Menschenrechte in der Außenpolitik der Bundesregierung

von Volkmar Deile
Schwerpunkt
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Vor der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 haben nichtstaatliche Menschenrechtsorganisationen eine Anhö­rung zur Menschenrechtspolitik der Bundesregierung durchgeführt und folgende Erwartung an diese formuliert: "Von jeder Regierung ist eine konsistente, d.h. nicht selektive, transparente, nicht-instrumentalisie­rende und umfassende Menschenrechtspolitik nach innen wie nach au­ßen zu verlangen, die sich unabhängig von anderen politischen, wirt­schaftlichen oder militärisch-strategischen Erwägungen gleichermaßen intensiv für die Verwirklichung der Menschenrechte einsetzt." Bezogen auf die Außenpolitik der Bundesregierung ist - gemessen an diesem Anspruch - folgende Kritik notwendig:

1.    Die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung ist selektiv - und dies in mehrerer Hinsicht.

Einmal sind die angeblich unteilbaren Menschenrechte unterschiedlich ge­wichtet. Die bürgerlichen und politi­schen Menschenrechte sind sehr viel stärker betont als die sozialen, wirt­schaftlichen und kulturellen Rechte. Obwohl die Bundesrepublik die beiden Internationalen Pakte über die bürgerli­chen und politischen Rechte einerseits sowie die sozialen und wirtschaftlichen Rechte andererseits ratifiziert hat, wer­den sozial- und wirtschaftspolitische Strategien unabhängig von diesem Teil des internationalen Völkerrechts formu­liert. Die Übernahme sozialer und wirt­schaftlicher Rechte, die Deutschland ra­tifiziert hat, als Verfassungsziele ist vor kurzem sogar explizit abgelehnt worden.

Dann ist die Menschenrechtsdimension deutscher Außenpolitik gegenüber ande­ren Staaten selektiv. Politisch, wirt­schaftlich oder militärisch-strategisch wichtige Staaten (z.B. VR China, Tür­kei, Iran) werden anders behandelt als unwichtige Staaten. So ist ein deutscher Botschafter 1994 aus einem afrikani­schen Staat wegen öffentlich geäußerter Kritik an Menschenrechtsverletzungen ausgewiesen worden und das Auswär­tige Amt hat sich hinter ihn gestellt, während mit anderen Staaten ein Men­schenrechtsdialog geführt wird, der nicht grundsätzlich abzulehnen ist, aber ein wesentlich schwächeres Politikin­strument ist. Zu wieder anderen Staaten herrscht absolute Funkstille - wie im Fall der Todesstrafe in den USA oder Polizeiübergriffen in westeuropäischen Staaten. Es läßt sich überhaupt beob­achten, daß Menschenrechtsfragen auf der Einbahnstraße von Nord nach Süd verhandelt werden und daß Kritik an Menschenrechtsverletzungen immer weniger akzeptiert wird, je näher sie Deutschland, der EU, dem "Westen" oder der NATO kommen. So hat In­nenminister Kanther amnesty interna­tional 1994 beschuldigt, Deutschland auf eine Stufe mit "Folterstaaten" ge­stellt zu haben, weil amnesty internatio­nal Kritik an Polizeiübergriffen im Kontext von Rassismus in Deutschland geübt hatte. Für diese Haltung gibt es eine Fülle weiterer Beispiele.

Mit selektiven Verhaltensweisen gibt die Außenpolitik der Bundesregierung anderen Staaten die Gelegenheit, be­rechtigt den Vorwurf von Doppelstan­dards erheben zu können. Praktizierte Doppelstandards untergraben den Ach­tungsanspruch der unteilbaren Men­schenrechte.

2.    Die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung ist nicht transpa­rent.

Die Menschenrechte haben in den letz­ten Jahren ihre Stellung in der Politik verändert. Instrumentalisiert in der Zeit des Kalten Krieges sind sie nach 1989 von der Peripherie der politischen Auf­merksamkeit in deren Zentrum gerückt. Gleichzeitig hat kontinuierliche Lobby­arbeit von Menschenrechtsorganisatio­nen zu einer Öffnung der politischen In­stitutionen beigetragen. Anliegen an den Adressaten heranzutragen ist heute nicht mehr das vorrangige Problem. Was da­nach geschieht ist das, was schwer zu beurteilen ist. Hier fehlt Transparenz. Auch die parlamentarische Kontrolle ist unterentwickelt. Dem Unterausschuss Menschenrechte des Auswärtigen Aus­schusses, der schon lange ein ordentli­cher Bundestagsausschuss sein müsste, um der Querschnittsaufgabe Menschen­rechte gerecht werden zu können, ist mit den Stimmen der Koalitionsparlamenta­rier die notwendige Aufwertung versagt worden. Menschenrechtsdebatten im Bundestag verraten die Inkonsistenz der Menschenrechtspolitik auf Regierungs- und Parlamentsebene. Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Menschen­rechtsverletzungen in anderen Staaten, die über das Schicksal politischer Flüchtlinge mitentscheiden, sind weder den Bundestagsabgeordneten noch der Öffentlichkeit offiziell zugänglich. Transparenz ist eine unverzichtbare Voraussetzung wirksamer Menschen­rechtspolitik. Ohne sie ist Partizipation nicht möglich.

