonto bei der Deutschen Bank oder Postbank hat, bekommt sicherlich Rendite von solchen Geldanlagen. Das heißt, dass wir – genauso wie bei unserer Energieversorgung – selbst tätig werden müssen, wenn wir den Ausstieg aus der zivilen und militärischen Atomenergie schaffen wollen. Der Profit aus der Herstellung von Atomwaffen (wie auch bei anderen Waffen) wird in den Renditentopf „gespeist“, genauso wie die Atomenergie ins Netz gespeist wird. Der einzige Weg, das zu verhindern, ist diese Investition abzulehnen. Also: Abschaffung von Atomwaffen selber machen!

Teure Modernisierungsprogramme – auch für Deutschland
Zurück zur Politik in den USA: Während die Wahl bereits alle politischen Entscheidungen praktisch unmöglich macht, fährt die Atomwaffenindustrie ungebremst weiter in der bereits festgelegten Modernisierungsspur. Trotz der Notwendigkeit massiver Einsparungen hat der Nuclear Weapons Council (zu deutsch: Atomwaffenrat) bereits im November 2011 beschlossen, das Programm zur Modernisierung der B61-Bombe anzufangen. Über die Höhe der Kosten wird noch im Abgeordnetenhaus entschieden.

Unter dem Namen „Life Extension Program“ (Programm zu Betriebszeitverlängerung) wird der Prototyp einer neuen Atomwaffe entwickelt, die die in Europa gelagerten Atombomben ersetzt; auch in Büchel, Deutschland. Bis 2017 soll die B61-12 fertig werden, weil dann die alten Bomben nicht mehr betriebsfähig sind. Das Programm ist jedoch zwei Jahre im Verzug und die Bombe wird vermutlich erst 2020 stationierungsfähig. Dieses und andere Modernisierungsprogramme des Atomwaffenarsenals und dessen Infrastruktur gehören zu einem Paket, das Obama den Republikanern im Gegenzug für die Abrüstung angeboten hat. Dadurch werden satte 88 Milliarden US-Dollar für Bomben und Raketen plus weitere 125 Milliarden für Trägersysteme über die nächsten zehn Jahre hinweg ausgegeben.

Die neue Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ startete am 26. März 2012, zwei Jahre nach einem hocherfreuliche überparteilichen Bundestagsbeschluss zu Atomwaffen und deren Abrüstung. Als erstes Ziel will die Kampagne die Modernisierung von Atomwaffen verhindern, am besten durch die Erfüllung des Beschlusses unserer Volksvertreter: Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland. Dafür machen wir Druck auf die Politik.

Am wichtigsten ist jedoch das eigene Tun. Man darf sich nicht nur auf die Politik verlassen, um die Welt zu verändern. Daher sollte jede/r von uns nachfragen, was unsere Bank oder unser Versicherer mit unserem Geld macht, und zudem fordern, dass das Geld nicht zur Herstellung von Atomwaffen verwendet wird (auch nicht für finanzielle Unterstützung von Entscheidungsträgern, die Atomwaffen befürworten). Denn wir peilen die Abschaffung aller Atomwaffen an, davor müssen wir aber die Herstellung neuer Atomwaffen stoppen.

Quellen
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Stone A: ICBM Coalition Of Rural Senators Fights Nuclear Weapons Cuts, Huffington Post http://www.huffingtonpost.com/2012/04/17/icbm-coalition-rural-senators-n...

Brief an Obama von Senatoren, 17. Februar 2012: http://armedservices.house.gov/index.cfm/press-releases?ContentRecord_id...

Mehta A, Smith R-J: Possible nuclear weapons cuts worry Republican lawmakers, iWatch News, 5. März 2012 http://www.iwatchnews.org/2012/03/05/8313/possible-nuclear-weapons-cuts-...

van Gelder, J, Spaargaren, P, Wright T: Don’t Bank on the Bomb, ICAN, März 2012 http://www.dontbankonthebomb.com/; Zusammenfassung auf deutsch: http://www.atomwaffenfrei.de/fileadmin/user_upload/pdf_Dateien/Materiali...

Schädlich S: Lukrative, aber tödliche Allianz, taz, 9. März 2012 http://www.taz.de/!89330/

Nassauer O: Atomwaffenmodernisierung in Deutschland, 29. März 2012 http://www.atomwaffenfrei.de/kampagne/problem/modernisierung/artikel/7ff...

Acheson R: Assuring Destruction Forever, Reaching Critical Will, März 2012 http://reachingcriticalwill.org/images/documents/Publications/modernizat...

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