MAKEDONIEN -Abschiebungen in ein Pulverfass

von Bernhard Erkelenz

"Eine politische Verfolgung von Roma findet in Makedonien nicht statt", so lautet die generelle Haltung der deutschen Behörden.

 

So lautete auch die Begründung für die Ablehnung des Asylantrags für Redzep M., dem man hier nicht geglaubt  hatte, daß er wegen eines Streiks zu sechs Monaten Haft verurteilt worden war. Wenig später, nachdem er und seine Familie gewaltsam aus dem Kirchenasyl in Münster geholt und nach Skopje abgeschoben worden waren, wird er am Flughafen verhaftet, seine Haftstrafe soll nun auf drei Jahre erhöht werden.

Herr M. ist kein Einzelfall. Das "Reinte­grationsprogramm" der NRW-Landesregierung im Ghetto Sutka bei Skopje hat den Roma zwar nicht die verspro­chene Lebensperspektive gebracht, es hat aber die Legitimation für hunderte weiterer Abschiebungen aus NRW und anderen Bundesländern geschaffen.

Doch tatsächlich wird in ein Land abge­schoben, in dem Verfolgung von Roma vielerorts Alltag ist und das durch Na­tionalitätenkonflikte und drohendem Kriegsausbruch gezeichnet ist.

In den meisten Provinzen 'Makedoniens herrscht ein brutaler Nationalismus von Makedoniern und Albanern, dem die muslimischen Roma als Volksgruppe ohne Territorium zum Opfer fällt.

Die nationalistische VMRO ist stärkste Partei Im Parlament und kontrolliert die Politik in vielen Provinzen insbesondere Ostmakedoniens. Ihr Vorsitzender Ge­orgievski forderte in einer Parlaments­debatte öffentlich, man solle das "Roma-Problern lösen, indem man alle Roma an die Kriegsfront schickt".

Beispiel Stip: In einer Juli-Nacht 1992 verbrannten VMRO-Aktivisten die Wohnungen von 17 Roma-Familien, die Täter bleiben bis heute ohne Anklage. Den Opfern verweigert die Gemeinde jede Hilfe beim Wiederaufbau der Häuser.

Die alte Moschee, Hauptgebetshaus der   Moslems aus Stip und Treffpunkt für viele Roma,   wurde   über Nacht be­schlagnahmt und der Eingang zugemau­ert. Den Gläubigen wurde verboten, das Gelände zu betreten. Als der Gemeindevorstand protestierte, entließ die Verwaltung als Antwort kurzerhand sechs Vorstandsmitglieder aus Staatfabriken, in denen sie arbeiteten. Das Gebäude soll auf Kosten der Stadt restauriert und dann der orthodoxen Kirche übergeben werden.

Roma-Gewerkschafter werden zu lan­gen Haftstrafen. verurteilt, weil sie sich gegen die Entlassungen, Benachteili­gung und Diskriminierung ihrer Leute engagieren.

Roma, die in deutschen Medien für ein Bleiberecht oder gegen die Politik Makedoniens eingetreten sind, erwartet bei ihrer Rückkehr Verfolgung durch die Behörden, ihre Familien in Makedonien (konkret auch in Titov Veles). werden geschlagen, gefoltert oder ihnen wird die wirtschaftliche Existenz entzogen.

In Bitola zeigt sich die Absicht der Na­tionalisten besonders offen: dort werden alle makedonienfremden Symbole sowie der Gebrauch der albanischen, türkischen, griechischen und Roma-Sprache im Alltag  verboten, der Stadtrat beab­sichtigt, die Freitagsgebete der Moslems zu verbieten und die Moscheen in Mu­seen umzuwandeln.

Die Moslems, vor allem Roma und Tür­ken werden von der aggressiven Politik makedonischer und z.T. albanischer Nationalisten zerrieben, und diese Kräfte erhalten immer mehr Auftrieb, solange der nicht anerkannte Staat im­mer tiefer ins wirtschaftliche und politi­sche Chaos stürzt. "Manchmal", so ein Rom aus Titov Veles, "wünsche ich, die Serben würden hier einmarschieren. Schlimmer kann es unter Milosevic nicht werden!"

Der Vielvölkerstaat Makedonien steht kurz vor einem Krieg, der nicht nur im Inneren stattfinden wird.

Die Tschetniks erklären das Serbentum im Norden des Zwergstaates für gefährdet und wollen (wie in Bosnien) eine autonome Region der Serben ein­richten. Die serbische Armee ist im Ko­sovo, nur 20 km von der Hauptstadt Skopje entfernt stationiert, des Öfteren kommt es zu Grenzkonflikten oder Übergriffen der Tschetniks.

In Griechenland, wo man bisher immer nur vehement gegen die Anerkennung Makedoniens gekämpft hat, spricht man heute schon offen über die Annektion. In Manövern wird der Krieg im make­donischen Bergland simuliert, immer häufiger dringen griechische Tiefflieger in makedonischen Luftraum ein.

Die VMRO, größte makedonische   Par­tei, strebt hingegen selbst die Wiedererrichtung "Großmakedoniens" an, ein­schließlich Nordgriechenlands und Westbulgariens,

Bei einem serbischen Angriff im Kosovo würden die Albaner aus Make­donien (ca. 30% der Bevölkerung) ihren Landsleuten im Kosovo zu Hilfe kom­men, was für Serbien der endgültige Vorwand für einen Einmarsch wäre. Dies würde wiederum die Türkei, die sich zur Schutzmacht der jugoslawi­schen Moslems erklärt hat, zu militärischem Eingreifen zwingen. Ein Ab­kommen mit Bulgarien, das einen unge­hinderten Durchzug türkischer Truppen nach Serbien und Makedonien sichert, ist bereits unterzeichnet.

Die Albaner wollen ihrerseits eine (möglichst ethnisch reine) autonome Republik in Westmakedonien und lang­fristig einen Anschluß an Albanien, die makedonischen Politiker keinesfalls hinnehmen wollen. Eine von Sicherheitskräften provozierte Schießerei in Skopje dauerte einen Tag und eine Nacht an. Die Bilanz kurz vor Weih­nachten: acht Tote, dreißig Schwerver­letzte, eine zerschossene Altstadt und seitdem ein unüberwindlicher Haß zwi­schen den Nationalitäten.

Der UNO-Sicherheitsrat beschloss am 11. Dez. 1992 zum ersten Mal in seiner Geschichte die Vorab-Stationierung ei­ner 700 Mann starken UN-Truppe, die jedoch nach Einschätzung ihres Kom­mandanten einem serbischen Angriff nur tatenlos zusehen könnte.

So rät denn auch der UN-Flüchtlings­kommissar derzeit von Abschiebungen   nach Makedonien ab. Doch das wird insbesondere von Deutschland ignoriert.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt