Das kriegssubventionierende Kino

Militainment im Film

von Peter Bürger
Schwerpunkt
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Die Erfolgsproduktionen der populären Massenkultur mit Breitenwirkung spiegeln nicht die Vision von 1945, der zufolge Vereinte Nationen die gesamte menschliche Zivilisation von der Geißel des Krieges befreien. Vielmehr ist das Kino seit dem Zweiten Weltkrieg in mehreren Schüben im Dienste der militärischen Heilslehre weiter aufgerüstet worden, zuletzt ausgerechnet während der „UN-Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder der Welt“ (2001-2010).

Die von mir in drei Filmstudien gesichteten Militainment-Sortimente weisen einen vielseitigen „Lehrplan der Kriegssubventionierung“ auf. Der Krieg wird – ausgehend von einem Welt- und Menschenbild der Konkurrenz – zum universalen, „naturgegebenen“ und alternativlosen Programm. Die Militarisierung erstreckt sich auf alle Zeit-Dimensionen („Natur“ und bellizistische Darbietung der Historie, Gegenwartschauplätze, kriegerische Science fiction für jede erdenkliche Zukunft) und Raum-Dimensionen (vom Wohnzimmer bis ins äußerste Universum). Das Kriegskino reproduziert kriegsbereite Nationen und sorgt für die Ikonographie der „globalen Mission“. Es betreibt über revisionistische Drehbücher „Geschichtspolitik für den guten Krieg“ (womit zivilisatorische Lernprozesse sabotiert werden), antwortet auf Polarisierungen in der Gesellschaft (nicht selten mit einem vermeintlichen „Antikriegsfilm-Paradigma“), sorgt für die Wahrung von Tabus (ökonomische und geostrategische Interessen, Kriegslügen, Kriegsverbrechen der eigenen Seite) und inszeniert – selektiv und instrumentell – die „humanitäre Katastrophe“ (die „Notwendigkeit menschenfreundlicher Militäreinsätze“ gilt längst als Dogma). Über massenkulturelle Produktionen betreibt die Unterhaltungsindustrie kollektive Psychopolitik durch archaische Kriegsmythen und Kriegstheologie, aktiviert das Feindbildschema (Kulturkampf-Agenda) und präsentiert konkrete Bedrohungsszenarien (Aufbau des Bedrohungsgefühls). Weitere Funktionen betreffen das positive Militärimage und die Rekrutierung (z.B. Militär als unverzichtbarer gesellschaftlicher Ordnungsfaktor, sexuelle Attraktivität des Soldaten sowie Konstruktion von sog. „Männlichkeit“, Technikfaszination, Aussicht auf Identitätsfindung und gesellschaftlichen Aufstieg, Verharmlosung oder Verherrlichung des „Kriegsabenteuers“, Helden- und Märtyrerkult).

Die UNO erschien schon oft als die große Versagerin auf dem Bildschirm, zuletzt taucht sie fast gar nicht mehr auf. Insbesondere werden im „Out-of-Law“-Modus ihre rechtlichen Grundlagen hintertrieben. Massenkulturelle Propaganda zur Begünstigung bzw. Billigung von Verbrechen gegen Menschen- und Völkerrecht ist jedenfalls keine Bagatelle. Speziell auch militärisch subventionierte Kunstwerke brechen eine Lanze für ein vermeintliches Recht auf Angriffshandlungen an jedem Ort des Globus, den Einsatz geächteter Kriegsmittel, Gleichgültigkeit gegenüber zivilen „Kollateralschäden“, die negative Darstellung ganzer Kulturräume oder Religionen, die Missachtung rechtsstaatlicher Verfahren und die Kreation willkürlicher neuer „Rechtsnormen“.

1996 verkündete der Internationale Gerichtshof in Den Haag sein Rechtsgutachten zur grundsätzlichen Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen. Ab dem Folgejahr kamen dann mehrere militärisch unterstützte US-Produktionen auf TV-Bildschirm und Kinoleinwand, die die modernste Nuklearwaffentechnologie als unerlässlich zur „Rettung der Erde“ anpriesen (ASTEROID 1997, ARMAGEDDON 1998, DEEP IMPACT 1998, THE CORE 2003).

Beim Einsetzen der Kriegspolitik der Bush-Administration im Jahr 2001 lag – mit „gutem Timing“ – ein Sortiment von Pentagon-geförderten Kriegs- bzw. Terrorfilmproduktionen schon vor. Zu wenig bedacht wird, dass gerade auch US-Filmproduktionen mit staatlichen Kooperationspartnern Folter, Geiselerschießung oder Geheimdienstmorde ganz indifferent als übliche Methoden vorstellen.

RULES OF ENGAGEMENT (USA 2000) gehört zu den Filmen, die mit Schützenhilfe des Pentagon internationale Rechtsnormen aushebeln und sich in großer Gleichgültigkeit gegenüber Ziviltoten eines anderen Kulturkreises üben. Dieses Militärgerichtsdrama zeigt – wie das ebenfalls vom Pentagon unterstützte Somalia-Epos BLACK HAWK DOWN (USA 2001) – Menschen eines islamischen Landes vorzugsweise als feindselige Masse. Zur massenkulturellen Formung des öffentlichen Rechtsbewusstseins trug schon die TV-Militärgerichtsserie JAG (USA 1995ff) bei, die im Sinne des Militärs ebenfalls förderungswürdig war.

Akzeptanz für die „außergerichtlichen Hinrichtungen“ durch ferngelenkte Drohnen hat die Massenkultur schon beworben, als es die Praxis selbst noch gar nicht gab. Die vom Pentagon unterstützte Hollywood-Produktion STEALTH (2005) bereitet die Zuschauer*innen – unter Vorspiegelung eines ethischen Diskurses – auf eine revolutionär neue Militärtechnologie vor: Das der Aufklärung dienende UAV (Unmanned Air Vehicle) ist längst zum UCAV (Unmanned Combat Air Vehicle) weiterentwickelt worden; die Zeit der bemannten Kampfjets läuft aus. Es entsteht schließlich eine UCAV-Generation, die auf der Grundlage elektronischer Datenverarbeitungssysteme mit integrierten „Lernprozessen“ autonome „Entscheidungen“ trifft bzw. eigene „Handlungsmuster“ entwickelt. – Der CIA-Thriller ZERO DARK THIRTY (2013) von Kathryn Bigelow zeigt – angeblich auf der Basis geheimdienstlicher Expertisen – Folter als erfolgreiche Ermittlungsmethode.

Massenkultureller Krieg
Der „massenkulturelle Krieg“ auf Leinwand oder Bildschirm bewirbt das Gegenteil der UN-Charta (u.a. Interessensblöcke statt Schicksalsgemeinschaft der ganzen menschlichen Familie, Rehabilitation des Militärischen statt Ächtung des Kriegs, Militärforschung und Aufrüstung statt Zukunftstechnologien für das Leben, Töten statt Teilen). Er erfolgt mitnichten nur über den engeren Kreis der Militär- und Gefechtstitel, sondern kann in allen Filmgenres (z.B. Katastrophenfilm, Science ficition, Politthriller, dokumentarische Infotainment-Formate) aufgedeckt werden. Es geht auch nicht nur um Angebote, bei denen die Propagandabotschaften sowie die Beteiligung von Kriegsprofiteuren offensichtlich sind. Oberhoheit und Kontrolle bezogen auf den geistigen Raum (kulturelle Hegemonie) erfordern es, oppositionelle – kritische bzw. linksliberale – Anschauungen zu integrieren. Über entsprechende Ambivalenzen ist z.B. vor drei Jahrzehnten das pazifistische Programm einer ökologischen Partei nahezu pulverisiert worden.

Die Drehbücher verändern sich derzeit unter neuen Vorzeichen (Klimawandel, Migration/Flucht, Pandemien …). Zwei aktuelle TV-Produktionen aus dem Medienangebot vor Ort seien zumindest genannt. Der interessante Tatort „Krieg im Kopf“ (ARD-Mediathek bis 9/2020) lenkt den Blick auf neue Technologien des Militärs, welche die Öffentlichkeit noch nicht kennt. In dem mehrteiligen Katastrophendrama „8 Tage“ (Sky/ZDF-Mediathek 2020) wird die Atombombe – wie in der 1990ern – als Heilmittel gegen einen auf die Erde zurasenden Asteroiden angepriesen, auch wenn die Nuklearrakete am Ende nur eine vergleichsweise bescheidene Kursänderung des Killerplaneten bewirkt (Russland statt Paris als Einschlagsort). Die Hauptfiguren machen die Erfahrung, dass Russland ein feindseliger Ort ist und man sich auf Versprechen der USA auch nicht mehr verlassen kann. Allerdings erweist sich das deutsche Militär – nebst einer korrupten Politik – im Katastrophenfall ebenfalls als tödliche Gefahr! Ein jeglicher Geschmack wird an irgendeiner Stelle der Serie bedient. Gewaltfreiheit kommt freilich nur als esoterisch-irrationales Phänomen ins Spiel. Lösungen ohne „Militärlogik“ gibt es nicht.

Notwendig zur Erhellung von Gegenwartsentwicklungen wäre eine – institutionell abgesicherte – zeitnahe Medienanalyse. Der Unterhaltungssektor war jedoch für Pazifist*innen, die dem Ideal der Aufklärung (Vernunft, ethischer Diskurs) verpflichtet sind, lange ein unbeachtetes Feld. In Entsprechung dazu sind auch die Bemühungen der Friedensforschung im Bereich der populären Angebote noch immer unterentwickelt.

Der zivilisatorische Ernstfall ist längst ansichtig und viele halten es bereits für ausgemacht, dass der „homo sapiens“ scheitert. Auf allen Ebenen – sogar innerhalb der ökologischen Bewegungen für eine andere Zukunft – sehen wir gleichzeitig die Unfähigkeit, die Doktrinen einer aggressiven, selbstmörderischen Ökonomie und der irrationalen Militärideologie zu transzendieren. Konzepte von Aufklärung und Moralpredigt werden die Welt leider nicht retten. Nur eine global vernetzte kulturelle Revolution der menschlichen Spezies, die sich u.a. auch in einer radikal gewandelten Unterhaltungsindustrie ausformt, kann eine Kursänderung der Zivilisation zugunsten der nach uns kommenden Generationen einleiten. Ohne wirkmächtige Bilder einer neuen Kultur des Friedens wird es zu einer Potenzierung jeglicher Barbarei kommen. Die Herausforderung einer zivilisationsrelevanten Kulturalternative ist anders und weitaus gewichtiger als die bloße Kritik des kriegssubventionierenden Kinos.

Peter Bürger, Jg. 1961, kath. Theologe & freier Publizist. Autor der Kriegsfilmstudien „Napalm am Morgen“ (2004), „Kino der Angst“ (2005/2007) und „Bildermaschine für den Krieg“. Weiterführende Literaturhinweise u.a. auf: www.napalm-am-morgen.de ; www.friedensbilder.de

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Peter Bürger, Düsseldorf (Theologe und freier Publizist, Mitglied der Internationalen kath. Friedensbewegung Pax Christi)