Militärintervention und .anhaltende Unruhen auf den Salomon-Inseln

von Marion Struck-GarbeVolker BögeJochen Lohmann

Mitte April erschütterten gewalttätige Straßenproteste und Plünderungen die Hauptstadt des südpazifischen Inselstaates Salomonen. Auslöser für die Unruhen war die Wahl eines neuen Premierministers. Erst nach der Entsendung von zusätzlichem australischem Militär konnte die Lage in Honiara unter Kontrolle gebracht werden. Seitdem herrscht trügerische Ruhe in der 50.000-Einwohner Stadt. Unter dem Schutz der australischen Truppen konnte Anfang Mai eine neue Regierung gewählt werden. Trotzdem dauert die politische Krise in dem Inselstaat, die ihre Ursache in dem noch immer nicht bewältigten Bürgerkrieg zwischen 1998 und 2003 hat. Auch die seit Juli 2003 andauernde australische Militärpräsenz konnte das erneute Ausbrechen der Gewalt nicht verhindern.

Proteste nach Wahl des Premierministers

Die Proteste am 11. April 2006 waren unmittelbar nach der Wahl des damaligen Vize-Präsidenten Snyder Rini zum neuen Premierminister ausgebrochen. Nach der Bekanntgabe des Votums demonstrierten die Anhänger eines der Gegenkandidaten Rinis vor dem Parlamentsgebäude gegen das Wahlergebnis. Sie behaupteten, Rini habe Stimmen gekauft und forderten seinen sofortigen Rücktritt. Die über tausend Personen zählende Menschenmenge setzte Autos von Abgeordneten in Brand und drohte damit, das Parlament zu stürmen. Der frisch gewählte Premier und die Abgeordneten saßen stundenlang im Parlamentsgebäude fest. Schließlich wurde Rini unter australischem Polizeischutz an einen unbekannten Ort in Sicherheit gebracht. Die australischen Sicherheitskräfte setzten Tränengas gegen die Demonstranten ein. Rund zwei Dutzend australische Polizisten wurden verletzt, mehrere Polizeifahrzeuge demoliert.

Daraufhin verlagerten sich die Auseinandersetzungen in das Zentrum der Hauptstadt. Honiaras „Chinatown" wurde geplündert und weitgehend abgebrannt, nachdem sich die Ordnungskräfte von dort zurückgezogen hatten. Die über Tausend in Honiara lebenden Chinesen haben großteils ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Sie stehen in einem provisorischen Flüchtlingslager am Rande der Hauptstadt unter militärischem Schutz. Hunderte von ihnen haben die Salomonen mittlerweile nach Australien, Papua-Neuguinea und von dort nach China verlassen. Rini wird von der Opposition vorgeworfen, er sei ein Strohmann für chinesische Geschäftsinteressen. Chinesische Geschäftsleute haben, ebenso wie in anderen kleinen pazifischen Inselstaaten, erheblichen Einfluss auf das·Wirtschaftsleben im Lande.

Australische Reaktion

Australien verlegte als Reaktion auf die Unruhen mehrere hundert Soldaten und Polizisten per Lufttransport nach Honiara. Zu dem machten zwei australische Kriegsschiffe im Hafen der Hauptstadt fest. Kleinere Kontingente aus Neuseeland, Fidschi und Papua-Neuguinea unterstützten die Australier. Eine nächtliche Ausgangssperre wurde verhängt, und das Militär besetzte alle strategischen Punkte in der Stadt. Vorerst wurde die Ruhe wiederhergestellt.

Nach nur acht Tagen im Amt trat Premier Snyder Rini zurück. Obwohl die australischen Interventionskräfte drei Abgeordnete der Opposition unter dem Verdacht der Anstiftung zu Unruhen verhaftet hatten, verlief ein Misstrauensvotum gegen den neu gewählten Premier Rini erfolgreich. Mehrere Abgeordnete, die wenige Tage zuvor noch für Rini gestimmt hatten, waren zur Opposition übergelaufen. Mit dem Rücktritt war der Weg für Neuwahlen frei.

