Friedensbildung

Militärische Gewalt widerspricht unseren Erziehungsidealen

von Joachim Schramm

Nordrhein-Westfalen war 2008 das erste Bundesland, in dem das damalige Schulministerium der schwarz/gelben Regierung eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr abschloss. Der damalige Verteidigungsminister Jung brachte den Sinn solcher Kooperationsvereinbarungen auf den Punkt: Er erachte "es als eine besondere Aufgabe der politisch Verantwortung Tragenden, unserer Bevölkerung und in ganz besonderer Weise der nachwachsenden Generation in der Schule z.B. zu erklären, wie sich die Einsätze der Bundeswehr im Ausland politisch aus den Zielen und Interessen deutscher Sicherheitspolitik ableiten lassen“. Besondere Brisanz erhielt die Kooperationsvereinbarung in NRW noch dadurch, dass in ihr "die Möglichkeit der Einbindung von Jugendoffizieren in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren sowie von Lehrkräften" vereinbart wurde.

Gegen diese Kooperationsvereinbarung gründete sich zu Beginn des Jahres 2011 ein landesweites Bündnis "Schule ohne Bundeswehr NRW", das "die ersatzlose Kündigung der Kooperationsvereinbarung zwischen Schulministerium und Bundeswehr" forderte. In dem Bündnis sind inzwischen 12 landesweit arbeitende Friedensgruppen/-organisationen, antimilitaristische und antifaschistische Initiativen, Jugendverbände, SchülerInnenvertretungen und die Gewerkschaftsjugend zusammengeschlossen.

Das Bündnis hat sich seitdem mit Aktionen, Veranstaltungen, Diskussionsbeiträgen, Presseerklärungen und durch die Erstellung von Öffentlichkeitsmaterialien in die Debatte um die Kündigung der Kooperationsvereinbarung und um die Zurückdrängung der Bundeswehr aus den Schulen in NRW eingeschaltet. Bereits kurz nach der Gründung unterstützte das Bündnis den Antrag der Fraktion "Die LINKE" im Landtag auf Kündigung der Kooperationsvereinbarung mit einer Mahnwache vor dem Landtag. Doch die inzwischen rot/grüne Landtagsmehrheit lehnte die Kündigung ab und kündigte eine Modifizierung der Vereinbarung an. "Schule ohne Bundeswehr NRW" nahm in diesem Zusammenhang die Position ein, nicht für eine gemeinsame Kooperationsvereinbarung zwischen Schulministerium, Bundeswehr und Friedensbewegung zur Verfügung zu stehen, wie es von verschiedener Seite ins Gespräch gebracht wurde. Aus Sicht des Bündnisses würde dadurch lediglich die Anwesenheit der Bundeswehr an den Schulen legitimiert.

Nach mehrmonatiger Ankündigung wurde dann von der Öffentlichkeit zunächst unbemerkt Ende August 2012 eine modifizierte Kooperationsvereinbarung zwischen dem Schulministerium und der Bundeswehr abgeschlossen. Dabei versuchte das Schulministerium, die in der Öffentlichkeit laut gewordene Kritik aufzunehmen, ohne an der Zielsetzung der Vereinbarung etwas zu ändern. Gestrichen wurde die besonders kritisierte Einbindung von Jugendoffizieren in die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. In der Vereinbarung ausdrücklich erwähnt ist jetzt die – allerdings schon immer gegebene – Möglichkeit, auch FriedensaktivistInnen in den Unterricht einzuladen. Dies führte in konservativen Medien einige Wochen nach dem Abschluss der Vereinbarung zu empörten Kommentaren. „Bundeswehr verliert Redehoheit in Schulklassen“ titelte z.B. die „Welt“. Und die „Westdeutschen Allgemeine“ meinte erkannt zu haben: „Künftig soll in NRW-Schulen ‚Waffengleichheit‘ herrschen zwischen Bundeswehr und Friedensinitiativen.“ Dass dem nicht so ist, machte „Schule ohne Bundeswehr NRW“ in einer Pressemitteilung deutlich: Die Kooperationsvereinbarung „klammere dabei aber die unterschiedlichen Möglichkeiten der steuerfinanzierten Großorganisation Bundeswehr und der vorrangig ehrenamtlich organisierten Friedensbewegung aus. Die Bundeswehr hat bundesweit 94 hauptamtliche Jugendoffiziere und einen Öffentlichkeitsetat von über 15. Mio. Euro. Von gleichen Möglichkeiten kann hier wirklich nicht die Rede sein“. Auch der von einigen Medien dargestellte Zwang, dass Jugendoffiziere nur noch in Schulen in NRW dürften, wenn auch ein Friedensaktivist anwesend sei, ist in der Kooperationsvereinbarung nicht erkennbar. „Schule ohne Bundeswehr NRW“ blieb daher bei seiner Forderung nach ersatzloser Kündigung der Kooperationsvereinbarung. Und auch die nordrhein-westfälische GEW fasste am 17.11.12 einen Vorstandsbeschluss, in dem es heißt: „Veränderungen der Kooperationsvereinbarung reichen aber aus Sicht der GEW NRW nicht aus. Die GEW NRW fordert das Schulministerium auf, die Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr zu kündigen.“

Die Arbeit gegen die Kooperationsvereinbarung und die Praxis der Bundeswehr-Werbung in Schulen und von SchülerInnen besuchten Messen geht also weiter.

