Medien als Weichensteller zum Krieg

von Heinz Loquai

Dem folgenden Text liegt ein Referat zugrunde, das Heinz Loquai Anfang Juli während der Sommerakademie auf Burg Schlaining (Österreich) gehalten hat.

(...)

"Weichensteller"
Im Medienzeitalter ist der Medienkrieg ein integraler Bestandteil der Gesamtkriegsführung. Medien transportieren Inhalte, sie werden schon dadurch in gewissem Maße zu einem Sprachrohr von Regierungen. Doch Medien können auch vorgegebene Inhalte verändern und eigene Inhalte schaffen. Medien können sich für den Krieg vereinnahmen lassen, sich aber auch als "vierte Gewalt" begreifen, Regierungen kritisieren, sich zum Anwalt einer wahrheitsgerechten und fairen Berichterstattung machen. Die Erfahrung zeigt, dass der Großteil der Medien gerade dann, wenn ihre Rolle als vierte Gewalt besonderes wichtig wäre, diese Rolle nicht ausfüllen. Sie werden zu Weichenstellern für den Krieg und während des Krieges geradezu zu einer Teilstreitkraft im Rahmen der Gesamtkriegführung. (...)

Der Krieg gegen den Irak 1991
Die Brutkastenstory
Die "Schlacht der Lügen" vor dem Irakkrieg 1991 wurde von John Mac Arthur, einem amerikanischen Journalisten, umfassend und detailgenau dargestellt. Die amerikanische Öffentlichkeit, der Kongress und die Vereinten Nationen wurden in dieser Schlacht vor dem Krieg zielgerichtet attackiert. Dabei spielten private Public Relations Firmen im Dienste der amerikanischen Regierung eine entscheidende Rolle. Am bekanntesten ist wohl die "Operation kuwaitische Krankenschwester": Vor dem amerikanischen Kongress und dem VN-Sicherheitsrat berichtet eine junge Frau, angeblich eine Krankenschwester aus Kuwait, mit tränenerstickter Stimme, wie irakische Soldaten Neugeborene vor ihren Augen aus den Brutkästen eines Kinderkrankenhauses gerissen haben. Dieser authentische Bericht verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Später stellt sich heraus, dass die junge Krankenschwester die vierzehnjährige Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war. Sie war natürlich zu keiner Zeit Krankenschwester. Die Empörung über die Propaganda zur Täuschung von gewählten Volksvertretern war nur begrenzt. Der Vorfall ging als ein Beispiel für gelungene Manipulation in die Annalen ein.

Die Hitlerisierung Saddam Husseins
In deutschen und internationalen Medien häuften sich vor dem ersten Irak-Krieg die Gleichsetzungen von Saddam Hussein mit Stalin und vor allem mit Hitler. Der eigentliche Auslöser für die Hitlerisierung Saddams war ein Artikel in der New York Times am 5. April 1990. Präsident Bush griff den Vergleich Saddams mit Hitler mehrfach auf und behauptete sogar, die irakischen Truppen hätten in Kuwait "ungeheuerliche Akte der Barbarei" begangen, "die nicht einmal Adolf Hitler begangen hat." In der Zeit bis zum Kriegsbeginn haben US-amerikanische Printmedien insgesamt 1170mal Saddam mit Hitler verglichen.

Die Botschaft an die amerikanische Öffentlichkeit war klar: Es ging, wie im Kampf gegen Hitler-Deutschland um das Überleben der westlichen Zivilisation. Dies verlangte eine erneute Mobilisierung der alliierten Streitkräfte wie im Zweiten Weltkrieg. Nachdem sich das Hitler-Bild festgesetzt hatte, war es nicht schwer, diejenigen, die sich für eine Vermeidung eines Krieges einsetzten, als Appeasement-Politiker zu denunzieren und moralisch abzuqualifizieren. (...)

Die beiden linken Publizisten Wolf Biermann und Hans Magnus Enzensberger hatten das zweifelhafte Verdienst, die Hitlerisierung Saddams in intellektuellen Kreisen salonfähig zu machen. Biermanns rhetorische Frage "Soll man einen Hitler machen lassen um des Friedens willen?" und Enzensbergers Charakterisierung Saddams als "Wiedergänger Hitlers" weisen in die gleiche Richtung: Dem Ungeheuer muss durch Krieg ein Ende bereitet werden. (...)

Die Bundesregierung unter Medienschelte
Die deutsche Bundesregierung hatte sich 1991 nicht mit deutschen Truppen am Golfkrieg beteiligt. Damals galt noch eine politische Interpretation des Grundgesetzes, dass es verfassungswidrig sei, deutsche Soldaten außerhalb des NATO-Vertragsgebietes in bewaffneten Operationen einzusetzen. Zum Schutz des NATO-Partners Türkei wurden allerdings deutsche Kampfflugzeuge und Flugabwehr-Raketen dort stationiert. Außerdem zahlte Deutschland mit 17 Milliarden DM den USA einen unverschämt hohen Beitrag zu deren Kriegskosten.

Doch in nahezu der gesamten deutschen Presse kam es zu einer Kritik an der Bundesregierung wegen ihrer Zurückhaltung bei einer direkten Beteiligung an diesem Krieg. Öffentlich-rechtliche TV-Medien haben sich eher kritisch mit dem Golfkrieg auseinandergesetzt. Doch in den meisten Printmedien, allen voran die FAZ, wurde die Bundesregierung wegen ihrer vermeintlich zauderhaften Haltung, wegen politischer Verantwortungslosigkeit, Lethargie, ihrem Abtauchen kritisiert.

Auffallend ist es, "dass zu diesem Zeitpunkt ein Großteil der intellektuellen und journalistischen Elite die Meinung übernommen hat, Deutschland müsse künftig auch militärisch größere Verantwortung tragen, eine Haltung, die ein Großteil der Deutschen nicht vorbehaltlos teilt, ..." Offenbar wurde zu dieser Zeit eine Entwicklung in Gang gesetzt, die schließlich dazu führt, den Krieg als normales Mittel der Politik zu sehen. Doch bemerkenswert ist auch, dass die große Mehrheit der Bevölkerung schon damals gegen eine deutsche Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak war. In der folgenden Zeit übernahmen es nun Medien, beinahe im Gleichschritt mit der Regierung, die so genannten "Enttabuisierung des Militärischen" (Schröder) in Deutschland herbeizuführen und den Krieg als Mittel der Politik zu revitalisieren. Die rot-grüne Regierung erntete dafür auch bei den Leitmedien großes Lob. Joffe meint z. B. Schröder und Fischer sei "der Ausbruch aus dem Ghetto außenpolitischer Verantwortungslosigkeit" gelungen.

Der Kosovo-Konflikt und die medialen Weichenstellungen zum Krieg gegen Jugoslawien
Massaker und Flüchtlingszahlen waren die medialen Katalysatoren für die Weichenstellungen in den politischen Entscheidungsprozessen zum Krieg gegen Jugoslawien. Sie heizten die politische und militärische Eskalation an. Ich möchte die Berichterstattung der Medien und ihre Rolle als Weichensteller zum Krieg an zwei Beispielen darstellen.

Das "Massaker von Racak"
Am 16. Januar 1999 machten internationale Beobachter eine grauenvolle Entdeckung. Sie fanden in dem Dorf Racak, im zentralen Kosovo, 40 erschossene Kosovo-Albaner in Zivilkleidung. Politiker und Journalisten waren sich schnell einig, ein serbisches Massaker an albanischen Zivilisten. Die Instrumentalisierung des "Massakers von Racak" war wohl eine der entscheidendsten Weichenstellungen zum Krieg gegen Jugoslawien.

Faktum ist: Bis heute ist der Hergang dieser Bluttat noch nicht abschließend aufgeklärt, obwohl internationale Gerichtsmediziner die Opfer untersucht haben. "Racak" ist eines der Kriegsverbrechen, die im Prozess gegen Milosevic vor dem Haager Tribunal behandelt werden.

Die Art, wie als seriös geltende deutschsprachige Tageszeitungen über das "Massaker von Racak" berichteten, wirft ein Licht auf die Vorkriegsberichterstattung und ihre Funktion als Wegbereiter zum Krieg. (...)

