Warum feministische Außenpolitik kein „Frauenthema“ ist

Männer zur Verantwortung ziehen

von Marian Losse
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Dass ein feministisch gerahmter Politikstil von der ersten Frau an der Spitze des Auswärtigen Amtes verfolgt wird, scheint im ersten Moment natürlich. Doch genauso, wie Frauen nicht automatisch feministisch sind, ist Feminismus nicht nur was für Frauen. Und irgendwie hätte es trotzdem absurd gewirkt, wenn sich Gabriel oder Maas feministisch genannt hätten. Aber warum eigentlich? Feministische Außenpolitik ist doch keine Klientelpolitik für Frauen und Menschen mit diversen Geschlechtsidentitäten, sondern ein lebendiger Rahmen, der zivilgesellschaftlich fortdauernd demokratisch ausgehandelt wird. Alle können und sollen mitreden.

Dabei gibt es verschiedene Interpretationen von Feminismus und Außenpolitik. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Personen aus dem aktivistischen Bereich hat mich zu den hier dargelegten Punkten geführt, warum feministische Außenpolitik eben kein „Frauenthema“ ist. Ihnen möchte ich an dieser Stelle danken.

Mit diesem Text lade ich explizit andere Männer und vom System profitierende Menschen ein, sich dem Thema auch anzunehmen. Unbedingt muss aber vermieden werden, dass unsere Stimmen in diesem Prozess erneut dominierend werden. Deswegen fängt Unterstützung in diesem Fall mit einer Selbstreflexion an.

(1) Pure Notwendigkeit: Wenn patriarchale Machtstrukturen überwunden werden sollen, müssen auch und insbesondere Männer diese überwinden. Wir müssen zuallererst bei uns selbst und dann in unserem Umfeld unsere Sozialisation hinterfragen, die dazu führt, dass die immergleichen Kriege geführt werden, die immergleichen Strukturen aufgebaut werden. Feminismus findet nicht nur in der Politik statt, sondern auch in unseren ganz privaten Köpfen. Denn ein einfaches Umdrehen der Machtverhältnisse ist nicht das Ziel, sondern deren Abbau.

Auch wenn eine Idee von feministischen Theorien und Erfahrungen inspiriert ist, darf die Arbeit dahinter nicht nur an Frauen und Menschen mit diversen Geschlechtsidentitäten hängenbleiben. Es sind auch insbesondere Männer zur Verantwortung zu ziehen, die an der Macht festhalten.

(2) Frieden und Sicherheit: Feministische Außenpolitik geht davon aus, dass Frauen und andere marginalisierte Gruppen oft die Hauptlast von Konflikten tragen. Indem der Beteiligung dieser an Friedensprozessen Priorität eingeräumt wird, werden dauerhaftere Lösungen geschaffen. Je mehr Gruppen einer Gesellschaft mitwirken, umso mehr Chancen haben die Prozesse, gerecht und langfristig erfolgreich zu sein.

Ein zentraler Punkt von feministischen Denkerinnen ist es, die Gleichsetzung von Macht und Gewalt aufzulösen. Wenn wir es schaffen, eine Art der Diplomatie zu etablieren, in der nicht diejenige Partei bestimmt und dominiert, die am meisten Gewalt ausüben könnte, würden mehr Stimmen gehört und mehr Lösungsansätze bedacht. Interessenskonflikte könnten ohne patriarchale Hierarchien anders ausgehandelt werden.

(3) Neue Normen: Feministische Außenpolitik zielt darauf ab, Geschlechterstereotypen abzubauen. Diese beschränken sich nicht nur auf Frauen. Auch Männer sind von starren Geschlechternormen betroffen: Wir sollen dominant, emotionslos und aggressiv sein. So wie wir diese Art von Männlichkeit ablehnen und uns für ein umfassenderes Verständnis davon einsetzen, was es bedeutet, männlich zu sein, können wir uns auch dafür einsetzen, umzudeuten, was es bedeutet, ein*e gut*e Politiker*in zu sein. Mit einer feministischen Außenpolitik stellen wir Rollenbilder in Frage und schaffen Raum für alle, sich in einer Diplomatie zu engagieren, die über die traditionellen patriarchalen Normen hinausgeht und ein ganzheitlicheres Verständnis von globalen Herausforderungen fördert. Vielleicht gibt es dann weniger „basta“, weniger Nationalismus und mehr Empathie und Unterstützung. Und zwar nicht nur, weil mehr Frauen Politikerinnen sind, sondern auch weil Männer sich anders verhalten dürfen.

