Menschenzüchtung und Auslese

von Sabine Riewenherm
Schwerpunkt
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Eng verknüpft mit dem zunehmenden Interesse für die Vererbung ist die Entwicklung der Eugenik. Die Anhänger der Eugenik interpretieren soziale und gesellschaftspolitische Phänomene auf dem Hintergrund biologischer Grundlagen und der darwinistischen Selektionstheorie.

Die Gesetze der Vererbung und die modernen Methoden der Gentechnologie lagen noch im Dunkeln, als Charles Darwin im Jahr 1859 sein berühmtes Werk "Origin of Species" (Die Entstehung der Arten) veröffentlichte. Darin ist viel zu lesen über Haustauben und Honigbienen, wenig über den Menschen. Trotzdem scheiden sich seitdem an Darwin die Geister, entzweien sich Naturwissenschaftler, Soziologen und Anthropologen über den Anteil von Kultur und Natur an der menschlichen Entwicklung.

Darwin machte sich unter anderem Gedanken darüber, warum alle Arten mehr Nachkommen produzieren als sich später fortpflanzen. Und er nahm an, dass diejenigen, die sich fortpflanzen, vorteilhafte Eigenschaften besitzen, die sie an die Nachkommen weitergeben. Das Ergebnis seiner Überlegungen, grob zusammengefasst: Das Leben ist Stress. Die Pflanze, das Tier, der Mensch - alle Lebewesen müssen sich im täglichen Kampf messen und nur die am besten Angepassten dürfen sich fortpflanzen. Durchaus mit Gespür für werbewirksame Slogans wählte Darwin als einen Schlüsselbegriff für seine Arbeit den Ausdruck "Survival of the fittest".

Eugenik und Rassenhygiene
Darwins Ideen fanden großen Anklang bei Züchtern von Pflanzen und Tieren - und bei seinem Vetter Francis Galton, der 1883 den Begriff "Eugenik" prägte (griech.: eu = gut, genic = abgeleitet von Geburt). Galton war der Meinung, dass alle wesentlichen Merkmale des Menschen bis hin zu Verhaltenseigenschaften erblich sind.

Die Anhänger der Eugenik kamen sie zu dem Schluss, dass der Prozess der Zivilisation die "natürliche Selektion" verhindern würde und kranke, arme und schwache Menschen sich ungehindert fortpflanzen könnten. Deshalb müsse man die Fortpflanzung von "Erbgesunden" fördern (positive Eugenik) und die von "Erbkranken" verhindern (negative Eugenik). Eugenische Bewegungen entstanden in zahlreichen Ländern wie Großbritannien, den Vereinigten Staaten, in der Schweiz, in Frankreich, Italien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Polen, Russland, Japan oder Lateinamerika.
 

Um 1890 entstand die deutsche Version der Eugenik - die Rassenhygiene. Sie stimmte in ihrer Diagnose mit den eugenischen Bewegungen in den anderen Ländern überein, zog daraus aber wesentlich radikalere Konsequenzen. Die schauerlichen "Lösungen" der Rassenhygiene im Nationalsozialismus - von der Einrichtung von "Lebensborn"-Kliniken für die Förderung "lebenswerten" Nachwuchses bis zur Zwangssterilisation und Ermordung zahlloser Menschen, die als "lebensunwert" angesehen wurden - sind bekannt.

Die dunklen Träume der Gentechniker
"Die Verbesserung der genetischen Qualität des Menschen durch eugenische Verfahren würde eine große Last an Leiden und Qual von den Schultern der Menschheit nehmen und zur Steigerung der Lebensfreude und Tüchtigkeit beitragen." Wer glaubt, dieser Satz stammt aus den Zeiten des Nationalsozialismus, der irrt. Er fiel anlässlich des Symposiums "Man and his future" im Jahr 1962 und war Teil der Eröffnungsrede von Sir Julian Huxley, Evolutionsforscher und seinerzeit Generaldirektor der UNESCO. Auf diesem Symposium in London grübelte die Crème de la Crème der Wissenschaft - insgesamt siebenundzwanzig der damals führenden Biologien, Soziologen, Anthropologen und Mediziner einschließlich sechs Nobelpreisträgern - über die genetische Verbesserung des Menschen. Der Molekularbiologe Joshua Lederberg dachte bei seinem Vortrag an die modernen Methoden der Gentechnologie und bekräftigte Huxleys Aussagen: "(...) Verschwenden wir nicht auf sündhafte Weise einen Schatz des Wissens, wenn wir die schöpferischen Möglichkeiten genetischer Verbesserungen vernachlässigen?" Den krönenden Abschluss des Treffens lieferte der Genetiker J. B. Haldane, der seine Visionen sehr weit ausschweifen ließ bis zur gentechnischen Erschaffung von menschlichen "strahlenresistenten Greifschwanztypen", die sich für die Weltraumforschung besonders eigenen könnten. Im historischen Rückblick scheiden sich heute die Geister, ob Haldane seinen Vortrag nur zur allgemeinen Belustigung hielt oder tatsächlich ernst meinte.

Wie vergangen ist die Vergangenheit?
Die Verbindung der Genetik mit eugenischen Gedanken endete nicht im Jahr 1945 mit der nationalsozialistischen Herrschaft. So erklärten zwar 1969 die bundesdeutschen Humangenetiker auf dem Marburger Kongress "Genetik und Gesellschaft", ihre Disziplin sei nun eine moderne Wissenschaft, die sich "von den schweren Belastungen" aus der nationalsozialistischen Zeit befreit habe. Aber schon auf der Abschlussrede tauchte die Vergangenheit wieder auf, und es ist vom "Rückgang natürlicher Auslese" und der "Gefahr für Erbgesundheit und Leistungsfähigkeit künftiger Generationen" die Rede.
Doch nicht nur Humangenetiker verbinden Genetik und Gentechnik mit Eugenik, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter anderer Disziplinen - und inzwischen viele Menschen, die sich "ein gesundes Kind" wünschen und dafür die Dienste der Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin in Anspruch nehmen. So ist bereits selbst in Medizinerkreisen von einer "Eugenik von unten" die Rede. Gemeint ist, dass viele Paare nach vorgeburtlichen Untersuchungsmethoden fragen - unter anderem nach Gen-Tests - und bei einer möglichen Behinderung des ungeboren Kindes eine Abtreibung vornehmen lassen.

Eugenik endete nicht mit dem Nationalsozialismus. Mit der Gentechnik werden neue Methoden für eine menschliche Züchtung und Auslese geliefert. Heute spricht man von der "Eugenik von unten".

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Sabine Riewenherm ist Redakteurin des GID (Gen-Ethischer Informationsdienst).