Menschenrechte und Friedenserziehung

von Ernst Woit
Schwerpunkt
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Eine der wichtigsten philosophischen Fragen lautet: "Was ist der Mensch?" In allen Antworten, die in der Neuzeit auf diese Frage gege­ben werden, ist am wesentlichsten, ob allen Menschen in allen Ländern gleiche Rechte zugestanden werden oder nicht. Meiner Überzeugung nach muß diese Frage eine - warum nicht die - Hauptfrage jeder Frie­densphilosophie sein, denn sie betrifft die geistigen Wurzeln jeglicher Kriegsbereitschaft, der Bereitschaft, andere Menschen durch den Krieg und im Kriege zu töten. Ich behaupte, daß jene Politiker, die dazu nei­gen, ihre Interessen mittels Krieg durchzusetzen, auf diese oder jene Weise der Öffentlichkeit zu suggerieren suchen, Menschen und Völker könnten nicht gleiche Rechte haben und Feinde seien keine Mit­menschen, sondern irgendwie minderwertig oder gar "Untermenschen". Wenn das so ist - und ich denke, die gesamte Geschichte bestätigt meine These - dann muß Friedenserziehung zuerst und vor allem die Einstellung ausprägen, daß alle Menschen, daß alle Völker ohne jede Ausnahme Anspruch auf die gleichen Rechte haben.

Nach dem Zusammenbruch der So­wjetunion und der mit ihr verbündet gewesenen Staaten erleben wir nun den Kampf um eine neue Weltordnung. Diese neue Weltordnung kann entweder multilateral oder hierarchisch, d.h. he­gemonial strukturiert sein. Konkret: diese neue Weltordnung wird entweder von einer sich demokratisch reformie­renden UNO gestaltet werden oder es wird eine von den USA beherrschte Weltordnung, in der die UNO zu einem von der USA-Regierung bevormundeten und benutzten Instrument verkommt. Schon lange boykottieren die USA be­kanntlich die UNESCO und schulden sie der Weltorganisation der Staaten er­hebliche Beitragssummen. Das alles hindert jedoch die politischen Reprä­sentanten der USA nicht daran, die UNO für ihre egoistischen Interessen einzuspannen und anmaßend die Füh­rung der Welt zu verlangen.

Nach dem Überfall Iraks auf Kuweit im August 1990 gab es zwei prinzipiell verschiedene Wege, den Aggressor zu bestrafen, Kuweit zu befreien und den Frieden in der Region wiederherzustel­len. Die eine Möglichkeit war die ohne Krieg - durch ein Embargo. Ich nenne diese Möglichkeit den "UNO-Weg", denn eben das wurde durch den UNO-Sicherheitsrat in seiner Resolution 661 bereits vier Tage nach der irakischen Aggression beschlossen. Der Erfolg die­ses UNO-Weges hätte den Weltfrieden gefestigt, vor allem aber die Autorität der UNO erhöht. Gerade daran aber, an einer gestärkten und angeseheneren UNO, hatte die Führung der USA nicht das geringste Interesse. In ihrem Streben nach Weltführerschaft der USA igno­rierte die USA-Regierung von Anfang an den UNO-Weg des Embargos und bereitete vom 4.8.1990 an eine militäri­sche Intervention gegen den Irak vor, ohne dazu irgendwie von der UNO er­mächtigt zu sein. (1) Ich möchte hier nicht all die furchtbaren Kriegsverbre­chen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit diskutieren, die die USA und ihre Verbündeten in ihrem wahrhaft "anachronistischen Krieg" begangen ha­ben. (2) Diese Verbrechen sind Ende Februar 1992 sehr überzeugend von ei­nem kompetenten Tribunal in New York dokumentiert und verurteilt worden. (3) Ich möchte nur ganz entschieden daran erinnern, daß die meisten unserer Fern­sehstationen und Zeitungen während dieses Golf-Krieges durchgängig Men­schenleben sehr unterschiedlich bewer­tet haben, und zwar jeweils abhängig davon, ob es sich um amerikanische Menschenleben oder um irakische Men­schenleben handelte. nach Informatio­nen der IPPNW wurden 1991 durch die Kriegsführung der USA-Streitkräfte und deren Folgen allein mehr als 300 000 irakische Kinder getötet. Weil die UNO unter dem Druck der USA das Embargo auch nach der militärischen Niederlage Iraks nicht aufgehoben hat, sterben an dessen Auswirkungen bis heute weitere irakische Kinder. Wie oft und mit wel­chem Verantwortungsbewusstsein wird dieses Problem in unserer Öffentlichkeit von Wissenschaftlern, Journalisten und Lehrern diskutiert?