(4) Vielfalt & Repräsentation: Wenn feministische Außenpolitik tatsächlich dazu beitragen wird, Hierarchien aufzubrechen und näher an benachteiligten und bislang vergessenen Menschen zu entscheiden, werden davon nicht nur Frauen und Menschen mit diversen Geschlechtsidentitäten profitieren. Es gibt viele Arten der Unsichtbarmachung, die durch Feminismen aufgedeckt werden. Sie beinhalten neben Sexismus auch Rassismus, Klassismus, Ableismus und weitere Diskriminierungen.

(5) Männliche Blindheit: Unsere internationale Politik ist, wie auch Unfall-Dummies, zugeschnitten auf die Bedürfnisse eines ganz bestimmten Typ Menschen. Diese sind sicher und profitieren vom aktuellen System. Sie machen Karriere, bekommen Subventionen, werden berühmt, entscheiden. Für alle anderen ist das System nicht sicher. Sie fallen aus den Sicherheitsgurten, werden beim Unfall mehr verletzt und die Steuermechanik ist nicht an ihre Körper angepasst. Das System ist jedoch erst dann menschlich, wenn es alle mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen berücksichtigt. Diese Bedürfnisse haben wir Männer meistens nicht gelernt zu sehen, wir können und sollten daher nicht für andere entscheiden.

Es ist zwar nicht exklusiv feministisch, den Fokus auf einzelne Menschen mit deren Machtpositionierung und Bedürfnisse zu richten, doch sind feministische Strömungen gerade gute Korrektive für diesen humanistischen Gedanken, der in seiner Geschichte schon viel zu oft viele Menschen vergessen hat.

(6) Nachhaltigkeit: Wenn Männer akzeptieren würden, dass Care-Arbeit auch ihre Aufgabe ist, könnte das im besten Fall positive Auswirkungen auf unseren Umgang mit der Umwelt und dem Weltklima haben. Das Klima und die Umwelt zu schützen, darf nicht länger eine weiblich konnotierte, abgewertete Arbeit sein, denn wir müssen uns alle um zukünftige Generationen und das Wohl der Erde kümmern.

Die Notwendigkeit einer feministischen statt einer „normalen“ humanistischen Außenpolitik ergibt sich für mich daraus, dass eben jene über 400 Jahre alte Philosophie zwar viel Konkretes erreicht hat, und doch immer wieder das Gros der Menschheit und Mitwelt ausgeblendet oder vergessen hat. Humanismus und Feminismus schließen sich nicht aus. Doch wir brauchen jetzt starken Feminismus, der weiter geht als langsame Veränderung im Interesse der bereits Herrschenden. Mich hat überzeugt, dass feministische Außenpolitik das versucht zu erreichen, was die humanistische Politik bisher nicht konnte oder wollte. Und weil es dabei eben nicht „nur“ um Frauen geht, sondern den Abbau von Herrschaft und Ungerechtigkeit, angefangen und mit besonderem Fokus auf Menschen, die unter allen anderen Ansätzen immer weiter marginalisiert wurden, ist es eben auch kein „Frauenthema“. Wenn wir Männer jetzt einmal kurz aushalten, dass es ein einziges Mal nicht mehr vordergründig um unsere Bedürfnisse geht, müssen wir diesen Ansatz unterstützen. Es wäre aber fatal zu glauben, dass er auf unsere Gnade angewiesen wäre.

Der Aufruf, feministisch zu sein, ist für mich die Aufgabe, die Normalität zu hinterfragen und den Menschen zuzuhören, für die diese Welt nicht normal ist. Für uns alle ist sie das in manchen Momenten mehr, in manchen weniger. Für uns alle ist feministische Politik relevant.

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Marian Losse studiert Friedens- & Konfliktforschung in Marburg und versucht klimagerechtigkeits- und antimilitaristischem Aktivismus durch feministische Ideen zu verbinden.