War Resisters‘ International

Militarisierung der Jugend – ein weltweites Phänomen

von Christine Schweitzer

Die Anstrengungen der Bundeswehr, nach Aussetzung der Wehrpflicht junge Leute für sich zu gewinnen, sind im letzten Jahr immer mehr zum Thema von Friedensbewegung und Jugendverbänden geworden. Besondere Steine des Anstoßes sind die Vereinbarungen zwischen Landesschulministerien und der Bundeswehr über die Entsendung von Bundeswehroffizieren in Schulen und die Werbemaßnahmen der Bundeswehr auf Messen und neuerdings auch in Arbeitsämtern. Aber Militarisierung der Jugend ist kein auf Deutschland beschränktes Problem. Dies wurde sehr deutlich auf einer internationalen Tagung, die, ausgerichtet von den War Resisters‘ International, vom 8. bis 10. Juni 2012 bei Darmstadt unter dem Titel „Gegen die Militarisierung der Jugend“ in Darmstadt stattfand. Ungefähr 65 Menschen unterschiedlichen Alters u.a. aus England, den Niederlanden, Schweden, Südafrika, Ghana, Chile, Kolumbien, Venezuela, den USA, Kanada, Südkorea und natürlich Deutschland diskutierten, welche Formen Militarisierung von Jugend in den verschiedenen Ländern annimmt und welche Gegenstrategien entwickelt werden.

Selbstverständlich ist die Situation in verschiedenen Ländern unterschiedlich, sowohl was die Rekrutierung von Soldaten betrifft wie die Legitimationen von Militär: In manchen Ländern gibt es (noch) eine Wehrpflicht, viele andere haben sie abgeschafft. In einigen wird das Militär vorrangig für Kriege in weit entfernten Ländern benötigt (Europa, Nordamerika), in anderen geht es um die Möglichkeit einer kriegerischen Konfrontation mit dem unmittelbaren Nachbarn (Südkorea, Israel oder es stehen innenpolitische „Ordnungsaufgaben“ – sprich die Bekämpfung von Aufständen und Emanzipationsbewegungen im Land – im Vordergrund (Lateinamerika). In manchen Ländern müssen ehemalige Kriegsgegner lernen, in einer gemeinsamen Armee zu kooperieren (Südafrika), in anderen sind die Armeen für Angehörige bestimmter Bevölkerungsgruppen, die als gegnerisch eingestuft werden, kaum offen (Palästiner in Israel, Albaner in Mazedonien). Der Grad der Einbeziehung von Frauen ist ebenfalls unterschiedlich und reicht von totaler (formaler) Gleichstellung von Männern und Frauen in Israel bis zu rein oder überwiegend männlichen Armeen in Lateinamerika.

Trotzdem, und das war eines der wesentlichen Ergebnisse der Tagung, sind die Erfahrungen von Militarisierung von Jugend und Militarisierung des öffentlichen Raums erschreckend vergleichbar, scheinbar beinahe unabhängig von den zuvor genannten Unterscheidungen. Überall beginnt Militarisierung bereits im Kindesalter, und überall bemüht sich das Militär, durch Präsenz im öffentlichen Raum die „Herzen und Köpfe“ der BürgerInnen zu gewinnen. Dabei geht es um drei, natürlich zusammenhängende Interessen: die Gewinnung von neuen Soldaten (und Soldatinnen), die Zustimmung der BürgerInnen zu dem Vorhandensein von Militär (und den damit verbundenen Ausgaben) und die Zustimmung zu bestehenden und möglichen zukünftigen Kriegseinsätzen.

