Macht und Reichtum lassen die Nazi-Vergangenheit vertuschen und schönen

von Elke Steven

Die Journalisten Albrecht Kieser und Peter Kleinert streiten seit einigen Monaten vor deutschen Gerichten um ihr Recht auf Meinungs- und Äußerungsfreiheit. Diese beiden, wie auch der Historiker Ingo Niebel, der SPIEGEL, sowie später die FAZ und die Zeitschrift "Der Journalist" hatten über Grundstückskäufe der Verlegerfamilie Neven DuMont Ende der 30er/Anfang der 40er Jahre berichtet.

Wie so viele andere "arisch" privilegierte und mitlaufend mittuende Deutsche hätte die Familie aus diesen Käufen erheblichen, ihre persönlichen und betrieblichen Grundstücke erweiternden Nutzen gezogen, weil die nationalsozialistisch Herrschenden die deutschen Juden, bevor sie sie vollends vertrieben und ermordeten, rechtsfrei gestellt und ihrer Güter enteignet haben. Folglich hätte diese Familie, die der Sohn gerne medienwirksam als fast widerständige Eltern darzustellen sucht, "Arisierungsprofite" eingeheimst. Gegen solche Feststellungen klagte der Neven DuMont-Sohn und erhielt vor dem Landgericht Köln recht. Die beiden Journalisten gingen in Berufung und fanden auch vor dem Oberlandesgericht Köln kein Recht. Dieses Urteil vom 21.11.2006 ist ein demokratisches und grundrechtliches Ärgernis, weil es die Nazivergangenheit entsorgt, indem es glauben macht, im Unrechtsstaat sei rechtsstaatliches Handeln überhaupt möglich und die Heutigen müssten über das Ausmaß und die Wirkung des Unrechts nichts mehr wissen.

Das OLG kommt zu dem Schluss, dem "Durchschnittsadressaten" dürfe nicht der Eindruck vermittelt werden, die Familie hätte sich "unrechtmäßig" an fremdem Vermögen "bereichert". Über den Nationalsozialismus und die damals herrschenden Praktiken soll neutral informiert, die formalrechtliche Korrektheit müsse in den Mittelpunkt gestellt werden.

Zu dieser Einschätzung kommen die Richter, obwohl sie selbst zu den Grundstückkäufen feststellen: "Wohl aber dürfte davon auszugehen sein, dass weder der Marienburger Nachbar Ottenheimer (Ende 1937 ausgewandert), noch Herr Lippmann (der - nach ebenfalls entlarvendem Sprachgebrauch - sogenannten Rassenschande verdächtigt und nach dem in 1938 erfolgten Verkauf verstorben) noch die Firma Brandenstein & Rose bzw. die Eheleute Brandenstein (1929 aus Deutschland geflohen, nachdem Herr Brandenstein 1938 zunächst ins KZ gekommen war) ihre Grundstücke veräußert bzw. der Zwangsvollstreckung ausgesetzt hätten, wenn es nicht schon seit 1933 den auf ihre Verdrängung zielenden Druck auf und die dazu gehörenden tausendfältigen Machenschaften gegen die jüdische Bevölkerung gegeben hätte."

Der grundlegende Skandal des Urteils ist die Annahme, im umfassenden strukturellen Unrecht wäre rechtmäßiger Erwerb, der zu Lasten der zuvor Beraubten geht, überhaupt möglich. Ja, es könnte solcher Erwerb durch formale Verträge und notarielle Beglaubigung "rechtmäßig" gemacht und heute noch einmal rückwirkend für rechtens erklärt werden. Diesen Skandal verschärft die Unterstellung des Gerichts, von dem "Durchschnittsleser", also den heutigen Bürgern und Bürgerinnen, wie auch Richtern und Richterinnen, wären Einsichten in die Funktionsweisen des Unrechtsstaates und die nachträgliche "rechtmäßige" Transformation von Unrecht in Recht nicht zu erwarten. Des weiteren unterstellen sie, der Begriff der "Arisierung" habe "keine allgemein festgelegte Bedeutung". Da sein Verständnis abhängig sei von der "Kenntnis historischer Vorgänge", wäre es ein "ehrenrühriges Werturteil" würde er im Zusammenhang mit Profiten auf Neven DuMont angewandt.

Eine Gerichtsentscheidung also, die geschichtsblind deutsche Vergangenheit entsorgt und möglicherweise die weltweite kämpferische deutsche Gegenwart präventiv rechtfertigt.

Eine ausführlichere Erklärung zu dem Urteil von Wolf-Dieter Narr (Berlin) und Elke Steven kann nachgelesen - http://www.grundrechtekomitee.de - oder im Sekretariat in Köln - 0221-9726930 - bestellt werden. Informationen und ein zu unterzeichnender Aufruf sind zu finden bei Neue Rheinische Zeitung http://www.nrhz.de

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Hintergrund
Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.