Es reichte offenbar nicht, über den Tod von 40 Menschen zu berichten. Sondern die medialen Ausschmückungen der Art des Todes und die Verstümmelungen an den Toten sollten wohl die besondere Bestialität der Mörder demonstrieren. Der Balkan-Korrespondent der FAZ, Matthias Rüb, erweckte durch die Art einer geradezu besessenen Detailschilderung den Eindruck, als sei er unmittelbarer Zeuge gewesen. Seine Berichte kamen aus Budapest! (...)

Die Diffamierung und Abwertung der OSZE
Die OSZE hatte im Oktober 1998 die Überwachung eines zwischen dem amerikanischen Diplomaten Holbrooke und dem jugoslawischen Präsidenten Milosevic ausgehandelten Abkommens übernommen. Unmittelbar nach Racak setzte in den Medien eine Abwertung und Diffamierung der OSZE und ihrer Aufgabe in Kosovo ein. (...)

Aus dem angeblichen Scheitern der OSZE, wird der Ruf nach einem militärischen Eingreifen durch die NATO laut. Das Bündnis werde von den Serben als "Papiertiger" verhöhnt (FAZ, 20.1.1999) und sein internationales Ansehen nehme allmählich Schaden (FAZ, 21.1.1999). Die NZZ spricht es klar aus: "Eine Lösung könnte nur ein Krieg gegen Milosevic bringen ... Gerecht wäre ein Krieg gegen Milosevics menschenverachtendes Regime, weil die Verbrechen gegen Menschenrechte nur zu zähmen sind, wenn ihr Urheber von der Macht verjagt ist." (20.1.1999).

Die Medien bauen einen Handlungszwang für die Politik in mehrfacher Weise auf: Die journalistische Ausschmückung eines Verbrechens, die Bestialisierung von Tätern, das Versagen nichtmilitärischer Konfliktlösung und die Diffamierung der dafür stehenden Organisation, die Konstruktion einer "Keine-Alternative-Situation" zur militärischen Intervention, zum Krieg.

Die jugoslawische "Großoffensive"
Zur Rechtfertigung des Krieges gegen Jugoslawien behaupteten deutsche Politiker, schon Mitte März 1999 hätten jugoslawische Truppen eine Großoffensive im Kosovo begonnen. Auch die Medien berichteten einige Tage vor Beginn des Krieges darüber. Hierzu die Schlagzeilen: "Serbische Großoffensive im Kosovo" (Die Welt vom 23.3.1999), "Serben auf dem Vormarsch" (FAZ vom 23.3.1999), "Eine neue grausame Runde von Kämpfen und Vertreibungen ist nach der Pariser Konferenz in Gang gekommen" (SZ vom 22.3.1999), "Serben starten neue Offensive im Kosovo" (FR vom 22.3.1999), "die Serben rücken mit 40.000 Soldaten und schweren Waffen ein" (Die Welt vom 22.3.1999). Die Presse behauptet am 22.3.1999, eine "serbische Großoffensive" habe begonnen, von "Massenhinrichtungen" ist die Rede. (...)

Welche Lage herrschte nun tatsächlich wenige Tage vor Kriegsbeginn in Kosovo? Die OSZE, die mit ca. 1400 internationalen Beobachtern vor Ort in der Provinz war, fasste ihre Erkenntnisse für den 17. und 18. März 1999 wie folgt zusammengefasst: Die Lage ist über die ganze Provinz hinweg angspannt aber ruhig. Von einer jugoslawischen Großoffensive hatten offenbar auch die Nachrichtenexperten des deutschen Verteidigungsministeriums nichts bemerkt. Am 22. März, also zwei Tage vor Beginn des Luftkrieges gegen Jugoslawien, stellen die Nachrichtenexperten u.a. fest:
 

 
      Entgegen Medienberichten sei derzeit weiterhin keine Großoffensive jugoslawischer Sicherheitskräfte in Kosovo erkennbar.
 
 
      Die Sicherheitskräfte versuchten, örtlich begrenzt die Kräfte der albanischen Guerillakräfte zurückzudrängen. Der Kräfteeinsatz für diese Operationen sei gegenüber der Vorwoche "weitgehend unverändert."
 
 
      Die Auseinandersetzungen überschritten nicht "das bisher erkannte Maß an Gewalt."
 
 
      "Erneute Hinweise auf Zuführungen kampfkräftiger Verstärkungen können derzeit noch nicht bestätigt werden."
 