Am 4. Mai wurde dann der Vorsitzenden der Social Credit Party Manasseh Sogavare mit 28 zu 22 Stimmen zum neuen Premierminister gewählt. Er war der Anführer der Überläufer vom 19.April, und die Opposition machte ihn daraufhin zu ihrem Kandidaten. Diese Wahl verlief unter dem Schutz einer massiven australischen Militärpräsenz friedlich. Allerdings hält sich die Begeisterung über Sogavares Sieg in Grenzen, da er aus den Zeiten des Bürgerkrieges schwer belastet ist.

Die aktuelle Zusammensetzung des Parlaments resultierte aus den Wahlen vom 5. April 2006. Die allgemeinen Wahlen in dem rund eine halbe Million EinwohnerInnen zählenden Inselstaat Anfang April waren ohne größere Zwischenfälle verlaufen.
Die internationalen Wahlbeobachter hatten dem Wahlgang das Prädikat „frei und fair" verliehen. Gewählt wurden 50 Abgeordnete des nationalen Parlaments. Da es auf den Salomonen kein festes Parteiengefüge gibt und die wenigen existierenden Parteien lediglich lose Personenbündnisse auf Zeit sind, ließ der Wahlausgang keine Schlüsse auf die künftige Regierung zu. Die Hälfte der Gewählten waren Parlamentsneulinge, und achtzehn Kandidaten gelten als unabhängig. So kam es nach den Parlamentswahlen und vor den Premierministerwahlen zu mehrfach wechselnden Allianzen. Schließlich gelang es Snyder Rini, Vizepremier in der letzten Regierung und davor Erziehungs-, Planungs- und Finanzminister in mehreren Regierungen, eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich zu bringen.

Die Wahlen vom April 2006 sollten einen Neuanfang für den südpazifischen Inselstaat signalisieren. Es handelte sich um die ersten Wahlen seit der massiven australisch geführten Militärintervention vor knapp drei Jahren (RAMSI- Regional Assistance Mission to the Solomon Islands), die auf den krisengeschüttelten Salomonen „Ruhe und Ordnung" hatte wiederherstellen sollen.

Nach jahrelangen Spannungen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen waren die Salomonen von 1998

bis 2000 einem innerstaatlichen Krieg ausgesetzt, der neben vielen Toten auf der Hauptinsel Guadalcanal einen weitgehenden Zusammenbruch staatlicher Strukturen und Dienste mit sich brachte. Im Oktober 2000 kam es zu einem Friedensabkommen, allerdings ohne dass dadurch die gewaltsamen Auseinandersetzungen beendet worden wären. Innerstaatliche Migration erheblichen Umfangs, Landflucht und Wirtschaftsmisere sowie eine Gemengelage aus traditionellen, modernen und lokalen Ursachen und Verhaltensweisen hatten zu dem Konflikt geführt, der von unterschiedlichen Gruppierungen des Inselstaats schließlich gewaltsam ausgetragen wurde. Dabei hatten die am Konflikt beteiligten Gruppierungen alle sowohl Rückhalt in traditionellen Zusammenhängen als auch gleichzeitig Zugang zu modernen Strukturen. Das Friedensabkommen brachte eine Waffenruhe zwischen den „großen Konfliktparteien", führte aber zugleich zu sich fortsetzenden und um sich greifenden Gewaltkonflikten innerhalb der Gruppierungen. Die Wirtschaft - schwer geschädigt durch Krieg und Nachkriegswirren - war fast vollständig zum Erliegen gekommen. Für den Staat wurde es zunehmend unmöglich, Einkünfte einzutreiben und seine Bediensteten zu bezahlen. Das Schul- und Gesundheitswesen brach zusammen. Die Polizei war inzwischen offen korrupt und mit Kombattanten der Konfliktparteien durchsetzt.

Diese fast aussichtslose Notlage brachte die nur noch formell amtierende Regierung des Inselstaats Mitte 2003 dazu, von Australien eine multinationale Intervention zu fordern, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Mitte Juli 2003 sprachen die Salomonen die offizielle Einladung zu einer sofortigen, ,,kooperativen" Intervention aus.

Am 24. Juli 2003 begann bereits die Operation „Helpem Fren" (Hilfe für Freunde), wie RAMSI bezeichnet wird. Tatsächlich konnte ohne Blutvergießen die Mehrzahl der Waffen eingesammelt werden, viele Angehörige von Banden und kriminellen Gangs und auch viele Kombattanten wurden festgesetzt. Etwa ein Viertel der korrupten und kriminellen Regierungs- und Verwaltungsbeamten wurde entlassen.