Nach dem Golf-Krieg 1991 fordert die USA-Regierung die Weltführerschaft noch offener. Alle Männer und Frauen, die sich für Frieden einsetzen, müssen wissen, daß strategisches Denken und Planen der USA und ihrer Verbündeten dabei auf zwei höchst gefährlichen ideologischen Positionen beruht: Erstens auf dem Anspruch auf jederzeitigen Zu­gang zur Ausbeutung der Rohstoff-Res­sourcen in der sog. "Dritten Welt" , vor allem zum Erdöl der Golf-Region, und der Entschlossenheit, diesen Zugang auch durch Krieg zu erzwingen. Zwei­tens auf der zutiefst imperialistischen Zurückweisung und Diffamierung aller Auffassungen und Positionen, die für Frieden auf der Basis der Verwirkli­chung der Menschenrechte für alle Menschen und gleicher Rechte für alle Länder unabhängig von ihrer Große und ihren Entwicklungsniveau eintreten. Ausgehend von diesen imperialistischen Positionen fordert ein Pentagon-Doku­ment zur militärischen Planung der USA für die Jahre 1994 - 1999 die Weltfüh­rerschaft der USA ausdrücklich im "Interesse der hochindustrialisierten Länder". (4) Nach diesem Dokument ist es die erste Aufgabe der US-Streit­kräfte, "den Zugang zu den lebenswich­tigen Erdöl-Ressourcen in der Golf-Re­gion zu garantieren". (5) In einer Stu­die über die Aufgaben der deutschen Bundeswehr in den 90er Jahren wird betont, "die Staaten Europas" seien "hochgradig abhängig vom ungehinder­ten Zugang zu den Rohstoffressourcen und Weltmärkten, und die südöstlichen NATO-Staaten befinden sich unmittel­bar in den nah-mittel-östlichen Konflik­ten. Von beidem sind deutsche Interes­sen vital berührt." (6) Die Vereinba­rung von La Röcheln zwischen Helmut Kohl und Francois Mitterrand über den Aufbau eines französisch-deutschen Korps für militärische Operationen in­nerhalb und außerhalb Europas ist des­halb ein Alarmsignal, denn es zeigt, wie imperiale Ambitionen zum Gegenstand praktizierter Politik werden. Und es ist wohl höchst aufschlussreich, wenn zur gleichen Zeit der bekannte alte Philo­soph Sir Charles Popper schamlos eine "Pax americana" nach dem Beispiel des jüngsten Golfkrieges fordert und sagt: "Wir müssen für den Frieden Kriege führen." (7) Meiner Auffassung nach besteht durchaus ein Zusammenhang zwischen diesen kriegerischen Tenden­zen und der Tatsache, daß der damalige deutsche Außenminister, Genscher, ohne durch den Deutschen Bundestag dazu autorisiert zu sein, im September 1991 vor der Generalversammlung der UNO erklärte, künftig würden deutsche Streitkräfte an weltweiten militärischen Operationen mitwirken und dazu werde die Verfassung der Bundesrepublik ge­ändert. Und das wiederum steht meiner Meinung nach auch im Zusammenhang mit der beschämenden Tatsache, daß dieser selbe deutsche Außenminister im Februar 1992 jene Einladung der Welt­menschenrechtskonferenz der UNO nach Berlin wieder zurückzog, die er selbst im Mai 1991 gegenüber dem Ge­neralsekretär der UNO so feierlich aus­gesprochen hatte. Ich nenne das eine "beschämende Tatsache", weil Genscher erklärt hat, diese Konferenz sei für Deutschland zu teuer! Ihre Kosten be­tragen rund 100 Mio. DM. Für den Golf-Krieg hat Deutschland an die USA mehr als 6,5 Milliarden Dollar gezahlt! Übrigens richtet nun das gewiss nicht reichere Österreich die Weltmenschen­rechtskonferenz der UNO im August 1993 in Wien aus.

Lehrerinnen und Lehrer sollten alle Kinder befähigen, den Zusammenhang zu begreifen, der in UNSERER EINEN WELT zwischen der Verwirklichung der Menschenrechte und Frieden be­steht. Alle Kinder müssen lernen, daß Krieg in jedem Fall mit Auffassungen beginnt, die anderen Menschen und an­deren Völkern die Rechte verwehren wollen, die man selbst für sich fordert. Gerade in diesem Jahr sollte jede Lehre­rin und jeder Lehrer die Möglichkeit nutzen, gründliche Kenntnisse über 500 Jahre Kolonialisierung Amerikas und das furchtbare Schicksal seiner Ur-Ein­wohner zu vermitteln. Ich denke, Frie­denserziehung ist vor allem eine Erzie­hung, die Überzeugung vermittelt, daß alle Menschen und jedes Volk Anspruch auf gleiche Rechte haben. Für Frieden innerhalb der Staaten wie auch zwischen ihnen ist letztlich entscheidend, daß Menschenleben und Eigentum in Afrika, Asien und Latein-Amerika einen ebenso hohen Wert haben wie in Europa und Nord-Amerika.

In Verantwortung für eine friedliche Zukunft der Menschheit lasst uns alle Politiker fragen, ob sie wirklich am Frieden interessiert sind: lasst uns ihre Politik daraufhin befragen, ob sie keinen Menschen und kein Volk in UNSERER EINEN WELT diskriminiert!

 

Anmerkungen:

/ 1 / Vgl. P. Salinger / E. Laurent: Krieg am Golf. Das Geheimdossier. München - Wien 1991.

/ 2 / Vgl. E. Woit: Der anachronisti­sche Krieg. Bonn 1991 (AG Abrüstung).

/ 3 / Vgl. War Crimes. A Report on US-Crimes against Iraq. Wahington D C 1992.

/ 4 / New York Times, New York, 8.3.1992.

/ 5 / Ebenda.

/ 6 / H.-A. Jacobsen: Die Bundes­wehr in den neunziger Jahren vor neuen Herausforderungen. In: Das Parlament, Bonn, Nr. 18 v. 26.4.1991.

/ 7 / "Kriege führen für den Frie­den." Der Philosoph Karl Popper über den Kollaps des Kommunismus und die neuen Aufgaben der Demokratie. In: Der Spiegel, Hamburg, 13/1992, S. 208.

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