 
    Humanitäre Katastrophe und Völkermord
Die deutsche Politik hat den Krieg gegen Jugoslawien damit gerechtfertigt, die NATO habe gegen einen an den Kosovo-Albanern sich vollziehenden Völkermord bzw. eine humanitäre Katastrophe eingreifen müssen. Die meisten Medien transportierten bzw. verstärkten diese Botschaft. Sie hat sich heute verfestigt.(...)

Faktum ist, dass in keinem der Berichte der OSZE oder der Experten des militärischen Nachrichtenwesens von einer derartigen Situation die Rede ist. Noch am 22. März 1999, d. h. zwei Tage vor Kriegsbeginn heißt es in einer Lageanalyse des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr:

"Tendenzen zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen." Drei Tage vorher hatte das Auswärtige Amt festgestellt: "Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen."

Eine finale Dynamik zum Krieg
"Korpsgeist und Denkverbot" titelt Professor Prümm, Medienwissenschaftler an der Universität Marburg, seinen Beitrag bei den 33. Mainzer Tagen der Fernsehkritik zur Rolle des deutschen Fernsehens im Kosovo-Krieg. Und er stellt fest: "In der Zeitspanne vom Scheitern der Rambouillet-Verhandlungen bis zum Beginn der Bombenangriffe erreichte die Anpassungsbereitschaft an eine Kriegspolitik ihren Höhepunkt ... Nachrichten und Sondersendungen suggerierten ... eine finale Dynamik, eine Unausweichlichkeit des Luftkriegs. ... Das Fernsehen wurde in den ersten Tagen zu einem Verlautbarungsorgan von Politik und Militär."

Auch deutsche Tageszeitungen machten sich zu Planierraupen für den Weg in den Luftkrieg gegen Jugoslawien.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass führende deutsche Tageszeitungen gewalttätige Auseinandersetzungen und ihre Folgen dramatisierten. Der Umfang von Kampfhandlungen, die Flüchtlingszahlen, das Ausmaß von Operationen der Sicherheitskräfte wurde z.T. maßlos übertrieben. Serbische Gewalttätigkeiten wurden aufmerksam registriert, nicht selten überzeichnet, die der Kosovo-Albaner oft ignoriert. In ihrer Berichterstattung über Racak transportierten Medien nicht nur die teilweise unrichtigen Vorgaben aus der OSZE, sondern sie erzeugten selbst fiktive Tatbestände, die geeignet waren, ein emotionales Feindbild zu schaffen bzw. ein bereits vorhandenes emotional zu festigen. Medien wurden zu Weichenstellern für den Krieg, indem sie "Zwangsläufigkeiten" konstruierten und den politischen Handlungsspielraum auf die Option Krieg einschränkten. Sie erzeugten in der Bevölkerung ein Gefühl der Zerrissenheit und Ohnmacht gegenüber den geradezu zwangsläufigen Entwicklungen. Es fällt auf, dass sich die untersuchten Tageszeitungen in ihrer Berichterstattung zum Kosovo-Konflikt sehr ähnlich sind, obwohl sie sich im allgemeinen politischen Spektrum unterschiedlich positionieren. (...)

Propaganda im Krieg gegen den weltweiten Terrorismus und für einen Krieg gegen den Irak
Meine Ausführungen zu diesem Teil sind skizzenhafte persönliche Eindrücke und nicht Ergebnis einer systematischen Untersuchung. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis sich der Pulverdampf gelegt hat und mit etwas mehr Klarheit wieder die Rolle der Medien erkennbar wird. (...)

Die Bush-Regierung hatte für den zweiten Krieg gegen den Irak ein neues Konzept für den Umgang mit Journalisten entwickelt. Sie nennt es "Einbettung". Journalisten sollen danach in amerikanische Truppenteile integriert werden, denen sie ständig zugeordnet sind. Sie sitzen dann zwar nicht mehr wie 1991 in einem großen Wüstenzelt und erleben den Krieg per Video. Doch ob Journalisten, die sozusagen in die Truppe integriert sind, kritisch und wahrheitsgerecht berichten, muss eine systematische Auswertung der bisher gemachten Erfahrungen zeigen. Das Wort eingebettet ("embedded") "hat angesichts der langen Geschichte der Prostitutionsmetaphorik in den Beschimpfungen von Journalisten einen recht eindeutigen Beigeschmack." (...)

Die amerikanischen Medien warteten ungeduldig auf den Krieg gegen den Irak. "Nicht nur der militärische Truppenaufmarsch am Golf ist so gut wie abgeschlossen, auch die amerikanischen Fernsehsender haben Gefechtsposition bezogen und warten auf den Befehl zum Krieg." Die Fernsehsender haben zig Millionen Dollar in dieses lukrative Unternehmen investiert. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn es keinen Krieg gegeben hätte! Eine riesige Fehlinvestition.

Das mediale Propagandamenü
Das Menü einer systematischen Einstimmung auf den Krieg wurde frühzeitig aufgetischt:

Dramatisierung der Gefahr bzw. der Bedrohung
Bei der Vorbereitung des Krieges gegen Jugoslawien waren es die Schlagwörter Massaker, humanitäre Katastrophe und Völkermord, die das Signal zum Eingreifen gaben. Im Vorfeld der Ermächtigung durch den amerikanischen Kongress beschwor Bush, man müsse "einem jederzeit möglichen Angriff Iraks auf die USA und ihre Verbündeten zuvorkommen." Rühl warnt vor der Gefahr, dass "Massenvernichtungsmittel in unmittelbarer Nähe zum euro-atlantischen Sicherheitsraum aufgestellt" werden könnten und Europa "in Reichweite von Raketen aus dem Mittleren Osten" kommen könnte. Noch bedrohlicher wird es, wenn berichtet wird, im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags sei mitgeteilt worden, "der Irak verfüge über das Potential von Raketen, die bis Wien und München reichen könnten." Der amerikanische Außenminister stellte im Februar in einer monumentalen Inszenierung vor dem Sicherheitsrat die Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen dar. In einem derartigen Ausmaß wurde wohl dieses Gremium noch nie hinters Licht geführt und zum Narren gehalten.

Verharmlosung des Ereignisses Krieg und der Kriegsschäden
Für den Begriff Krieg findet man verharmlosende Begriffe. "Bewaffnete Mission" heißt es, "Intervention" und "Militärintervention", "Gewaltsame Entwaffnung des Irak" sind offenbar beliebte Begriffe. Feldmeyer spricht von einer "militärischen Entwaffnung des Irak". Von "chirurgischen Eingriffen" ist die Rede. Bei den "Luftschlägen" werden "intelligent Waffen", "smart bombs", mit denen auch "soft targets" bekämpft werden sollen. Alle diese Etiketten für eine schlimme Sache werden vor allem im Fernsehen nachgeplappert und durch Bilder wie aus Computerspielen "veranschaulicht". Die zahllosen militärischen Experten verkünden mit bedeutungsschwangerer Stimme verharmlosende Banalitäten und drängen so die Frage nach dem Sinn des Krieges ins Abseits.

Hervorbringen eines Gefühls der Unvermeidbarkeit des Krieges
Der Krieg gegen den Irak schien in nahezu allen Medienkommentaren schon frühzeitig kaum oder überhaupt nicht vermeidbar. Nur über die Zeit des Beginns sei noch nicht entschieden, hieß es. Es fiel auch kaum auf, dass in den Nachrichtensendungen oder den Zeitungen in unmittelbarer Nachbarschaft über zwei gegenläufige Entwicklungen berichtet wurde. Die USA verlegten immer neue Truppen in die Region, führten dort Manöver durch, beriefen Reservisten ein. Detaillierte Angriffspläne wurden veröffentlicht. Andererseits fanden die Inspekteure trotz immer intensiverer Inspektionstätigkeit keine Beweise für Massenvernichtungswaffen. Hilflosigkeit, ein Sichfügen in das Schicksal machten sich breit. Das Ergebnis und wohl auch das Ziel der Medienkampagne: Resignation beim Publikum. Der Krieg kommt wie ein Naturereignis über die Menschen. "Das Spiel ist aus," verkündet der zornige Gott im Weißen Haus und die Riege seiner Jünger applaudiert frenetisch.