3.    Die Menschenrechte werden in der Politik instrumentalisiert.

Wer glaubte, daß die Instrumentalisie­rung der Menschenrechte mit dem Kal­ten Krieg beendet worden sei, sieht sich heute getäuscht. Die Menschenrechts­dimension der Politik läßt keine Strate­gie erkennen, die Menschenrechte un­abhängig von anderen - möglicherweise legitimen - Interessen zum Tragen bringt. Neue Feindbilder werden artiku­liert. Wenn der NATO-Generalsekretär den Islam für schlimmer als den Kom­munismus hält und dafür die Unterstüt­zung deutscher Politiker erhält, zeigt sich dies. Wer wirklich Menschen­rechtspolitik machen will, kann sich nur an Realbildern orientieren. Feindbilder in der Politik sind die Voraussetzung für die Instrumentalisierung der Menschen­rechte und der oft praktizierten Regel, daß der Feind des Feindes ein Freund sei. Dies haben wir im Golfkrieg, in der Türkei, in Ex-Jugoslawien, in Somalia erlebt. Menschenrechtspolitik muß die Ziel-Mittel-Relation unbedingt wahren. Einer Legitimierung riesiger Militärap­parate, die aus dem Kalten Krieg übrig­geblieben sind, können sie nicht dienen. Menschenrechtspolitik will Opfern hel­fen, Bedrohte schützen und vorbeugend Menschenrechtsverletzungen verhin­dern. An diesem Anspruch ist sie zu messen. Hierfür sind sorgfältig recher­chierte Informationen notwendig, die von unabhängigen Menschenrechtsor­ganisationen verbreitet werden, und Aktionen der Zivilgesellschaft. Nur so kann Menschenrechtspolitik vor dem propagandistischen Missbrauch der Menschenrechte geschützt werden. Menschenrechtsarbeit ist friedensför­dernd und unverträglich mit der "Makrokriminalität" (H. Birckenbach) des Krieges.

4.    Stabilität contra Menschenrechte

Außenpolitik und besonders die Au­ßenwirtschaftspolitik sind stabilitätsori­entiert, weil Investitionen in anderen Staaten umso ertragreicher erscheinen, desto "stabiler" dieser ist. Dabei ist we­nig bedeutend, worauf die Stabilität sich gründet. Manchmal ruht die Stabilität auf Bajonetten, ist ein Resultat erfolg­reicher Repression durch Militär und sogenannte Sicherheitskräfte. Hier wi­derspricht die Stabilitätsorientierung der Politik diametral dem Anspruch des Schutzes der Menschenrechte. Men­schenrechtsorientierte Außenpolitik darf die Ursachen der Menschenrechtsverlet­zungen nicht aus dem Blick verlieren. Menschenrechtsverletzungen sind Aus­druck ungerechter Machtausübung und repressiver Herrschaft. Sie treten ver­mehrt auf in Kriegen und Bürgerkriegen (besonders im Falle nationalistischer, ethnischer und rassistischer Propa­ganda), bei sozialer Verelendung und Hunger, ökologischen Katastrophen und im Zusammenhang von dadurch ausge­lösten Massenfluchtbewegungen.

5.    Resümee

Die Infrastruktur für Menschenrechts­fragen wächst in der Politik. Eine konsi­stente Menschenrechtspolitik fehlt aber. Deshalb gibt es auch keine wirkliche Strategie zur Durchsetzung der Men­schenrechte nach innen (Asyl) wie nach außen (Außen-, Entwicklungs- und Si­cherheitspolitik). Sobald das Menschen­rechtsinteresse mit anderen Politikzielen in Konflikt gerät, müssen sie zu oft zu­rücktreten. Dagegen kann die Zivilge­sellschaft nur betonen, daß die unteilba­ren Menschenrechte (neben der notwen­digen Hilfe für Menschen) ein politi­sches Konzept darstellen, das mit Ak­tionen der internationalen Solidarität erst noch durchgesetzt werden muß. Dazu müssen Menschenrechtsorganisa­tionen Artikulations-, Organisations- und Konfliktfähigkeit besitzen. Eine Be­schränkung auf "Beratung" der Politik ist nicht hinreichend. Das weltweite Wachstum der Menschenrechtsbewe­gungen und das darin zum Ausdruck kommende zivilgesellschaftliche Enga­gement ist Anlaß zur Hoffnung.

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