Strategien der Militarisierung
Emma Sangster von Forces Watch UK stellte ein in der englischen Friedensbewegung sehr bekanntes Zitat eines britischen Militärs vor. Dieser sprach von einem zehnjährigen Zeitraum, der benötigt werde, um Kinder an das Militär heranzuführen. Es beginne damit, dass ein Siebenjähriger auf einer Militärshow von einem Fallschirmspringer fasziniert werde, worauf das Militär dann kontinuierlich über die nächsten zehn Jahre aufbaue, „Tropfen für Tropfen“ („by drip, drip, drip“). Wenngleich dies mancherorts vielleicht nicht so deutlich ausgesprochen wird, ist doch das Rezept im Wesentlichen überall das gleiche: Das Militär geht in Schulen für Vorträge oder Abhaltung von Lerneinheiten, es stellt Lehrmaterialien zur Verfügung, es lockt Jugendliche durch attraktive Veranstaltungen wie Messen, Flugvorführungen, manchmal auch durch Outdoor-Angebote oder sogar „Praktikumstage“ in der Kaserne. Es macht sich das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Social Media und Videospielen zunutze, indem es in diesem Bereich mit zahlreichen eigenen Angeboten vertreten ist und zusätzlich Softwarefirmen bei der Erstellung möglichst realitätsnaher Kriegsspiele unterstützt, wie Michael Schulze von Glaßer in seiner Arbeitsgruppe über „Militainment“ ausführte. Diese Kriegsspiele stellen nicht nur möglichst realistische Waffen, Flugzeuge usw. dar, sondern ihre Szenarien spielen entweder Konflikte und Ereignisse aus jüngster Zeit nach (z.B. die Ermordung von Bin Laden) oder nehmen zukünftige vorweg (Angriff auf den Iran in dem neuen, schon millionenfach verkauften „Battlefield 3“ oder Kriege mit China oder Russland). In einigen Ländern kommen dazu noch militaristische Zeremonien und Regeln in Schulen, z.B. Fahnenappelle, paramilitärische Frühausbildung und dergleichen (z.B. in Chile). Auch an Universitäten ist das Militär zunehmend präsent, durch Berufsinformationen, Werbeveranstaltungen oder Trainingskurse (z.B. in Südkorea).

Vielfach wurde auf der Tagung gefragt, was denn die Attraktion von Militärdienst für junge Menschen eigentlich ausmacht. Eine Antwort war, dass es dem Militär gelingt, das Soldatsein mit positiv besetzten Werten und Interessen in Verbindung zu bringen – sich beweisen und über die eigenen Grenzen hinausgehen, Mut und Tapferkeit, Abenteuer, Umgang mit komplexer Technologie spielen hier anscheinend eine besondere Rolle. Dazu kommt als zweiter Aspekt der ökonomische: Ausbildungs- und Jobmöglichkeit für von Arbeitslosigkeit bedrohte und betroffene Jugendliche, studiengebührfreies Studium, Karrieremöglichkeiten im zivilen Bereich und /oder frühe Verrentung nach dem Dienst, in den USA sogar die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für Immigranten sind „Belohnungen“ für den Dienst an der Waffe.

Ein besonderes Thema in diesem Zusammenhang ist die Frage der Einbeziehung von Frauen und von Lesben und Schwulen in das Militär. Trotz der in den letzten zwanzig Jahren entwickelten Offenheit vieler Armeen für Frauen und für Homosexuelle ist das Bild des Soldaten das von militarisierter Männlichkeit geblieben. Frauen wie Homosexuelle müssen sich diesem Bild anpassen – wenn sie es nicht tun, steigt die – sowie vorhandene – Gefahr sexuellen und anderen Missbrauchs. Eine interessante Anmerkung zu diesem Thema war, dass die größere (angebliche) Offenheit in Bezug auf die Einbeziehung von Schwulen und Lesben im Kontext der Entstehung des Feindbildes Islam steht – dieses Feindbild erfordert, sich selbst und die eigene Gesellschaft zum Zwecke der Abgrenzung als offen und tolerant darzustellen. Hier ist natürlich eine Frage für AntimilitaristInnen, inwieweit man sich mit dem Thema der Gleichbehandlung / -berechtigung abgeben soll, wenn man eigentlich will, dass das Militär abgeschafft wird. Aber es bestand weitgehend Einigkeit, dass diese Fragen nicht einfach ausgeklammert werden können, wenngleich sie nicht zum Mittelpunkt der Arbeit werden sollten.