Da unter den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen im Landtag von NRW eine Abschaffung der Kooperationsvereinbarung mittelfristig nicht absehbar ist, hat "Schule ohne Bundeswehr NRW" im Frühjahr mit der Planung einer Kampagne „Schule ohne Militär“ begonnen. Mit der Kampagne sollen die Schulen selbst angeregt werden, sich den Bundeswehrbesuchen zu verweigern. Beflügelt wurde diese Planung von der Nachricht, dass der bekannte Aachener Friedenspreis in diesem Jahr an drei Schulen verliehen werden sollte, die sich als erste per Schulkonferenz-Beschluss gegen die Besuche der Armee positioniert hatten. Auch gegen diese angekündigte Preisverleihung erhob sich ein Entrüstungssturm der Militärbefürworter. Die FDP stellte am 11. Juni im Landtag sogar den etwas skurrilen Antrag, dass der Landtag von NRW sich gegen eine Diffamierung der Bundeswehr stellen und den Aachener Friedenspreis ablehnen solle. Doch viele positive Stimmen unterstützen die Ehrung der mutigen Schulen, so ehemalige Friedenspreisträger wie der bekannte Deserteur Ludwig Baumann oder auch die Tochter der Namensgeberin einer der geehrten Schulen, Hulda Pankok. Eva Pankok schrieb: „Meine Mutter, Namensgeberin dieser Schule, hat — ebenso wie mein Vater — ein Leben lang für Gewaltlosigkeit, Menschlichkeit und Toleranz gekämpft, und ich denke, dass sich die Hulda-Pankok-Schule mit Übernahme ihres Namens dieser pazifistischen Haltung verpflichtet hat und diese Werte seither an die jungen Menschen weitergibt.“

Mit der Kampagne „Schule ohne Militär“ soll im gerade begonnenem Schuljahr an einer Anzahl von Schulen der Versuch unternommen werden, nach entsprechender Aufklärungsarbeit und Diskussion in der Schüler- und Lehrerschaft einen Beschluss der Schulkonferenz herbeizuführen, sich gegen Besuche der Bundeswehr an Schulen auszusprechen. Dabei soll auf antimilitaristische NamensgeberInnen von Schulen ebenso zurückgegriffen werden wie auch auf entsprechende schulische Leitbilder. Die preisgekrönte Robert-Blum-Schule in Berlin hat das in ihrem Beschluss beispielsweise so formuliert: „Das vermeintliche Lösen von Konflikten mit militärischer Gewalt widerspricht der an unserer Schule gepflegten Kultur und unseren Erziehungsidealen.“ Auf der Website der Kampagne (www.schule-ohnemilitär.de) sind Ziel und Idee beschrieben sowie erste Vorschläge zur Vorgehensweise für Schülervertretungen und LehrerInnen gegeben, die die Kampagne umsetzen wollen. Auf einem Workshop bei der Landesdelegiertenkonferenz der LandeschülerInnenvertretung wurden Aktionsvorschläge zusammengetragen sowie mögliche kritische Fragen gesammelt und nach Antworten gesucht. In den nächsten Wochen wird es darum gehen, die Kampagne weiter bekannt zu machen und SchülerInnen und LehrerInnen an Schulen zu suchen, die dort im Sinne der Kampagne aktiv werden wollen.

Ein zweites Betätigungsfeld ist weiterhin der Widerstand gegen die Bundeswehrwerbung bei von SchülerInnen besuchten Berufsbildungsmessen. In Bochum fand Anfang Oktober eine solche Messe statt, bei der die Anwesenheit der Bundeswehr für viel Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Interessant war hier, dass das veranstaltende Jugendamt angesichts vorliegender Beschlüsse des Jugendhilfeausschusses der ebenfalls beteiligten Stadt Herne die Bundeswehr ausgeladen hatte. Auch Proteste der zurückliegenden Jahre werden hier ihre Wirkung gehabt haben. Auf Betreiben der CDU kippte dann aber der Bochumer Stadtrat diese Entscheidung wieder, die Bundeswehr durfte werben, aber nur für "zivile" Berufe. Bei den daraufhin stattfindenden Protesten während der Messe erhielten selbst Ratsmitglieder vom Jugendamt Hausverbot. Dieser Vorgang wird nun im Bochumer Stadtrat noch ein Nachspiel haben. Allerdings ist hier der spannende Weg aufgezeigt worden, über kommunale Gremien und die in ihnen vertretenden Parteien vor Ort dieser Praxis der Bundeswehrwerbung unter Minderjährigen Schranken aufzuzeigen. Hieran sollte weiter gearbeitet werden.  

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