Die Missachtung und Diffamierung des Widerstands gegen den Krieg
Die Zahl der Demonstranten gegen den Krieg wurde systematisch nach unten geschätzt, zeitweise wurden die Anti-Kriegsdemonstrationen gänzlich ignoriert bzw. diffamiert. Die FAZ berichtet am 6. und 7. 2. 2003 ganz ausführlich über die Rede des amerikanischen Außenministers im Sicherheitsrat, bei der in einer wohl noch nie dagewesenen Weise der Sicherheitsrat systematisch belogen und hinters Licht geführt wurde. Die Stellungnahme von Kirchenvertretern aus den USA, Europa und dem Nahen Osten ist der Zeitung nur eine Randnotiz wert, weniger als 1 % des Raumes den man der amerikanischen Multi-Media-Show einräumte.

Dafür kommt dann am 8. Februar in der FAZ in einem Leitartikel die volle diffamierende Breitseite gegen die Kirchen. Wir lesen: "Ökumene um des lieben Frieden willen ist verlogen." Dem EKD-Ratsvorsitzenden wird vorgeworfen, er mache sich unglaubwürdig, weil er rationale Argumente durch Feindbilder ersetze. In vielen evangelischen und katholischen Gemeinden sei "gegenwärtig die Stunde der Demagogen. Und das wieder einmal in Deutschland." Dieser letzte Satz stellt auf hintergründig infame Weise die kirchliche Friedensbewegung in die Nähe nationalsozialistischer Demagogie. (...)

Bestialisierung des Feindes
Die Medien konnten hier auf eine gute Vorarbeit aufbauen. Schon 1990/91 haben sie Saddam Hussein mit Hitler und Stalin gleichgesetzt. Inzwischen kam jedoch ein anderer Belzebub hinzu, Slobodan Milosevic. Der jugoslawische Ex-Präsident war für die deutschen Medien ein "Schlächter". Nun meint B. Kohler, Saddam Hussein lasse den Serben wie "einen blutigen Amateur" aussehen. (...)

Ohne Zweifel stehen Milosevic und Saddam Hussein für Despotismus und Unterdrückung, auch für Verbrechen. Doch sie mit Hitler gleichzusetzen ist nichts anderes als eine ungeheuerliche Relativierung des Holocaust.

Glorifizierung der eigenen Führungspersönlichkeiten
Dies ist das funktionale Äquivalent zur Entmenschlichung des Gegners. In der SZ eine Hommage für Condoleezza Rice, Bushs Sicherheitsberaterin. "Immer war sie die Erste, die Beste, die Schnellste und die Klügste bei allem, was sie anpackte ..." Wie "mit einem Zauberstab" steuere sie die Debatte. "Condi" - so nennt sie der Verfasser liebevoll - sei eine "Kriegerprinzessin".

Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld ist für Thomas Kleine-Brockhoff ein "Visionär des Krieges". Er wolle die Militärstrategie revolutionieren. "Der Irak-Feldzug soll sein Meisterstück werden ... Viele Amerikaner finden Rumsfelds Schlagfertigkeit und seine funkelnde Intelligenz erfrischend. Seit dem Afghanistan-Krieg gilt er als eine Art Sex-Symbol."

Vom Washingtoner Korrespondenten der FAZ erfahren wir u. a. Bush studiere die Bibel jeden Tag, er bete regelmäßig und richte sein Handeln nach der Frage aus "Was würde Jesus tun?" Der Präsident sei ein "Ausbund an Bescheidenheit und Volksverbundenheit", es gebe zwar eine "arrogante Faser[!] im Wesen Bushs" doch er sei "ein Mensch der Liebe." Seine "Portion missionarischen Eifers" werde durch "staatsmännische Besonnenheit abgefedert", im "geduldigen Warten" sei die "Entscheidung des politischen Naturtalents zum Ausdruck" gekommen. Zwar wisse Bush, dass er kein Intellektueller ist, sich aber auf "seinen politischen Instinkt, seine Klugheit und seinen Mutterwitz" verlassen könne. (...)

Anstelle eines Resümees
"Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden! Die grellsten Erfindungen sind Zitate." - Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit.

Der Text wurde von der Redaktion stark gekürzt. Der lesenswerte Text ist vollständig unter www.friedensratschlag.de abrufbar.

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Dr. Heinz Loquai ist Brigadegeneral a.D. Er war bis März 1999 Militärmitarbeiter bei der deutschen OSZE-Vertretung in Wien