Militär in der Öffentlichkeit
Zusätzlich zu den Jugend-bezogenen Aktivitäten konnten auf der Tagung eine Reihe von weiteren Gemeinsamkeiten festgestellt werden:

Betonung von Heldentum – Soldaten als Helden

Betonung von Patriotismus („Wir dienen Deutschland“)

Bilder von „wir“ gegen die „anderen“

Legitimierung von Militär durch geschichtliche Erfahrungen, durch vorgebliche Bedrohungen oder humanitäre Betroffenheit,

Bau von Gedenkstätten, Militärparaden, nationale Feiertage

Gegenstrategien
Neben der Analyse der verschiedenen Facetten von Militarisierung befasste sich die Tagung mit möglichen und schon praktizierten Gegenstrategien, hörte von erfolgreichen Aktionen aus verschiedenen Ländern, und TeilnehmerInnen trafen etliche Vereinbarungen zur Weiterarbeit. Ich möchte hier nur ein paar recht willkürlich ausgewählte Beispiele benennen:

Universitäten: Ein Beispiel aus Deutschland war, dass ein geplanter Auftritt eines Offiziers vorher auf einer radikalen antifa-Website bekanntgemacht wurde, sodass es zu einem riesigen Polizeiaufgebot an der Hochschule am Tag des Vortrages kam. Die Bundeswehr entschied danach, dass sie lieber auf weitere Besuche an dieser Hochschule verzichtet.

Interessant für die deutschen TeilnehmerInnen war, dass der Streit darum, ob Widerstand gegen die Auftritte von Militär in Schulen durch friedenspädagogische Angebote durch Friedensorganisationen in Schulen ergänzt werden soll, sich als eine doch sehr spezifisch deutsche Debatte herausstellte. International, das war zumindest der Eindruck auf dieser Tagung, werden beide Ansätze nicht als Widersprüche gesehen.

Militärpropaganda: In Schweden ist die Gruppe OFOG einer Werbeposterkampagne des schwedischen Militärs begegnet, indem sie die Plakate mit eigenen Texten ergänzte. Hier sind zwei Beispiele: Das Militär schrieb „Ihrer Großmutter ist es egal, ob Schwedens Luftraum verletzt wird.“ „Was denkst Du? Hast Du, was es braucht, um eine Meinung zu haben? Das schwedische Militär“.

OFOG ergänzte den ersten Satz durch “Aber auf der anderen Seite ist sie wirklich sauer, dass die USA diesen Sommer in Nordschweden Bombenabwürfe trainieren werden“. Und unter den zweiten schrieben sie: „Wir haben, was es braucht. OFOG“. Ein anderes Plakat mit dem Satz „Ihr Freund will keine Hilfe, wenn eine Naturkatastrophe passiert“ ergänzten sie nach dem gleichen Muster durch „... von dem Militär. Andere Arten von Hilfe sind willkommen.“

Viel Interesse fand der Bericht der Irak-Kriegsveteranin Kelly Dougherty aus den USA. In den USA haben Veteranenorganisationen, die sich gegen Krieg einsetzen, eine über vierzigjährige, auf den Vietnamkrieg zurückgehende Tradition. In England gründet sich gerade zum ersten Male eine Gruppe „Veteranen für den Frieden“. In Deutschland gibt es vergleichbare Gruppen ehemaliger SoldatInnen, die die Kriege, an denen sie beteiligt waren, völlig ablehnen und anderen helfen, das Militär zu verlassen, nicht. Es wäre wünschenswert, wenn es gelänge, VeteranInnen hier bei uns für eine solche Arbeit zu interessieren. Wichtig ist aber, darin waren sich alle einig, dass solche Initiativen von Veteranen selbst ausgehen. Sie können von anderen unterstützt werden, aber nicht ins Leben gerufen werden.

Bei weiteren Vorschlägen aus der Konferenz, an denen weiter gearbeitet werden soll, geht es um weltweite Sammlung von Information über Militär in Schulen, Sammlung von vorhandenen friedenspädagogischen Materialien auf einer neu zu erstellenden Website bzw. blogs und Überlegungen zur Schaffung einer Kampagne gegen die Registrierung von jungen Leuten, die trotz der Aussetzung der Wehrpflicht weitergehen soll.

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Initiativen
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.