Seitdem geht es darum, eine umfassende politische und ökonomische Reform auf den Salomon-Inseln zu entwickeln und durchzuführen. Das auf Nachhaltigkeit gerichtete Vorhaben kommt bislang kaum voran. Viele der hochrangigen Politiker, die maßgeblich zu den Konflikten beigetragen haben, sind noch in Amt und Würden, weil ihnen angeblich weder Korruption noch ein anderes Fehlverhalten nachgewiesen werden kann. Dieses Versäumnis nährt in der Bevölkerung viele Spekulationen, wonach die Operation „Helpem Fren" einen schützenden Mantel über willfährige politische Eliten und viele von den korrupten Berufspolitikern des Inselstaats ausbreitet, obwohl diese längst ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. ,,There was no trust in the old government and there is no trust in the new one", meint Tarcisius Kabutaulaka, Politologe von den Salcimon-Inseln.

RAMSI galt bis zu den neuerlichen Unruhen als ein erfolgreiches Beispiel einer militärischen Intervention zur Wiederherstellung von „Ruhe und Ordnung" in einem „gescheiterten" Staat. Die australische Regierung wollte beweisen, dass sie in ihrem pazifischen „Hinterhof" die ihnen von den USA zugedachte Rolle eines Hilfssherrifs im Kampf gegen Chaos und Terrorismus erfolgreich auszufüllen in der Lage sei. Diese optimistische Sichtweise hat einen kräftigen Dämpfer erhalten.

Faktisch sind die Salomonen heute ein australisches Protektorat. RAMSI bietet den normalen Bürgern nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Mitwirkung an der Gestaltung ihrer Zukunft. Dies birgt die Gefahr, dass sich die Abhängigkeit des Landes von externen Unterstützungsmaßnahmen verstärkt und RAMSI als „die eigentliche Regierung", die die Kontrolle über alle politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entscheidungen hat, von der Bevölkerung wahrgenommen wird. Sowohl RAMSI als auch jede zukünftige Regierung der Salomonen muss einer solchen Wahrnehmung entgegenarbeiten und gezielt einheimische Politiker aktiv und mit eigenen Ideen am Reformprozess beteiligen. Schwierige und grundlegende Fragen - etwa des Staatsaufbaus - sind neu zu regeln. Das bisherige latente Konfliktpotenzial auf den Salomon-Inseln könnte eventuell durch eine stärkere und konsequente Dezentralisierung von Macht, Befugnissen und Mitteln langfristig erheblich reduziert werden: Dadurch ließen sich auch Spannungen zwischen unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen abbauen.

Im Rahmen einer Konflikt-Prävention müssten Zentralismus und Fokussierung auf Staatsinstitutionen zugunsten von adäquaten föderalen Strukturen aufgegeben werden und eine stärkere Beteiligung von NGOs, kirchlichen Organisationen, Kommunen und Gemeinden - kurz: von zivilgesellschaftlichen Gruppen - erfolgen. RAMSI bindet die VertreterInnen) der Zivilgesellschaft nicht genügend in den Aufbauprozess mit ein, konzentriert sich auf die Wiedererrichtung einer zentralistischen Regierungs- und Verwaltungsstruktur und vernachlässigt erneut die anderen Inseln. Mit den Unruhen ist deutlich geworden, dass die Politik des harten Durchgreifens der australischen Regierung die Salomonen in eine Sackgasse geführt hat. Was die USA im Irak in großem Maßstab erfahren, lernt die australische Regierung gegenwärtig im Kleinen auf den Salomonen:

Dass es überheblicher imperialer Wahn ist zu glauben, man könne gestützt auf militärische Macht dauerhaft eigene Ordnungsvorstellungen gegen den Willen der betroffenen Völker durchsetzen.

Zuletzt gaben die drei Autoren folgendes Buch heraus: Volker Böge, Jochen Lohmann, Roland Seib und Marion Struck-Garbe (Hg.) Konflikte und Krisen in Ozeanien.

Pazifische Inseln zwischen häuslicher Gewalt und innergesellschaftlichen Kriegen.

 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt