Aggressionsforschung

Männliche Aggressivität die Ursache von Kriegen?

von Matthias Jochheim
Münchhausen
Münchhausen
(c) Netzwerk Friedenskooperative

„Homo hominem lupus – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“ -, also ein räuberisches, bis zur Mordlust an seinen Artgenossen aggressives Wesen, dessen ungebremste Gewaltbereitschaft, insbesondere beim männlichen Geschlecht, nur durch strenge Regelungen unter Kontrolle gehalten werden kann, und sich doch immer wieder in tödlichen Konfrontationen bis hin zu Kriegen Bahn bricht.

Oder sind es gewaltbereite Machteliten, die auf Krieg als Instrument der Macht-Sicherung und –Erweiterung setzen. Sie nutzen gern die biologistischen Thesen des prominenten Verhaltensforschers Konrad Lorenz (1) nach dem 2.Weltkrieg zur Legitimation ihrer eigenen Gewaltpolitik. Dies enthebt sie von der Notwendigkeit, nach den gesellschaftlichen Ursachen der militärischen Megakatastrophen des 20.Jahrhunderts zu suchen.

Schon unser täglicher Sprachgebrauch liefert uns Hinweise, dass Kriege nicht aus der biologischen Grundausstattung der menschlichen Spezies entspringen. Kaum jemand wird bestreiten, dass kriegerische Gewalt „unmenschlich“ ist, d.h. den inhärenten Bildern und Vorstellungen psychisch halbwegs gesunder Menschen von wünschenswerter Form des Zusammenlebens massiv widerspricht.

Denn der Homo sapiens, auch in der männlichen Variante, ist von seiner ganzen Lebensweise her ein soziales Wesen, welches auf die Akzeptanz durch seine Mitmenschen physisch wie psychisch vital angewiesen ist – auf die gelingende Kommunikation und Kooperation, auf das wechselseitige Verständnis, bis hin zum Erleben von Zuneigung und Liebe – all dies sind Erfahrungen, die gerade für die gesunde Entwicklung von Kindern auf ihrem Weg zum erwachsenen Dasein unentbehrlich sind. Erleben und aktive Gestaltung solcher Beziehungsstrukturen sind bis in die genetische und hormonelle Biologie des Menschen (und auch vieler Tierarten) hinein durch „Glückshormone“ wie das Dopamin, das Oxytocin und die Endorphine verankert. Ihre Ausschüttung wird durch spezifische emotionale Erfahrungen induziert und ausgelöst, und zwar in dem Maße, wie die entsprechenden Gene durch die liebevollen, positiven kindlichen Beziehungserfahrungen aktiviert werden.

Wesentlich für die Menschen als soziale Wesen sind auch die im menschlichen Nervensystem angelegten „Spiegelneurone“, welche das Einfühlungsvermögen bis hin zum intensiven Schmerzerleben ermöglichen – eine wesentliche Eigenschaft der biologischen Ausstattung unserer Spezies. (2) Trotzdem ist die Geschichte von Gewalt geprägt.

Die berühmten Milgram-Experimente haben gezeigt, dass sehr viele Menschen unter sozialem Druck bereit sind, elementare menschliche Fähigkeiten wie das Mitgefühl abzuschalten, um den Anordnungen einer machtvollen Instanz Folge zu leisten, selbst wenn grausame Misshandlung verlangt wird. Spannend bei diesem Experiment war aber auch das Ergebnis, dass keiner der Probanden die (vorgetäuschte) Folterung durchführte, wenn er widersprüchliche Anordnungen zweier Autoritätspersonen empfing. Die Friedensbewegung spielt seit vielen Jahren mit Erfolg diese zweite Person.

Aggressive Regungen bis hin zu Gewaltimpulsen werden insbesondere durch Situationen der objektiven oder subjektiven Bedrohung freigesetzt; dann kann auch die natürliche Tötungshemmung aufgehoben werden. Deshalb die regelmäßig auftauchenden Gräuelmärchen und die Ausmalung von Feindbildern vor Angriffskriegen, so z. B. vom vorgetäuschten polnischen Angriff auf den Sender Gleiwitz über den angeblichen nordvietnamesischen Angriff auf US-Kriegsschiffe im Golf von Tonking und über die Tötung kuweitischer Babys in ihren Brutkästen durch irakische Soldaten. Durchaus erfolgreich wird mit solchen Manipulationen die Hemmschwelle gegenüber kriegerischer Gewalt abgesenkt. Die Reaktionen auf zu Gewaltreaktionen stimulierende Meldungen sind allerdings bei Männern und Frauen unterschiedlich: Bei beiden Geschlechtern sinkt die Anteilnahme für die vorgeblichen Täter, während aber bei Frauen im statistischen Schnitt dennoch kein Bedürfnis nach gewaltsamer Reaktion resultiert, lassen sich die Männer leichter zum Wunsch nach Vergeltung animieren.

Die neuroendokrinologischen Gegebenheiten bei skrupellosen Vertretern der Machteliten selber bedürfen noch einer gesonderten Untersuchung – Henry Kissinger, ein Vertreter dieser Spezies, hat einmal gesagt: „Macht ist ein mächtiges Aphrodisiakum“, also eine luststeigernde Droge, die humane Hemmschwellen offenbar leichter niederreißen lässt.

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – in dieser Allgemeinheit ist die Aussage falsch, und dient in ihrer Erkenntnisfeindlichkeit der Legitimation von unmenschlicher Gewalt der Herrschenden in ihrem Macht- und Bereicherungsinteresse. Sie soll die Schuld an Kriegen der Aggressivität der Bevölkerung aufbürden und die Herrschenden als die wirklich Verantwortlichen entlasten. Der Kampf gegen verführerische Feindbilder ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der Friedensbewegung. 

 

Anmerkungen

1 Konrad Lorenz (1963) Das sogenannte Böse

2 Joachim Bauer (2006) Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hamburg

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Matthias Jochheim ist ist Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut und wirkt im AK Süd / Nord der IPPNW mit.